Teil 08
5 – Die Wanderung am Berg – Mittwoch, der 17.04.2024
Vormittag und Mittag:
Auf den heutigen Tag hatte ich mich ganz besonders gefreut. Wir hatten unsere Hauptwanderung für heute geplant. Dafür hatten wir uns einen Berg ausgesucht, und zwar nicht irgendeinen Berg, sondern den Berg. Der Attavyros ist mit einer Höhe von 1.215 Metern der höchste Berg auf Rhodos. Es gibt zwei Wanderwege hinauf auf den Gipfel. Wir hatten uns für den leichteren Aufstieg vom südlich gelegenen Bergdorf Agios Isidoros entschieden, der den Wanderer ohne steilere Aufstiege über die Südseite zum Gipfel führt. Unweit des Gipfels befinden sich neben einer Radarkuppel die Ruinen des Tempels Attavyros Zeus und eine christliche Kapelle. In der griechischen Mythologie spielt der Berg eine wichtige Rolle. Althaimenes soll auf dem Gipfel dem Zeus ein Heiligtum errichtet haben, um dem Schicksal, seinen Vater töten zu müssen, entgehen zu können. Hierbei handelt es sich um die noch heute erhaltenen Ruinen.
Vom Weindorf Embonas führt der steilere Wanderweg über die Nordwest-Seite hinauf, ist aber in Abschnitten auch nur für erfahrene Wanderer geeignet. Darauf wollten wir lieber verzichten, obwohl man sich hier einige Kilometer erspart. Bei besonders klarem Wetter soll man vom Gipfel sogar bis nach Kreta schauen können. Wir hatten uns ordentlich Wasser eingepackt und auch einige Brötchen geschmiert, so dass wir uns gut vorbereitet auf den Weg machten.
Marco parkte am Ortsausgang von Agios Isidoros, und wir schulterten unsere Rucksäcke. Die Wanderung beginnt mit einem asphaltierten Weg, geht jedoch in einer Kurve durch ein Eisengatter in eine Schlucht hinein. Schon hier merkt man, auf was man sich einlässt. Die Umgebung ist außerordentlich rau und karstig. Es ist Vorsicht geboten. Immer weiter entfernt man sich von der Zivilisation. Über spitzes und scharfes Gestein und Geröll wanderten wir durch die Schlucht. Kurzzeitig war es schwer, dem vorgegebenen Weg zu folgen, doch ließen wir uns nicht beirren. Alsbald folgten dann wieder die roten Markierungen, die hin und wieder auf dem Gestein angebracht waren. Nun ging es in angelegten Serpentinen langsam den Berg hinauf. Die Umgebung war fantastisch und wild.
Hier war es nicht leicht, dem richtigen Pfad zu folgen
Vorbei an vereinzelnten Baumgruppen
Bei einer solchen Wanderung vergisst man alles, was einen sonst bewegt, jegliche Sorgen, die man vielleicht haben mag. Man konzentriert sich auf den Pfad, ist allein mit sich und der rauen Natur. Ich liebe das. Mit jedem Schritt entfernt man sich weiter vom Leben in den Dörfern. Man bekommt ein Gespür für die Insel, die karge Vegetation. Ja, das ist Rhodos. Marco musste besonders vorsichtig sein, da ihm seine Knie manchmal etwas Schwierigkeiten bereiten. Der Weg verlief teilweise über aufgeschüttete Steinpfade, deren sich am Hang befindliche Seiten sichtbar durch aufeinander gestapelte Steine eingefasst sind. Das sieht sehr schön aus. Hin und wieder spendeten krumme Kermeseichen ein wenig Schatten, auf den man jedoch weitestgehend verzichten muss.
Ich fühlte mich ganz wunderbar. Wir sahen einige Ziegen, denen das Umherkraxeln im Gestein um einiges leichter fiel als uns. Sie waren ganz in ihrem Element, standen an schrägen Steilwänden, deren wir niemals Herr geworden wären. Viele bunte Blumen tauchten rechts und links am Wegesrand zwischen den Felsen auf. Ich hatte mir extra für diesen Urlaub günstige Turnschuhe gekauft und machte mir einige Sorgen, da sich die Sohle hinten schon langsam abzulösen schien. Marco sorgte sich ein wenig ob der Schwierigkeit der Wanderung, doch auch er hatte ein Lächeln im Gesicht. Agios Isidoros war schon lange nicht mehr zu sehen. Wir legten ein Päuslein ein und verdrückten unsere ersten Brötchen.
In Serpentinen geht es nach oben
Dann erreichten wir ein erstes Plateau. Hier waren die Bäume von rund angelegten, kleinen Mauern umfasst, was eindeutig bewies, dass auch vor uns bereits Menschen an diesem Ort gewesen sein mussten. Es fanden sich sogar Holzschilder oder das, was davon übrig war. Der manchmal etwas unvorsichtige Heiko hatte selbstverständlich kurze Sachen an, denn es war ja warm. Das war auch nicht das Problem, doch ein leichter Wind kam auf. Marco zog eine Fleecejacke an. Einige Agaven und niedere Büsche waren nun unsere Begleiter. Bäume wurden hier oben immer seltener. In der Ferne tauchten die großen Windräder der Windfarm Aenaos am Nebengipfel Frameno auf, über den wir schließlich hinüber zum Attavyros kommen würden.
Marco hat sich eine Jacke angezogen
Nach anderthalb Stunden erreichten wir eine Art Plattform, die eventuell ein Wasserreservoir darstellt. Hier befinden sich windgeschützte Plätze zum Zeltaufbau. Circa ein Drittel des Aufstiegs war bewältigt. Wenn man hier ankommt, befindet man sich bereits weit, weit in der kargen Wildnis. Schon jetzt merkte ich, dass unser Zeitplan nicht ganz aufgehen würde. Wir hatten 8 Stunden eingeplant. Das würde wahrscheinlich nicht ganz reichen. Zeit für eine ausgedehnte Pause. Während wir unsere weiteren Brötchen verdrückten, holte ich heimlich mitgebrachte Schnäpschen hervor, um Marco eine kleine Freude zu machen. 3 Kümmerling für jeden. Den ersten tranken wir nun. Marco musste schon schmunzeln.
Die weit entfernten Windräder und das Wasserreservoir
Langsam kamen wir hinüber zu den großen Windrädern am Gipfel Frameno. Zwischen den Gipfeln befindet sich eine Art kleine Mulde im Gelände. Der Wind nahm zu, und das nicht nur leicht. Er zerrte sogar an uns, doch kam er von hinten, was noch einigermaßen zu ertragen war. Marcos Kleidung war hierfür die wahrscheinlich bessere Wahl. Die Radarkuppel auf dem Attavyros kam in Sicht, doch war sie noch weit entfernt. Die vom Wind an den Windrädern erzeugten Geräusche wurden lauter und fast unheimlich. Unbarmherzig zerrten die Böen an den hohen Geräten.
Im Hintergrund die Radarkuppel am Attavyros
Der Gipfel Frameno ist erreicht
In der Nähe der Windräder begann ein wiesenbedecktes Gelände, auf dem sich nun angenehm laufen ließ. Hier trafen wir sogar auf einige Schafe, die sich in der Nähe einer Tränke aufhielten. Direkt unter den riesigen Windmonstern begann ein Schotterweg, der uns geradewegs hinüber zum Attavyros bringen würde. Wir hatten den Nebengipfel Frameno nach zweieinhalb Stunden erreicht, die Hälfte der Strecke. Direkt unter den Rädern fassten wir einen Entschluss. Zur Sicherheit sollte es gut sein, wir gaben uns zufrieden mit dem Erreichten und kehrten um. Marco beruhigte dies. Die Wanderung ist einfach zu lang. Letztendlich würde man 10 Stunden brauchen. Es ist ein tagesfüllendes Unterfangen. Man muss nicht immer im Leben bis zum bitteren Ende durchhalten, sondern auch mal mit dem bereits Erreichten zufrieden sein, was sich auch auf viele Situationen im Leben projizieren lässt.
Rätselhafte Färbungen auf dem Gestein
Wir traten also den Rückweg an. Sagten den Schafen goodbye. Ein schwarzes war darunter. Ich entdeckte einen kleinen Mistkäfer auf dem Pfad, der offensichtlich etwas Schafsdung zu einer Kugel zusammen gerollt hatte und diese nun zielstrebig den Pfad hinauf rollte. Ich zeigte ihn Marco, der so etwas in der Natur noch nie gesehen hatte. Er war ganz begeistert, wie stark der Käfer war und welch Hindernisse er überwand, um die Kugel, die größer war als er, in Sicherheit zu bringen. Die Käfer rollen die Kugel rückwärts, stemmen die Kugel also mit den starken Hinterbeinen in die gewünschte Richtung. Wir begleiteten ihn ein Stück, und Marco feuerte ihn an: „Du schaffst das!“ Wir lachten viel. Hin und wieder hatte der Mistkäfer sich überschätzt und wollte die Kugel über für ihn zu große Steine rollen. Das hätte nicht funktioniert, doch Marco half ihm, räumte die Hindernisse aus dem Weg. Das war lustig, und etwas Spaß muss ja auch sein.
Der Wind kam uns nun entgegen, zerrte an uns und wehte so stark, dass das Fortbewegen manchmal gar nicht so einfach war. Doch wir kämpften uns wieder zurück. An unserem vorherigen Rastplatz machten wir wieder Halt, aßen die Reste und tranken auch den Rest Kümmerling. Schließlich kamen wir wieder zurück in die Schlucht am Anfang des Weges und erreichten nach ungefähr viereinhalb Stunden das Auto. Wir hatten gekämpft und gelacht und ein raues Stück Natur in den Bergen auf Rhodos kennengelernt. Es war unbeschreiblich.