Trajektanlagen am Niederrhein

  • Bei meiner Suche nach Spuren von Kaiserin Elisabeth von Österreich in Zeitungsarchiven stieß ich auf einen Bericht einer technischen Anlage die ich in dieser Form noch nicht kannte. Ich hatte zwar schon vom Transport von Eisenbahnwaggons über Flüsse oder Seen gehört und im Falle von Lindau auch darüber berichtet, aber dort wurden die Wagen über eine geneigte Böschung auf das Schiff bewegt und ebenso wieder entladen. Bei der Trajektanlage zwischen den Duisburger Stadtteilen Ruhrort und Homberg wurden anfangs auch auf beiden Rheinseiten spezielle Hafenbecken, sogenannte Eisenbahnbassins mit Rampen mit einer Neigung von 1:12 angelegt, auf denen Schienen bis ins Wasser hinein verlegt waren. Ende 1852 wurden auf Fährponten mit je 3 Eisenbahnwagen die an Schleppern befestigt wurden der Transport über den Rhein aufgenommen.

    Um die Kapazität zu erhöhen begann man 1854 mit dem Bau von hydraulischen Hebeanlagen an beiden Bassins die am 1. Mai 1856 in Betrieb gingen. Dazu schrieb die Illustrierte Zeitung:



    Durch die Hebeanlagen und die weitere Nutzung der Rampen bei Bedarf konnte die Fährleistung auf etwa 50 000 Waggons pro Jahr gesteigert werden. Das reichte auch noch nicht. Durch die Indienststellung eines weiteren Fährschiffes konnte die Leistung der Anlage auf über 100.000 trajektierte Wagen jährlich erhöht werden.


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    Nach unterschiedlichen Angaben in der bekannten Literatur wurde der Trajektbetrieb am 1. April 1885 durch die Königlich Preußische Staatseisenbahn eingestellt.


    Der baufällige Hebeturm auf der Ruhrorter Seite wurde 1971 abgerissen.

    Sein Pendant in Homberg steht heute noch und wurde zeitweise als Jugendherberge genutzt. Er ist heute Teil der Route der Industriekultur.

    Das wollte ich mir aus der Nähe betrachten. Auf meiner Fahrt nach Amsterdam machte ich einen kleinen Abstecher zum Trajektturm von Homberg.

    Leider wurde er total entkernt und die Technik verschrottet. Heute wird in dem Turm gewohnt.


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    Am Turm sehen wir das Wappen des Königreichs Preußen. Der gekrönte Adler mit dem Zepter und dem Reichsapfel in seinen Fängen.

    Auf der Brust trägt er die Initialen FR für Fredericus Rex, dem König Friedrich I. von Preußen.


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    Vor dem Turm steht eine Info-Tafel mit der kuzen Geschichte des Turmes...


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    ...und einer Zeichnung auf der außer dem Turm auch das Maschinenhaus zu sehen ist.


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    Im Hafen vor dem Turm liegt seit 1984 das Schulschiff "Rhein" vor Anker. Hier werden angehende Binnenschiffer ausgebildet.

    Das Schulschiff bietet während der dreimonatigen Berufsschulblöcke Unterkunft, Verpflegung und Betreuung für Schüler aus dem ganzen Bundesgebiet.


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    Bei meinen Recherchen erfuhr ich von zwei weiteren Trajekt-Projekten in der Region Niederrhein.



    Trajekt Spyck-Welle


    Am 5. Juli 1862 vereinbarten die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft (RhE) und die Nederlandse Rhijnspoorweg (NRS) in Köln eine Verknüpfung ihrer beiden Bahnen auf deutschem Boden.

    Die RhE führte ihre Strecke ab Kleve 1865 weiter über Griethausen und überbrückte dort den Altrhein auf einer 100 Meter langen Gitterträgerbrücke (Griethausener Eisenbahnbrücke), die heute noch steht.

    Daran schloss sich der 314 Meter lange Vorfluter mit 20 Öffnungen an. Die Strecke lief dann weiter quer über die Rheinhalbinsel Salmorth bis zum Rheinufer in Spyck, wo ein Bahnhof mit 4 Aufstellgleisen für die Auflösung der ankommenden Züge und die Neuzusammenstellung der trajektierten Wagen errichtet wurde. Von hier zum rechtsrheinischen Welle war seit der Stromregulierung eine der schmalsten Stellen des Niederrheins, die mit dem Trajekt überquert werden sollte.


    Die Freigabe für den Güterverkehr mit zwei Fährstraßen über den Rhein erfolgte am 19. April 1865, und einige Tage später, am 21. April, lief der erste Personenzug von Köln über das Trajekt nach Zevenaar. Für die Überfahrt mit dem Trajekt hatte man im Fahrplan 20 Minuten eingeplant. Davon entfielen jeweils vier Minuten auf die Bewegung der Wagen auf den geneigten Ebenen und acht Minuten auf die eigentliche Schifffahrt.


    Die Fährponten mit den Wagen der Bahn sollten nicht frei über den Strom fahren, sondern zwischen zwei quer über den Strom gespannten Ketten den Strom überqueren. Erst als man die Ketten durch starke Drahteile ersetzte, gelang die Trajektierung. Das im Oberwasser laufende stärkere Seil lief auf der Ponte über Rollen und diente als Führungsseil. Das dünnere Seil im Unterwasser lief auf der Ponte über zwei Räder, die von einer Dampfmaschine angetrieben wurden und die Ponte über den Strom beförderten.


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    B1 Lokomotive AETNA der RhE mit zwei Zwischenwagen auf der Landebrücke und der Ponte.

    In der Mitte der Ponte seht Ihr die Seilantriebsräder und den Dampfkessel.

    Ein Foto aus dem Jahre 1913, Trajektierung eines Personenzuges in Welle. Gegenüber steht die Ölmühle von Spyck.


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    Ende 1912 wurde der Trajektverkehr eingestellt und die Gleisrampen auf beiden Ufern abgebaut.

    Die Fahrgäste wurden mit einem Dampfboot übergesetzt.

    Während des Ersten Weltkriegs wurde der Zugbetrieb auf zwei Zugpaare reduziert.

    Nach Kriegsende kündigte die Nederlandse Spoorwegen (NS) den Vertrag und die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) betrieb den Zug- und Fährdienst noch bis zum 31. August 1926.

    Um 1930 wurden auf der rechten Rheinseite die Gleise der Strecke Welle – Elten abgebaut.

    Dagegen wurde linksrheinisch der Personenverkehr bis zum 29. Mai 1960 und der Güterverkehr zu der direkt am Rhein liegenden Ölmühle noch bis 1987 durchgeführt. Danach wurde auch dieser Streckenabschnitt stillgelegt.


    Bis heute erhalten blieb die 100 Meter lange Griethausener Eisenbahnbrücke die über den toten Rheinarm auf die Halbinsel Salmorth führt und dort mittels zwanzig Fachwerkträgerbrücken das Hochwasserbett überquert.

    Auf dem Damm von Griethausen beginnt die Brücke.


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    Das Geheimnis des guten Zustandes der Brücke liegt im Werkstoff! Das im Puddelverfahren hergestellte Schmiedeeisen zeichnet sich durch einen sehr niedrigen Gehalt an Kohlenstoff und einen hohen Gehalt an Phosphor aus. Beides beeinflusst in Verbindung mit geringen Kupfer- und Nickelanteilen die Korrosionsbeständigkeit des Werkstoffs mit der Wirkung, dass die Brücke so gut wie nicht rostet, obwohl der letzte Schutzanstrich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre aufgetragen wurde.


    Eine zweite Infotafel neben dem leider verschlossenen Tor zur Brücke erzählt von alten Eichenpfählen im Wasser.


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    Die konnte ich leider nicht sehen weil gerade das Sturmtief Sabine über uns hinweg zog und für Hochwasser sorgte.


    Um zum Platz der Trajektanlage von Spyck zu kommen überquerte ich die Straßenbrücke zur Halbinsel Salmorth.

    Davor musste ich durch das "Rheintor" im Damm von Griethausen fahren.


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    Dann konnte ich die Eisenbahnbrücke gut fotografieren.


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    In der Fortsetzung der Gleise über das Hochwasserbett des Rheins hat man auf einen Bahndamm verzichtet und Einzelbrücken mit Flutöffnungen gebaut.


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    Das gesamte Brückenbauwerk erstreckt sich über eine Länge von knapp 485 Metern.


    Die Rampen an der Ölmühle und am gegenüberliegenden Ufer sind nicht mehr erkennbar.


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    Da drüben müsste irgendwo der Eisenbahnhafen von Welle gewesen sein.


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    Trajekt Rheinhausen-Hochfeld


    Als bei Spyck das Trajekt überwiegend problemlos funktionierte erteilten die Preußen am 16. Juli 1863 die Konzession für den Bau eines Trajektes zwischen dem linksrheinischen Rheinhausen und dem Duisburger Stadtteil Hochfeld. An den Ufern wurden größere Hafenbecken ausgebaggert um die Anlegestellen von der Strömung freizuhalten. Die Gleisrampen führten mit einer Neigung von 1:48 von den Rangierbahnhöfen an beiden Ufern zum Wasser hinab. Für den Transport der Wagen wurden bei der Kölner Maschinenanstalt in Köln-Bayenthal fünf Fährponten bestellt. Die 47 Meter langen Ponten "Ruhr", "Lahn" und "Mosel" konnten jeweils acht Güterwagen oder fünf Personenwagen tragen. Die vierte Ponte, die 63 Meter lange "Rhein" trug zehn Güter- oder sieben Personenwagen. Die fünfte Ponte, genannt "Eisponte", fasste fünf Güterwagen. Auf jeder Ponte war neben dem Gleis eine Dampfmaschine mit 30 PS Leistung aufgestellt, die über ein Getriebe und eine 2,5 Meter große Seilscheibe die Ponte am Zugseil über den Rhein zog. Die Waggons wurden über eine fahrbare Landebrücke mit leichten Zwischenwagen auf die Ponte geschoben bzw. am anderen Ufer abgezogen.


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    Das Trajekt mit zwei Fährstraßen für den Güterverkehr wurde am 23. August 1866, und für den Personenverkehr am 1. September 1866 aufgenommen. Die dritte und vierte Fährstraße wurden erst im folgenden Jahr fertiggestellt.

    Durch Sturm, Hochwasser und Eisgang war der Trajektverkehr in jedem Jahr etwa vier Wochen lahmgelegt.

    Trotzdem stieg die Leistung der Trajektanstalt von 104.000 Wagen und 51 Lokomotiven im Jahre 1867 bis auf fast 350.000 Wagen und 286 Lokomotiven im letzten Betriebsjahr 1873 an.

    An Kohlen wurden im Jahr 1867 über 8 Millionen Zentner und 1873 über 28 Millionen Zentner über den Rhein befördert.


    Als die preußische Militärführung den Bau von Rheinbrücken außerhalb von Garnisonsstädten nicht mehr als problematisch betrachtete, genehmigte sie den Bau einer Eisenbahnbrücke als Ersatz für das Trajekt zwischen Rheinhausen und Hochfeld.


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    Am Heiligen Abend von 1873 lief sämtlicher Güterverkehr über die neue Brücke. Die Personenzüge wurden noch bis zum 14. Januar 1874 trajektiert. Danach wurden die Trajekt-Anlagen abgebaut.

    1925 baute man direkt neben der ersten Brücke eine zweite. Sie war den Anforderungen nicht mehr gewachsen und wurde abgerissen. Nur der Brückenturm auf der Rheinhausener Seite blieb stehen.


    Mein Besuch in Hochfeld begann am alten Eisenbahnbassin das gerade von Dreck befreit wurde den "Sabine" reingeblasen hatte.


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    Die Rampe existiert nicht mehr.


    Am Hafen entlang ging ich in Richtung Brücke.


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    Es schien zwar momentan die Sonne, aber der starke Wind war eisig.


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    Die neue Brücke wurde auf dem erweiterten alten Brückenpfeiler in Strommitte gelagert.


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    Nicht nur Brückenturm, sondern ein kleines Kunstwerk, meine ich.


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    Er befindet sich übrigens in Privatbesitz.


    Die Brückenrampe auf der Hochfelder Seite.


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    Damit bin ich am Ende meiner Exkursion auf den Spuren der Trajektanlagen am deutschen Niederrhein.

    Es ist sicher nicht für jeden interessant, aber mich hats fasziniert.



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • aber mich hats fasziniert.

    Mich auch , waldi !


    Ich möchte alles noch einmal genau lesen. Du hast es wieder so gründlich und vorbildlich recherchiert und ich bin wieder mal beeindruckt, welch technische Meisterleistungen man im 19. Jahrhundert vollbracht hat .

    Tolle Ingenieursleistungen mit großem Können und Selbstbewusstsein.


    Danke, Waldi !


    Auf meiner Fahrt nach Amsterdam

    Da dürfen wir sicher auf noch "mehr" hoffen ! ??;)


    Liebe Grüße,

    Elke

  • hallo Waldi,


    danke fürs Zeigen. Mir war bis heute unbekannt, daß auf den Bau von Rheinbrücken aus strategischen Gründen lange verzichtet wurde. Dies deshalb, weil mir bekannt ist, daß ja schon die alten Römer Brücken über den Rhein gebaut hatten.


    Auch die Tatsache, daß kaum rostender Stahl verwendet wurde ist mir neu. Heute hat man ja die Möglichkeit der Verzinkung was ebenfalls die Haltbarkeit von Metall im Außenbereich erheblich verlängert.


    grüsse


    jürgen

  • Bei meiner Suche nach Spuren von Kaiserin Elisabeth von Österreich in Zeitungsarchiven stieß ich auf einen Bericht einer technischen Anlage die ich in dieser Form noch nicht kannte.

    Da zeigt der Franke dem Westfalen, was es für interessante Dinge in dessen Nachbarschaft gibt. Herzlichen Dank, waldi! :174:


    Da laufe ich ähnliche Wege ab und sehe nur grau in grau und weiß gar nicht, was für geschichtsträchtige Motive ich vor der Linse habe.




    Noch einmal **\'6,

    Klaus

  • Da dürfen wir sicher auf noch "mehr" hoffen ! ??;)

    Ich denke dass da noch ein paar Bilder folgen, Elke!


    Mir war bis heute unbekannt...

    Mir auch, Juergen! Das wird noch mehr Lesern so gehen. Geschichte war nie mein Fach! (das lag an den Lehrern die den Stoff nicht attraktiv rüber brachten)

    In der Berufsschule hatte ich auch mal was von einem Puddelofen gehört, aber das ist sehr lange her.


    ...und weiß gar nicht, was für geschichtsträchtige Motive ich vor der Linse habe.

    Du kennst doch das Sprichwort von Goethe, Klaus:

    "Willst du immer weiter schweifen?

    Sieh, das Gute liegt so nah.

    Lerne nur das Glück ergreifen:

    Denn das Glück ist immer da."


    Vielen Dank für das tolle Bild über das Bassin! Vermutlich von der Rheindeichstraße aus fotografiert, oder?

    Jedenfalls ist es eine hervorragende Ergänzung!



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Hallo waldi


    danke für diesen hochinteressanten, außerordentlich gut recherchierten Bericht. Auch mich hat dies fasziniert, und schwer beeindruckt, was damals schon möglich gemacht wurde.

    :blume17: Grüssle von Sylvi


    Nicht woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt, darauf kommt es an!

  • Es ist sicher nicht für jeden interessant, aber mich hats fasziniert.

    waldi mich hat es nun so fasziniert, daß ich mich nach der ersten Lektüre des Berichtes, nun noch auf Deine Spuren via Google Maps begeben habe und die Orte gesucht und gefunden habe.

    Sehr spannend und interessant.

    :blume17: Grüssle von Sylvi


    Nicht woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt, darauf kommt es an!

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