Die Flüchtlinge und ihre Betreuung

  • @ Elke
    Toll wie das bei Euch läuft ! Ich selber war ja noch nicht in einer solchen Erstaufnahmestelle (ausser früher, in den kleineren Notaufnahmebaracken die es bei uns immer schon gab), weil ich momentan in meinem "Job" genug zu tun hab, und nicht einfach zum Gucken irgendwo hinwill - das ist ja kein Zoo.


    @ Klaus, wg. Bassam:
    Dass ein Sturz auf ein mit Metall versorgtes Bein etc. weh tut, und dass dann die Angst groß ist, es könnte sich da etwas gelockert/verschoben haben, ist nachvollziehbar. Du hast es genau richtig gemacht, und die im Krankenhaus auch - ein deutscher bzw. nicht nur für Notfälle krankenversicherter Patient wäre vermutlich kaum anders behandelt worden. Meistens ist zum Glück nix gelockert, verschoben oder wieder gebrochen, aber man muss es halt kontrollieren - es kann auch mal anders ausgehen.

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • 16./18.12.


    Vor fast zwanzig Jahren, als ich Hausarzt in Norderstedt war, verbreitete sich ein Gerücht im hiesigen Buschfunk: Unser Doc sammelt Schlümpfe ! Erklärungen zum Zustandekommen würden jetzt zu weit führen, auf jeden Fall sammelte sich erst auf meinem Schreibtisch, später auf der benachbarten Kommode, weil Schreibtisch zu voll, eine ansehnliche Schlumpftruppe, oft von Kindern geschenkt.



    Nach Renovierung und Praxisübergabe im Sommer dieses Jahres wurde diese Sammlung heimatlos, weil ich zuhause nicht wusste, wohin damit - bin bekennender Messie, und es stand schon alles voll. Dann kam ich zu meinem neuen Wirkungsort und die Schlümpfe an ihrem neuen Platz.



    Das sind jetzt noch nicht alle ...



    ... und zwei Tage später auch nicht mehr alle.


    Der Schlumpfschrumpf ist durch die Flüchtlingskinder verursacht, die sich zwischendurch bedienen, so dass sich die guten Stücke jetzt in alle möglichen Ecken Mittel- und Nordeuropas verbreiten. Denn wenn ein Kind zulangt, dann will ich ihm (im Gegensatz zu den Gepflogenheiten meiner alten Praxis) das nicht wieder wegnehmen. Und ein paar sind noch zum Nachlegen da.


    Die Möblierung unserer "Praxis" wie auch die der ganzen Bieberhaus-Etage macht Fortschritte, so dass ich inzwischen Möbelspenden auch schon ablehnen musste. Leere Räume gibt's kaum noch, in allen Zimmern, wenn sie nicht bestimmten Funktionen wie KITA, Lager, Kleiderkammer, Büro oder Helferrückzugsraum vorbehalten sind, liegen oder sitzen Menschen auf Bierbänken, Decken oder auf allem auf dem man lagern kann. Im Flur rennen Kinder herum, und es ist ein ständiges Kommen und Gehen von meist schwer bepackten Menschen.


    Pro "Sprechstunde", die für einen Kollegen/Kollegin meistens vier Stunden dauert, kommen fünfzehn bis dreissig Patienten, das ist noch gut zu schaffen - in meiner alten Praxis waren es oft mehr. Und viel mehr Schreiberei.
    Wenn wir jemandem doch mal eine Info für den nächsten Arzt mitgeben müssen, dafür haben wir inzwischen vorgedruckte mehrsprachige Formulare, mit Durchschreibmöglichkeit. Und ab nächste Woche gibt's ein dienstliches Mobiltelefon, so dass wir nicht mehr auf unsere eigenen angewiesen sind, oder nur noch auf unser Nummerverzeichnis. Kurz, es wird immer komfortabler.


    Ein Patient von gestern wird mir im Gedächtnis bleiben, ein ca. 60jähriger Bauer aus Afghanistan, der jahrzehntelang Opium-abhängig war. Daheim war das für ihn unproblematisch, er baute das Zeug selber an, und wenn er grad mal nichts hatte, gab es an jeder Ecke Nachschub - so selbstverständlich wie bei uns das Bier am Kiosk oder in der Eckkneipe. Für die Flucht nahm er sich noch einen kleinen Vorrat mit, aber seit sechs Tagen saß er auf dem Trockenen und hatte jetzt scheussliche Muskelschmerzen.


    Von "meinen" Heroinabhängigen weiss ich, dass nach sechs Tagen das Schlimmste schon vorbei ist, und das sag ich ihm. Und dass ich mit Opiatabhängigen Erfahrung habe. Irgendwelche Ersatzstoffe wie viele der Abhängigen von hier will er nicht, hätte ich auch nicht da. Er bekommt Novaminsulfontabletten, Diclofenacsalbe und gute Wünsche, dass es bald besser wird. Vielleicht kommt er ja wieder, das passiert jetzt öfter.

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  • Grizzly- der Wille, den Flüchtlingen zu helfen, ist groß - die Möglichkeiten nicht grenzenlos.
    Im Moment sammeln wir warme Decken, da es da offensichtlich Bedarf gibt, obwohl die Halle geheizt ist.


    Selbst wir Asylhelfer können die Halle nicht ohne weiteres betreten, da gibt es Securitiypersonal. Zum "Gucken" kommt da niemand rein.
    Und das ist gut so.


    Gruß,
    Elke

  • Tagebuch Nr. 14


    Wenn jetzt bei einzelnen Flüchtlingskindern eines ihrer ersten deutschen Wort "Schlompf" oder etwas ähnliches sein sollte, dann wisst Ihr, wer dran schuld ist ...


    Aber nicht nur die Ankommenden, sondern auch unsereins muss sich sprachlich weiterbilden; zu diesem Zweck hab ich jetzt einen kleinen Spickzettel erstellt und an unsere Wand gepinnt. Weil es, auch wenn ich mit einer Super-Dolmetscherin zusammenarbeite, einen guten Eindruck macht, wenn ich wenigstens ein paar Brocken in der Muttersprache meiner Patienten sagen kann.



    A heisst Arabisch, F Farsi (für Afghanen), unterstrichene Silben werden betont


    "Ich bin jetzt Arzt und kein Mann", der Satz wurde uns bei der letzten Fortbildung ans Herz gelegt für den Fall, dass es mal sinnvoll wird, eine Frau zum Herunterlassen ihrer Hosen zu bitten, zB weil man Hämorrhoiden vermutet. Oder, das betrifft jetzt nicht mich, weil ich mich da aus fachlichen Gründen raushalte, ein gynäkologisches Problem im Raum steht..
    Bei der Untersuchung muslimischer Frauen hatte ich noch nie Probleme , meistens geht's ja nur um Herz/Lunge-Abhören oder Bauch-Abtasten. Manche Kollegen äussern da ja massive Ängste und befürchten Aggressionen der männlichen Angehörigen, was ich aufgrund meiner Erfahrungen überhaupt nicht nachvollziehen kann.
    Was den umgekehrten Fall beträfe, Ärztin und Mann der die Hose runterziehen müsste, gibt es keinen solchen Zaubersatz. Dolmetscherin H. erklärt mir, ein orientalischer Mann macht das entweder ohne Diskussion, oder überhaupt nicht.


    Da die einst auf diesem Tisch gewickelten Kinder inzwischen in die Schule gehen, ist dieses gute Stück bei uns

    besser aufgehoben.


    Und seit gestern wird die Wandabstellfläche aufgrund neuer Möbelspenden knapp,



    so dass unser gutes altes Pappregal ausgedient hat.


    Von einer syrischen Mutter hab ich heute erfahren, dass man auch dort Schlümpfe kennt, oder zumindestens die Namen einzelner Figuren (die mir, da kinderlos und erst im Erwachsenenalter mit der Welt der blauen Männchen konfrontiert, unbekannt geblieben sind). Den Sammelbegriff auf arabisch konnte sie mir nicht nennen, bzw. reichte dazu ihr Bröselenglisch und mein noch rudimentäreres Arabisch nicht.


    Immer wieder kommen Menschen zu uns, die misshandelt wurden. Zufälligerweise entdecken wir (H. schneller als ich) beim Lungeabhören kleine Striemen quer zum Rücken wie von Peitschenschlägen, was der Begleiter des 17jährigen afghanischen Patienten auch bestätigt. Mehr sagen möchten beide nicht.


    Was der junge Syrer hinter sich hat, der heute gegen Ende der Sprechstunde wild gestikulierend zu uns hereinkommt, bekommt auch H. nicht heraus, dafür erkenne ich bald auch ohne ausreichende Sprachkenntnisse, dass der Mann eine böse Psychose hat. Er erklärt umständlich, dass man ihm übel mitgespielt habe, auch hier in Deutschland, und wir sollten ihm ein Zimmer mit einem Bett besorgen, wo er seine Ruhe habe. Ich lasse ihm erklären, dass ich als Arzt ihm ein solches Zimmer nur im Krankenhaus besorgen könne, und damit ist er einverstanden.

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  • Tagebuch 15 - Rückblick zum 30.12.2015


    Schnuppi, die mein Engagement unterstützt und aufmerksam verfolgt, hat mir eingeschärft, ich solle die Flüchtlinge auf die zu erwartende Sylvesterknallerei aufmerksam machen, damit die nicht in Panik ausbrechen und denken es sei jetzt Krieg. Das tun Dometscherin H. und ich auch, wobei nicht nur Schnuppi auf diese Idee gekommen ist - irgendwann geht ein Helfer durch die Bieberhaus-Etage und klebt ein fünfsprachiges Infoblatt an die Wände, auf dem genau das steht.



    Der NDR hat sich ebenfalls dazu Gedanken gemacht -
    httpss://www.ndr.de/nachrichte…des,fluechtlinge5514.html
    in Teilen des Sendegebiets wurde die Knallerei in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften verboten. Den umgekehrten Weg geht die Gemeinde Reichenberg bei Würzburg, die nach vorheriger Information der Betroffenen ein Probeböllern vor einer Unterkunft veranstaltet:
    https://www.tagesspiegel.de/we…r-silvester/12772558.html


    Ansonsten kehrt so langsam Routine bei uns ein. Dazu gehört auch der Umgang mit dem Geräteschwund - von ursprünglich drei Stethoskopen ist inzwischen nur noch eines da (das was ich da um den Hals drapiert hab ist inzwischen auch weg).



    Ich vermute keine Bereicherungsabsicht dahinter, sondern Schusseligkeit von Kollegen, die bei Dienstschluss vergessen haben, es wieder abzunehmen und mit diesem "Halsschmuck" heimgefahren sind - vielleicht wird es ja in irgendeinem Waschkorb entdeckt und wieder zurückgebracht, bevor uns jemand ein neues spendiert.


    Insgesamt hat der Publikumsverkehr jetzt nachgelassen, wohl aufgrund der kälteren Temperaturen und der schärferen Grenzkontrollen, aber es stranden immer noch täglich Hunderte Flüchtlinge hier in Hamburg und nicht nur hier - in Uelzen schlagen sich z.B. täglich engagierte Helfer die Nächte um die Ohren, um die aus dort endenden Zügen kommenden zehn bis fünfzig Flüchtlinge über die Nacht zu versorgen:
    https://www.taz.de/!5259879/


    Vereinzelt nehmen Flüchtlinge auch den Weg zurück nach Süden, zum Beispiel eine Familie, die wegen Erkältung unsere Sprechstunde aufsuchen. Die hatten in der Türkei eine Einreise nach Kanada beantragt und waren irgendwann hierher aufgebrochen, weil sie von den Kanadiern nicht mehr hörten und die Verhältnisse in der Türkei unerträglich wurden. Jetzt bekamen sie Nachricht, dass sie nach Kanada einreisen dürften, aber nur von der Türkei aus ... Da kann man nur noch eine gute Reise wünschen und die Familie mit dem dafür Nötigen ausstatten.

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  • Bei Euch kehrt Routine ein - ich habe Hoffnung, dass das bei uns auch bald sein wird.


    Unsere Deutschkurse können nur schleppend beginnen.


    Zu viele Helfer , die alle guten Willens sind, versuchen "mitzuorganisieren"... einmal sind Räume frei, dann wieder nicht, die Einteilung in Lerngruppen ist sehr schwierig, 10-12 Teilnehmer mit unterschiedlichen Vorkenntnissen sind vorgesehen ( eigentlich zu viel) . Noch kann ich nicht jedesmal mit den gleichen Teilnehmern rechnen, Teilnahmepflicht ist nicht durchsetzbar ...manchmal bringen die Mütter ihre quängelnden Kleinkinder mit ... das alles macht Vorbereitung und effektives Arbeiten sehr schwer.


    Aber es macht dennoch Spaß. Es ist etwas Anderes, Asylbewerber auf der Straße zu sehen oder ihnen persönlich gegenüber zu stehen.


    Die Turnhalle, vorgesehen für rund 240 Flüchtlinge, ist inzwischen überbelegt mit rund 290 Menschen.
    Schwierig......
    Die Stimmung in der Bevölkerung ist geteilt- Vor allem nach den ersten Schlägereien in der Halle. Alkohol, den die jungen Männer nicht gewöhnt sind und der bei uns doch leicht zu erwerben ist, spielt meistens eine Rolle ( aber das ist nicht nur ein Problem der Asylbewerber....)


    Die Kinder ( nicht nur ) sind sehr neugierig ( und anhänglich) Man muss aufpassen, nicht vereinnahmt zu werden (das erzeugt Neid und Eifersucht..)


    Grizzly- Schnuppi hatte den richtigen Gedanken!
    Das geht sogar noch weiter.
    Ich habe kürzlich drauf verzichtet, mit den Kindern in der Halle mit Lufballons zu spielen - ich weiß nicht, ob Kinder traumatisiert sind und die platzenden Luftballons Ängste auslösen könen.
    Wie sie gestern das Silvesterfeuerwerk erlebt haben, weiß ich nicht. Ich war heute nicht dort.


    Im Moment bereite ich mich für die Arbeit mit meiner Gruppe vor ( ich hoffe, dass es irgendwann eine feste Gruppe sein wird)


    Im Internet gibt es sehr viel gutes Material.
    Hier habe ich 18 Youtubevideos des ndr zu verschiedenen Problemen, die den Flüchtlingen in D begegnen können, auf meinen Laptop runtergeladen.


    Wen es interessiert- hier:
    httpss://www.youtube.com/chann…shelf_id=1&view=0&sort=dd
    Mal sehen, wie ich es einsetzen kann.


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Da hast Du ja ordentlich was um die Ohren, liebe Elke !
    Aus ähnlichen Gründen war ich jetzt länger nicht hier, sorry.


    Nicht nur in Hamburg, sondern auch an anderen Bahnhöfen stranden jede Nacht Flüchtlinge und wissen nicht weiter. So auch an dem berühmten Hundertwasserbahnhof in Uelzen, in und um den sich ein engagiertes Team jetzt die 50. Nacht um die Ohren gehauen hat.
    Hier der Bericht eines Aktivisten (Abdruck mit dessen Genehmigung):



    Anmerkung:
    In anderen Ländern sind Bahnhofsübernachtungen gang und gäbe, in Mbeya/Tansania hab ich selber die vorgehaltenen Kinderbettchen in der Bahnhofshalle gesehen, und wie ich eben ergoogeln konnte, sind sie noch immer da , hier die dazugehörige Seite: https://bue.li/reisen/alben/MT/index3.html (2. Bild von oben, vergrößern durch drauf klicken).

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  • Tagebuch Nr. 16


    Nach dem Tod der Hamburger Volksschauspielerin Heidi Kabel zog das Ohnsorg-Theater in den linken Seitenflügel des Bieberhauses, dazu wurde 2011 ein Tel des Hachmannplatzes, der, benannt nach dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister Gerhard Hachmann (1838 bis 1904), in Heidi-Kabel-Platz umgetauft.



    Das ist wichtig für den Fall, dass ich einen Rettungswagen ins Bieberhaus bestellen muss, denn dann weiss vielleicht der Feuerwehrzentralist, wo das Bieberhaus ist, kann es aber nicht in seinen Computer eingeben, denn der kennt nur Straßen und Hausnummern. Und ohne Computereintrag kann er keinen Wagen losschicken.
    Also Heidi-Kabel-Platz - aber Hausnummer steht unten keine dran ... Ich erfand beim ersten Einsatz die Nummer 1, der Rettungswagen kam auch pünktlich. Später hab ich herausgegoogelt, dass die Nummer 1 für das Ohnsorg-Theater steht,



    Gestatten, [URL=https://www.ndr.de/kultur/geschichte/koepfe/Heidi-Kabel-Die-Buehne-war-ihr-Leben,kabel100.html]Heidi Kabel[/URL]


    und wir sind die Nummer 2.
    Einer ordnungsgemäßen Rettungswagenanforderung steht also nichts mehr im Weg.


    1. Januarwoche


    Die verschärften Grenzregimes der skandinavischen Länder haben sich insofern bemerkbar gemacht, dass immer mehr Leute kommen, die nicht wissen, wie es weiter geht. Der Vater ist vielleicht schon in Norwegen, Schweden oder Finnland, und die Restfamilie kampiert hier tagsüber im Bieberhaus, nachts in einer Kirchengemeinde, Moschee oder auch im gegenüberliegenden Schauspielhaus, wenn der Theaterbetrieb zu Ende ist.


    So eine unglückliche Familie hatte ich am Mittwoch wieder vor mir, Kurden aus der Nähe von Suleymaniya, denen der IS das Haus abgebrannt hat - die Mutter hat davon üble Brandnarben zurückbehalten, der Rest der Familie kam unverletzt raus. Vater bereits in Norwegen, die siebenjährige Tochter ist jetzt durch einen Infekt so geschwächt, dass sie getragen werden muss und ich sie ins Krankenhaus einweise, mit Rettungswagen (siehe oben). Derweil legt mir der junge Onkel einen Wust Papier vor, winzige eingeschweisste irakische Identitätskarten in Arabisch und einen Stapel Registrationsdokumente aus Griechenland, Mazedonien und Serbien (wo sie vor vier Tagen noch waren). Und fragt mich, wie sie damit jetzt nach Norwegen kommen. Das weiss ich natürlich auch nicht, und verweise ihn an die Sozialberatung, die den aufgelösten Infotisch ersetzt hat. In Einzelfällen stellen Hamburger Behörden dann Ersatzdokumente aus, aber das dauert.


    Dann gibt's eine neue Komplikation, nämlich die RTW-Besatzung darf nur eine Begleitung mitnehmen. Ich beschliesse, den Onkel mitzuschicken, der ein bissl englisch spricht, und die Mutter samt kleinem Bruder einer Helferin anzuvertrauen, die sie mit dem HVV hinterher bringt. Das Fahrgeld legen wir zusammen, denn unsere Sozialberatung hat noch kein Geld.
    Später ruft die Helferin aus dem Krankenhaus nochmal an, unter welchem Familiennamen ich das Kind eingewiesen hab, denn in kurdischen Familien haben die Frauen oft andere Familiennamen als die Ehemänner (und die Kinder). Da kann ich helfen, und zwei Tage später meldet sich das Krankenhaus, wir könnten die Familie wieder abholen, dem Kind geht's gut.


    P.S.
    Gehhilfen haben wir inzwischen genug

    also bitte erstmal keine mehr spenden.
    Was wir brauchen, ist GELD, Kohle, Penunzen ...
    Ohne Moos nix los, der PARITÄTISCHE hat zwar bundesweit vor Weihnachten mit Hilfe des NDR 2.25 Millionen an Spenden zusammengekratzt, das geht aber eben nicht nur nach Hamburg (mW. bekamen wir hier 300.000 €). Und davon müssen nicht nur die inzwischen vier hauptamtlichen Helfer/innen (zu denen ich NICHT gehöre, mich bezahlt die ärztliche Rentenversicherung) finanziert werden, sondern auch der Medikamentennachschub, der ständig schrumpft, und diverses andere, was ich nicht überschaue.


    Also bittschön:
    Bank für Sozialwirtschaft
    Kontonummer: 637 637 015
    BLZ: 251 205 10
    IBAN: DE11 2512 0510 0637 6370 15
    BIC: BFSWDE33HAN
    Empfänger:
    Der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband, Gesamtverband e.V.

    Verwendungszweck: Flüchtlingshilfe Hamburg Hauptbahnhof könnte man noch draufschreiben.


    Dankschön, shukran, tashakor

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  • P.S.
    Wer nix spendet, weil das Geld für die "eigenen" Flüchtlinge gebraucht wird - dafür hab ich natürlich Verständnis ;)

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  • Wer flüchten will, flüchtet und ist durch nichts aufzuhalten. Wenn der eine Weg zu ist, gibt's einen anderen. Und auch der Winter ist kein Hindernis. Hier eine Reportage von der "Balkanroute" aktuell (Lautsprecher einschalten):
    https://www.daserste.de/inform…i-eis-und-schnee-100.html

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  • Zitat von Grizzly

    Wer flüchten will, flüchtet und ist durch nichts aufzuhalten.


    Wie wahr...


    Ich habe das Video angeschaut...
    bedrückend..
    und immer die Frage (auf die es keine richtige Antwort gibt) : Wie geht es weiter?


    Auch in unserer Halle sind wieder neue Flüchtlinge angekommen. Etliche Familien mit Kindern.
    Es ist ein Kommen und Gehen...
    Wann können die Menschen zur Ruhe kommen?


    Gruß,
    Elke

  • In der vorletzten Woche war ich zum ersten Mal nach den Feiertagen wieder in einigen Unterkünften. Es herrschte eine gedrückte Stimmung ob der Kölner Silvesternacht. Erst, als ich in einem Camp die Einladung zum Essen annahm und mich mit den jungen Männern - vorwiegend Irakern und Syrern - um ein Backblech herum setzte, war eine gewisse Erleichterung zu spüren. Sie hatten befürchtet, dass sie alle für diese Übergriffe verantwortlich gemacht würden.


    Und ja, es hat gemundet. Die Jungens hatten Hähnchenteile, Kartoffeln und Gemüse in einer scharfen Sauce im Backofen zubereitet. Mit Fladenbrot wurde vom Blech getunkt und gegessen.


    Lieben Gruß,
    Klaus

  • Ich denke, das geht erstmal so weiter. Denn die Fluchtgründe bestehen weiterhin.


    Ein paar Gedanken "zu Köln", ich denke, hier passt es besser rein als in einen eigenen Thread.
    Zufällig hab ich vor 45 Jahren einige Männer aus der ersten Generation der jetzt im Ruch des Besondersböseseins stehenden Düsseldorfer Marokkaner kennen gelernt. Ich war damals auch so ein Paria, nämlich ein männlicher Krankenpflegerschüler an den "Städtischen Krankenanstalten", später Uniklinik Düsseldorf. Paria deshalb, weil die Krankenpflegeleitung damals fest in der Hand der Rotkreuzschwestern war, die in den Anfängerblocks der Schwesternschülerinnen Sätze verbreiteten wie: "Krankenpflegeschüler, meine Damen, sind unter Ihrem Niveau !" Ein gemeinsames Wohnheim, wie sonst üblich, wäre dort unmöglich gewesen.
    Meine - gemessen an der Anzahl der Schwestern - wenigen Mitschüler und ich liessen es sich allerdings nicht nehmen, uns auf das Niveau der angesprochenen Damen zu begeben, in einigen Fällen durchaus erfolgreich.


    Zurück zu den Marokkanern. Aus irgendeinem Grund konzentrierten sich die Migranten aus diesem Land auf Düsseldorf, und die Geländearbeiter der Klinik waren fast alle von dort. Sie hatten die Scheissjobs, sie fuhren den Müll weg, fegten die Straßen im Gelände und mussten im Winter früh raus zum Schneeräumen. Ich wohnte zwei Jahre in der gleichen Baracke wie sie und wurde mitgeweckt, wenn die Geländeaufsicht wintermorgens um 5 in die Baracke gerammelt kam und an die Türen donnerte: "Ali, aufstehen ! Schneeräumen ! 6 Uhr Dienstbeginn !!"


    Und wie ein Nachfahre der damals Gebeutelten in die Lage gekommen ist, ein Kölner (oder Hamburger, oder ...) Täter zu werden, und wie man ihm da vielleicht wieder raus helfen kann, steht in diesem Artikel:
    Sex muss nicht haram sein

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  • hallo Grizzly,


    ich glaube die taz macht es sich da zu einfach. Sicherlich mangelt es an der Aufklärung an sich in den Herkunftsstaaten. So lange aber die religiös Verantwortlichen den Koran den Menschen so vermitteln, daß eine Frau als Eigentum betrachtet werden kann, so lange wird sich nichts ändern. Selbst die junge Generation von Männern, die sicherlich mit modernen Kommunikationsmitteln vertraut und übers www nicht ungebildet ist übernimmt diese jahrhundertealte Tradition. Ehrlich gesagt kann ich mir auch nicht denken, wer die Autorität hat, es diesen männlichen Migranten beizubringen, daß diese Verhaltensweise falsch ist.


    Vor ein paar Tagen kam im Fernsehen ein Film über das Leben von Waris Dirie (Titel Wüstenblume), einem somalischen ehemaligem Top Modell, die sich mittlerweile entschieden und medienwirksam gegen die Beschneidung von Frauen einsetzt. Der letzte Satz im Film lautete: "Jeden Tag werden derzeit auf allen Kontinenten noch ca. 6000 Frauen so verstümmelt". Wie kann so etwas nicht nur am Ende der Welt in der somalischen Wüste sondern mitten unter uns in den sogenannten zivilisierten Ländern geschehen? Das hat nichts mehr mit Tradition zu tun. Das ist die reine Mißachtung der Rechte einer Frau.


    httpss://de.wikipedia.org/wiki/Waris_Dirie


    Was in Köln oder Hamburg oder anderswo an Sylvester geschehen ist, dürfte sich bestimmt noch einige Male in unserem Land wiederholen. Diesbezüglich sehe ich schwarz zumal ich davon ausgehe, daß da aufgrund der schwierigen Beweislage kaum rechtskräftige Verurteilungen resultieren, die der Abschreckung dienen könnten.


    grüsse


    jürgen

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