Teil 12:
Tag 07 – Wanderung in Tramuntana
Donnerstag, der 11.08.2022:
Marco und ich hatten uns mittlerweile dermaßen eingewöhnt, als wären wir hier zuhause. Am heutigen Tage begaben wir uns wieder nach Tramuntana im Norden. Deshalb schrieb ich nach dem Frühstück auf unserem Balkon erst einmal Igor an, um heute Abend in der Art Farm Filozići von ihm ein schönes Abendessen kredenzt zu bekommen. Am Tage unserer Ankunft auf Cres hatten wir das ja bereits mit ihm besprochen. Wir freuten uns riesig darauf und waren auch auf die abendliche Atmosphäre beim Essen gespannt, doch da seine Antwort erst einmal auf sich warten ließ, fuhren wir los.
Der tolle Blick vom Balkon
Zuerst fuhren wir unterhalb von Beli in den kleinen Ort Sv. Petar. Hier gibt es eine über 400 Jahre alte Eiche, die ich gern sehen wollte. Marco hatte sie schon einmal besucht, doch ich kannte sie noch nicht. Der stattliche Baum hatte eine außerordentliche Form und war innen hohl, so dass ein Kind durchaus hinein steigen konnte. Sie war ein geschütztes Naturdenkmal. Der Legende nach wurde die Eiche von einer zahnlosen, recht wütenden alten Dame bewohnt, die als Pfand einen Kuss von den herannahenden Männern forderte.
Die Straße nach Beli
Kurz vor Sv. Petar
Als wir ankamen, waren wir jedoch traurig. Der Baum ist leider zerstört. Daneben liegen noch die abgebrochenen Teile, und es ist nicht mehr besonders viel von ihm übrig. Entweder war es ein Sturm oder einfach das hohes Alter des Baums, was ihm den Garaus machte, oder beides. Also lief ich wenigstens noch ein bisschen durch den Ort, der jedoch wirklich klein ist und nur aus einigen wenigen Häusern, einer Kirche, Trockensteinmauern und Schafpferchen besteht.
Die Überreste der alten Eiche
Eindrücke aus Sv. Petar
Nun fuhren wir nach Beli zur Auffangstation für Gänsegeier. Die Station war einst etwas Anderes. Von 1993 bis 2012 war der Besitzer des ehemaligen „Birds of Prey Conservation Center“ ein gewisser Herr Dr. Goran Sušić. Die verletzten Vögel wurden aufgepäppelt und später wieder in die Natur entlassen, was dem Grunde nach ja eine gute Sache ist. Es gab viele Volontäre, die unentgeltlich bei der Arbeit halfen, und es flossen auch viele Spenden. Hier lag wohl hauptsächlich das Problem, weil es als sehr fragwürdig galt, wo das Geld ankam und wie es eingesetzt wurde. Für viele war Herr Sušić ein unseriöser und unglaubwürdiger, windiger Geselle. Letztendlich zerstritt er sich noch mit der Stadt Cres, und das Zentrum wurde geschlossen. Er baute es in Sv. Juraj unterhalb von Senj wieder auf, doch auch dort existierte es nur für zwei Jahre. Das Letzte, was ich hörte, war, das er im Učka-Gebirge in Istrien noch diverse Futterstationen betreut haben soll, doch auch hier investierte er die Gelder wohl eher in fragwürdige Unterfangen, anstatt es der Unterstützung der Vögel tatsächlich zukommen zu lassen.
Nun, wie auch immer, seit 2012 wird die Station in Beli von öffentlicher Stelle betrieben und hat nicht mehr den einstigen Umfang. Aber noch immer gibt es dort Gänsegeier, die nach entsprechender Pflege wieder in die Natur entlassen werden. Natürlich muss man von dem hübschen Ort Beli einige Fotos machen, wenn man oberhalb des Ortes daran vorbeifährt. Ähnlich wie Lubenice liegt es wie auf einem Adlerhorst auf den Felsen oberhalb der Küste. Wir parkten am Ortseingang und liefen zur Gänsegeierstation hinauf. Die Station beherbergt ein kleines Informationszentrum und ein Geiergehege. Wir bezahlten den Eintritt und bekamen eine recht interessante und schön gestaltete Broschüre in die Hand. Man soll sich leise verhalten, wenn man sich dem Gehege nähert, was auch von dem Bediensteten kontrolliert wurde. So wurde ich ermahnt, als ich etwas zu Marco sagte. Psst! Es befanden sich 6 Tiere im Gehege. Eines davon fraß gerade an einem Schafskadaver. Schon so lange wollte ich diese Station besuchen, doch hatte es erst jetzt geschafft.
Blick auf Beli
Die Auffangstation für Gänsegeier
Merkwürdige Exemplare
Bei den Gänsegeiern
So! Zurück am Auto schulterten wir unsere gepackten Rucksäcke. Wir starteten unsere Wanderung im Tramuntana-Wald. Eine ganz wunderbare Wanderkarte des Gebietes bekam ich im Vorfeld kostenlos von der Pension Tramontana in Beli zugeschickt. Wir hatten die darauf in gelb eingezeichnete Route gewählt. Das wunderbare Beli kannten wir bereits. Vor dem Eingang ins Dorf bogen wir rechts durch das alte Steintor ab und kamen durch Trockensteinmauern hinunter zur Rimski most, der kleinen römischen Brücke. Einst war hier der einzige Verbindungsweg vom Süden der Insel nach Beli. Die Brücke ist 8 Meter lang, 12 Meter hoch und ca. 2.000 Jahre alt und besteht aus aufeinander gestapelten Steinblöcken. Im römischen Zeitalter befand sich unterhalb von Beli ein Hafen. Die angelieferten Waren wurden über diese Brücke in den Inselsüden verteilt. Man kann sich kaum vorstellen, was das für eine Plackerei gewesen sein muss, mit den Eselkarren über diesen kleinen, unebenen Weg zu fahren. Beli hieß damals Caput Insulae, was „Kopf der Insel“ bedeutet.
Beginn der Wanderung unterhalb von Beli
Durch das Steintor
Unsere Wanderung war auf dieser Karte die rote Route
Es geht in den Wald
Rimski most
Auch auf diese Wanderung hatten Marco und ich uns schon lange gefreut. Die Wälder der Tramuntana sind Wälder mit riesigen Eichen und Kastanienbäumen, die mehr als 100 Jahre alt sind, und es ist nicht ungewöhnlich, jahrhundertealte Baumriesen zu finden, die über 30 Meter hoch sind und einen Stammumfang von mehr als 5 Metern haben. Es ist ein wunderbarer Wald. Nach einer Weile kommt man auf dem steinigen Weg an einer kleinen Höhle vorbei und kreuzt bald danach die Teerstraße nach Beli. Oberhalb der Straße ging es steil die Böschung hinauf. Marco erschrak und hatte Bedenken, dass die Schwierigkeit dieser Wanderung sich fortwährend auf diesem Niveau bewegen würde. Ich kraxelte hoch und reichte ihm den Arm. So kamen wir hinauf. Als wir uns zur Küste drehten, sahen wir Beli wunderbar unter uns liegen. Auch über der Straße war der Weg zunächst sehr steil, anspruchsvoll und voller Geröll, denn man muss erst einmal den Hügel erklimmen, doch bald danach wurde es flacher und merklich einfacher. Die Bedenken wurden dadurch zerstreut. Ich erhielt nun Igors Nachricht mit der Zusage für das Abendessen. Wir freuten uns.
Kreuz im Wald
Der Wanderweg
Kleine Höhle
Der Weg führt weiter
Blick zurück nach Beli
Wir folgten der gelben Markierung
Zwischen den Mauern
Nach anderthalb Stunden gemütlichen Wanderns standen wir am Labyrinth der Vesna, der altkroatischen Göttin des Frühlings. Es gibt zahlreiche steinerne Labyrinthe im Tramuntana-Wald, die zu Ehren von Göttern oder Feen gelegt worden sind. Beim Betreten dieser Labyrinthe soll man sich ein bestimmtes Ziel setzen oder sich etwas wünschen, dessen Erfüllung man sich erhofft. Das meditative Wandern durch die Labyrinthe soll dem Geist auf seiner Reise in die Natur helfen, um auf diese Weise dem inneren Gleichgewicht näher zu kommen. Wenn ich auch ein Mensch bin, der sich nicht mit Meditation beschäftigt, so finde ich diese Labyrinthe doch sehr interessant und sehenswert. Am Labyrinth der Vesna, welches aus mehreren Kreisen besteht, legten wir eine ausgiebige Pause ein.
Am Labyrinth der Vesna
Zwischen weiteren, schönen Trockensteinmauern führte der Weg weiter nach oben. Tramuntana war in der Vergangenheit ein recht stark besiedeltes Gebiet, aber die Dörfer wurden im Laufe des vergangenen Jahrhunderts nach und nach verlassen. Der Wald ist ein wahres El Dorado für Liebhaber von Dorfruinen. So gab es hier wahrscheinlich deutlich mehr als 20 Siedlungen. Man soll es kaum glauben. So kamen wir zu den Ruinen von Podubčići, wovon noch deutlich mehr erhalten ist, als ich dachte. Wir mögen sowas und waren begeistert. Auf einer Lichtung stehen mehrere Gebäuderuinen und eine Vielzahl von alten Häuserresten, –mauern und –strukturen. In einem Gang kam mir langsam und ängstlich ein Schaf entgegen. Als es dann fortlief, rannte es mich fast über den Haufen.
Podubčići