Bei einer Spazierfahrt kam ich an einer Kapelle vorbei die mein Interesse weckte.
Eine Hinweistafel am Straßenrand verriet mir den Namen der Kapelle: Mariä Heimsuchung Kapelle.
Leider war sie verschlossen. Ich musste mich also mit den Äußerlichkeiten begnügen.
Im Giebel entdeckte ich diese Tafel mit deutscher Inschrift.
Es musste also eine Marienkapelle sein.
Diese Annahme wurde durch eine Tafel darunter bekräftigt.
Der Name des Ortes wird hier auch erwähnt: Kirva.
Kirva? Auf dem Ortsschild steht aber Máriahalom!
Das Schild mit dem alten deutschen Namen Kirwa hatte ich nicht beachtet. Warum aber mal mit v und mal mit w?
Das ungarische Alphabet kennt eigentlich kein w, sondern das v wird wie ein w gesprochen. Das w gibt es nur bei Eigennamen.
Das Zusatzschild mit der deutschen Schreibweise dürfte erst nach der Wende auf Veranlassung von Nachkommen der Vertriebenen angebracht worden sein.
Die früheren deutschstämmigen Dorfbewohner hatten sich schon so weit "magyarisiert", dass sie den Ortsnamen und auch teilweise ihren Familiennamen angepasst hatten. Auch die Vornamen waren meist schon ungarisch. Das sehen wir später an den Namen der Kriegsopfer.
Die deutschen Spuren und der ungarische Ortsname mobilisierten meinen Forscherdrang.
Máriahalom (damals hieß der Ort noch Kirva) erscheint erstmals 1255 als Kloster der Klarissen in Dokumenten.
Nach der Vertreibung der Türken - die das Dorf zerstört hatten - aus Ungarn am Ende des 17. Jhd., wurde Kirva wieder Eigentum der Klarissen.
Durch den Erlass von Kaiser Joseph II vom 12. Jänner 1782 verschwanden auch die Klarissen aus Kirva und ihr Eigentum ging an den Religionsfond über. Darauf kamen die ersten neuen Bewohner des Landgutes aus den Nachbarorten wie z.B. Csolnok, Zsámbék und Perbál.
Wegen des Mangels an Arbeitskräften in den dünn besiedelten Gebieten Ungarns warb Kaiser Joseph II. im Jahr 1782 im süddeutschen Bereich mit 10 Jahren Steuerbefreiung, Häusern und Vieh für neue Siedler. Den Wortlaut des k.k. Patentes findet Ihr im Spoiler.
Spoiler anzeigen
Ansiedlungspatent Josephs II.
Wien, den 21. September 1782
Wir Joseph der Andere, von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, König in Ungarn, Böhmen, Galizien und Lodomerien etc. thun hiermit Jedermänniglich kund, daß Wir in unsern Königreichen Ungarn, Galizien und Lodomerien viele unbesetzte, leere und öde Gründe besitzen, welche Wir gesonnen mit Deutschen Reichsgliedern, besonders aus dem Ober-Rheinischen Kreise, anzusiedeln. Zu dem Ende versprechen Wir, bei unserer angebohrenen kaiserl. königl. Parole allen zu uns wandernden Reichs-Familien, deren Wir viele Tausende an Ackersleuten und Profeßionisten benöthiget sind:
Erstens: Eine gänzlich vollkommene Gewissens- und Religions-Freyheit; wie auch jede Religions-Parthey mit denen benöthigten Geistlichen, Lehrern, und was darzu gehöret auf das voll-kommenste zu versorgen.
Zweitens: Eine jede Familie mit einem ordentlichen neuen nach Landes-Art geräumigen Haus, nebst Garten zu versehen.
Drittens: Die Ackersleute mit dem zu jeder Familie erforderlichen Grund, in guten Aeckern und Wiesen bestehend, wie auch mit dem benöthigten Zug- und Zucht-Vieh, dann Feld- und Haus-Geräthschaften zu beschenken.
Viertens: Die Profeßionisten und Tagwerker hingegen, haben sich blos deren in der Haus-wirthschaft nöthigen Geräthe zu erfreuen: wo nebstbei aber denen Profeßionisten für ihre Handwerks-Geräthe anzuschaffen 50 Gulden Rheinisch im Baaren ausgezahlt werden.
Fünftens: Der älteste Sohn von jeder Familie ist und bleibt von der Militär-Rekrutierung befreyet.
Sechstens: Jede Familie erhält von Wien aus freie Transportierung bis auf Ort und Stelle der Ansiedlung, wozu die benöthigten Reisegelder ausgezahlt werden; darnach dauert die Verpflegung noch so lange fort, bis die Familie im Stande ist, sich selbsten zu ernähren. Sollte aber nach dieser Unterstützungs-Frist eine oder andere Familie in ein unverschuldetes Unglück gerathen, so wird gegen dreyjährige Rückerstattung aller Vorschub geleistet.
Siebentens: Um die neuen Ankömmlinge, welche auf der Reise, oder wegen Veränderung des Klimas, oder auch auf sonstige Weise erkranken, möchten, so geschwind als möglich in ihren vorigen gesunden Zustand zu versetzen, werden Spitäler angelegt, um dieselbe darinnen auf das sorgfältigste unentgeltlich zu verpflegen.
Achtens: Endlich wird diesen Reichseinwanderern von dem Tag ihrer Ansiedlung an, durch ganze zehn Jahre die Freyheit zugesichert; binnen welcher Zeit solche von allen Landes- und Herrschafts-Steuern, Abgaben und Lasten, wie sie auch Namen haben möchten, gänzlich befreyet seyn, und verbleiben sollen: Nach Verlauf dieser zehen Frey-Jahre aber sind sie verbunden eine leidendliche landesübliche Steuer-Abgabe, so wie andere Landes-Einwohner, zu entrichten.
Welchen Entschluß und Willensneigung Wir zur Steuer und Wahrheit mit Urkund dieses, besiegelt mit Unserm K.K. aufgedruckten Sekret-Insigel bestätigen, so gegeben Wien am ein und zwanzgisten September, Anno siebenzehnhundert zwei und achtzig.
Unserm Reiche des Römischen im neunzehnten, des Ungarischen und Böhmischen im zweyten.
Joseph II (Siegel )
Die ersten Siedler kamen 1785/86 aus den ehemaligen Herrschaftsgebieten Hohenzollern-Hechingen und -Sigmaringen, z.B. Steinhilben (Heinzelmann), Trochtelfingen (Tittmann, Schmidt, Hauber), Hörschwag (Pfeiffer, Feigl, Schaffer), Stetten unter Holstein (Locher), Gammertingen (Teigler) und Umgebung. Aber auch Familien aus Neuhof bei Fulda (Mähr und Henning (später Hönig)), Ortsteil Giesel (Eberhard) und Mellrichstadt (Steinmüller) tauchen in den Kirchenbüchern von Kirva auf.
Mit Ulmer Schachteln (oder waren es Kelheimer?) traten sie die nicht ungefährliche Fahrt auf der Donau an. Im ungarischen Almásfüzitő betraten sie wieder festen Boden.
Ende des Sommers 1787 standen 50 Häuser in Kirva, bewohnt von Bauern und Handwerkern – etwa 300 Personen. Die Dorfbewohner bauten Kohl, Hanf, Weizen, Roggen, Mais und Kartoffeln an und brachten auch den Weinbau in die Gegend. Davon zeugt das ehemalige Presshaus von Paul Locher.
Es hat gerade ein neues Dach mit Gauben bekommen.
Ein paar Meter weiter steht ein weiteres Presshaus.
Die barocke römisch-katholische Kirche am höchsten Punkt der Hauptstraße, die Johannes dem Evangelisten gewidmet ist, wurde zwischen 1820 und 1822 erbaut.
Hinter den Bäumen am Straßenrand verstecken sich die Häuser.
Frisch renoviert mit jungem Bäumchen davor oder mit abblätternder Farbe.
Die Form ist die gleiche. Zur Straße hin die gute Stube und zum Garten hin die Kammer, dazwischen die Küche.
Davor zieht sich die schmale überdachte Veranda über die ganze Hauslänge. Zum Garten hin wurde meist noch ein kleiner Stall angehängt. Das ist der typische Baustil eines Kleinbauern in Ungarn.
Selten sieht man aber eine Jesusstatue in Lebensgröße wie hier, gegenüber der Kirche.
Vor der Kirche steht ein Kreuz.
Die Inschrift verrät den Stifter und das Jahr der Aufstellung.
Die ältesten Einrichtungen der Kirche sind der Hauptaltar und die Kanzel, die beide um 1770 gebaut wurden und von der alten Kapelle kamen.
Der Hauptaltar der Kirche des Apostel Johannes.
Leider war mir der Zugang zur Kirche durch Glastüren versperrt.
Es war nicht einfach, trotzdem brauchbare Bilder zu machen.
An einer Seite entdeckte ich eine Gedenktafel dessen Bild ich mit einien Tricks lesbar machen konnte.
Der vollständige Text lautet:
"Unsere Kirche ist im Jahre 1824 eingeweiht worden.
Ihr Titel: Sankt Johann Apostel
Unsere Gemeinde wurde von schwäbischen
Aussiedlern aus WÜRTTEMBERG im Jahre 1785
gegründet; Ortsname bis 1936: KIRVA, dann
auf Empfehlung von Pfarrer
ISTVÁN KLIMA - MÁRIAHALOM,"
In dem kleinen Vorraum der Kirche ist auf einer Seite eine Marienkapelle.
Die Orgel wurde 1883 von Sándor Országh, einem berühmten Orgelbaumeister aus Pécs (Fünfkirchen), gebaut. Davon konnte ich kein Bild machen.
Die Cholera-Epidemie von 1831 verlief glimpflich (siehe Bild 3).
Im Jahre 1866 forderte eine weitere Cholera-Epidemie 72 Opfer im Dorf.
Trotz Zuzug aus benachbarten Dörfern blieb die absolute Mehrheit der Einwohner (95%) deutschsprachig, aber etwa ein Viertel sprachen auch Ungarisch.
Im Ersten Weltkrieg wurden von den etwa 700 Einwohnern von Kirva 52 junge Männer eingezogen.
Genau die Hälfte davon kam nicht zurück! Die Namen stehen auf dem Denkmal des 1. Weltkrieges.
Im August 1919 plünderten rumänische Truppen die Siedlung. Pferde, Wein, Heu und Getreide wurden mitgenommen.
Am 30. Juni 1936 wurde auf Vorschlag des Ortspfarrers Kirva in Máriahalom (wörtlich übersetzt Marienhügel) umbenannt.
Die Opfer des Zweiten Weltkrieges lese ich an einem weiteren Denkmal.
Man unterscheidet zwischen zivilen Opfern und gefallenen Soldaten.
Der Krieg war schlimmm, aber was danach kam war noch viel schlimmer!
Bei einer Volkszählung 1941 bekannten sich von den 860 Einwohnern noch 95% zu ihrer deutschen Herkunft.
Am 2. April 1946 wurden 640 Menschen vertrieben, 3/4 der Bevölkerung.
1949 zählte man unter den 591 Einwohnern noch Einen der sich auf seine deutsche Herkunft berief.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges, während der Belagerung Budapests vom 25. Dezember 1944 bis zum 23. März 1945, verlief hier in der Nähe die Front. (Siehe "Denkmal bei Mány")
Das dürfte der Grund für einige Obelisken mit kyrillischen Schriftzeichen hinter diesem Kreuz sein.
Leider konnte ich dazu keine Informationen finden.
Wie am Ortseingang, bei der Kapelle, so steht auch am Ortsausgang ein Wegkreuz.
Leider ist die Inschrift nicht mehr klar erkennbar.
Etwa hundert Meter weiter fand ich ein Marterl zum Heiligen Christophorus.
Ein Zettelchen verrät mir, dass das Bild von Béla Blinczinger aus dem Nachbarort Epöl am 29. Juli 2012 gemalt wurde.
Auf dem Weg auf den Friedhofshügel bekam ich Einblick in die Kleintierhaltung von Máriahalom.
Nicht besonders artgerecht, meine ich. Hoffentlich dürfen die auch mal raus auf die Wiese.
Auf dem alten Friedhof findet man noch viele Grabsteine mit deutschen Namen.
Die meisten sind nicht mehr zu entziffern. Einige sind gut erhalten.
Manche wurden wieder lesbar gemacht.
Manchmal erzählt der Grabstein auch eine Geschichte.
Gelobt sei Jesus Christus
Hier ruht in Jesu Rahmen
mit ihrem Kinde beisam(m)en
Theresia Blitzner
geb. Hauber
gestorben den 24. März 1943
in ihrem 22-ten Lebensjahre
tief beweint von ihrem in Rußland
gefangen geglaubten vielgeliebten
Ehegatten, Kind, Eltern,
Geschwistern, Schwiegereltern
und Schwager.
Auf dem Sockel darunter steht ein kleines Gedicht:
Ach! Fern von uns mein teurer Vater im Feindeslande,
erfasste mein liebes Mütterlein des Tode(s) kalte Hände.
Ihr war nicht gegön(n)t zu seh'n, zu grissen ihn Vaterlande,
Teures Mutterherz! Du schiedest schnell im tiefsten Schmerz
lässt Du verweist (verwaist) dein Töchterlein stehn.
Nur ein Trost bleibt meinem Herz:
Es gibt im Namen Jesu ein Wiedersehen!
Ruhe sanft in Frieden!
Auch das Leben eines Pfarres ist endlich!
Auch neuere Grabsteine mit Namen deutschen Ursprungs fand ich auf dem Friedhof.
Im Grab der Brüder Wagenhoffer liegt auch ein unbekannter Kamerad, alle starben den "Heldentod".
Wie mag es die Hinterbliebenen betroffen haben, nach dem WK II nicht nur ihre Heimat, ihr Hab und Gut, ihr Vieh, ihre Äcker, und auch ihre Verstorbenen zurücklassen zu müssen! Über viele Jahre hinweg war ihnen der Zugang zu ihrer alten Heimat und den Gräbern versperrt. Langsam werden die Gräber vergessen und es wächst Gras darüber.
Leider lernt aber die Menschheit nicht dazu!
Nachdenkliche Grüße von waldi aus Ungarn