Zum Erntedankfest wird die Kirche mit Feldfrüchten ausgeschmückt. Auch wenn dieser Brauch alt sein mag (wie alt?) - seit einigen Jahrzehnten wird dieser Schmuck immer reicher, obwohl tatsächlich immer weniger Gemeindeangehörige in der Landwirtschafttätig sind.
Mittlerweile sind einige Kirchen so berühmt für ihre Dekoration, sich schon ein gewisser Tourismus entwickelt und die ersten Busfahrten dorthin angeboten werden. Bekannt für ihren Ernteschmuck ist die Kirche St. Martin in Gundelfingen an der Donau (Kreis Dillingen, Bayerisch Schwaben).
Der Weg zum Altar bleibt frei, damit der Pfarrer seines Amtes walten kann, aber die Seiten des Chorraums sind wahre Ernte-Schaufenster.
Auch Wasser fließt: Kleine Springbrünnchen, hier im Bild eine alte Pumpe ...
Der Viehheilige Wendelin unter einem Triumphbogen
Ein ortsansässiger Bäcker gestaltet jedesmal einen Brotaltar, und er schmückt auch die großen Kerzen mit gebackenen Ähren.
Und über allem ein riesiger "Kronleuchter" aus Früchten
Draußen auf dem Platz vor der Kirche steht der Wagen, der in der Erntedank-Prozession mitgeführt wurde.
Eine jüngere Art der Erntedankfest-Dekoration scheint in die 50er Jahre zurückzugehen: Die Körnerteppiche. Der erste soll 1956 in Hilzigen (Kreis Konstanz am Bodensee, Baden-Württemberg) entstanden sein auf Anregung der Pfarrers, den das Foto eines Blumenteppichs zu Fronleichnam auf den Gedanken brachte. 1972 gab es das erste Körnerbild in Otterswang, einem heute in Schussenried (Kreis Biberach, Baden-Württemberg) eingemeindeten Dorf. Seither verbreitet sich diese Sitte immer weiter, vor allem im schwäbischen Süddeutschland, aber auch schon darüber hinaus.
Auch Gundelfingen hat alljährlich seinen Körnerteppich. Diesmal ist es ein Schutzengelbild, das in einer Seitenkapelle liegt – leicht gekippt, damit man es besser sehen kann. Auf einem Täfelchen sind die verwendeten Materialien aufgelistet:
Haare: Kokos geröstet, Gesichter: Semmelbrösel, Muskat,
Kleid: Reis (ganz und gemahlen), Schal: Gries gefärbt,
Kinderkleid: Dill, Schürze: Kuskus, Schuhe: Kaffee,
Flügel: Kokosflocken, Hintergrund: Erde.
Berühmt für seine Körnerbilder ist aber vor allem Otterswang, ein in Bad Schussenried (Kreis Biberach, Baden-Württemberg) eingemeindetes Dorf. Das diesjährige Bild hat zur Vorlage einen Ausschnitt aus einem Straßburger Antependium von 1410, eine Mondsichelmadonna.
Das zweite Foto gibt durch den Vergleich mit dem umgebenden Kirchenmobiliar eine ungefähre Vorstellung von der Größe des Teppichs. Man kann die Maße nur schätzen; das Bild ist 45 Äpfel breit und 65 Äpfel hoch. Einige Detailaufnahmen:
Auf einer Spanplatte sind Fotos von der Herstellung des Körnerteppichs aufgeklebt und dazu ein Text, in dem die "Teppichfrauen" über die Entstehung ihres Bildes Auskunft geben:
„Mitte des Jahres treffen wir uns, um das neue Motiv auszuwählen. Wir sind acht Frauen. Viele bringen Ideen und Vorschläge mit, entschieden wird gemeinsam. Anfang September beginnen wir dann dieses Motiv mit unseren zur Verfügung stehenden Materialien auf große Platten zu legen und zu kleben. Wir verwenden ausschließlich Samen und Früchte aus der Natur, wir färben nichts ein. Mit den Jahren hat sich ein breites Spektrum an Samen angesammelt. Obwohl jede an einem anderen Ausschnitt des Bildes arbeitet, sind wir immer selbst überrascht, wie sich alles zum Schluss harmonisch in ein Ganzes fügt. Die Platten werden dann vorsichtig in die Kirche getragen, zusammengesetzt und mit einem Rahmen aus größeren Samen und Früchten verziert. Unsere Arbeit ist damit beendet. Die Kranzfrauen haben große Stangen und Kugeln gefertigt und schmücken damit das Kirchenschiff aus und gestalten die Seitenaltäre. Andere Frauen wiederum erklären sich bereit, Auskunft zu geben und Karten zur Erinnerung zu verkaufen."
Drei von ihren Fotos gebe ich hier weiter:
Der geschmückte Kirchenraum:
Auch in Otterswang gibt es einen Bäcker, der seine Ehre darein setzt, einen Altar mit Brot und kunstvollem Backwerk zu gestalten:
Daß das Material für einen solchen Körnerteppich nicht einfach im Haushalt abfällt, ist klar. Die Kosten sind sicher nicht unerheblich. Um Spenden wird gebeten, und auch der Verkauf von Ansichtskarten mit dem jeweiligen Körnerbild (und denen der Vorjahre) dient dazu, etwas von den aufgewendeten Kosten zurückzubekommen. Zu den Karten sind in diesem Jahr auch solche Kerzen dazu gekommen:
Über die Bilder von Otterswang hat der Münchner Kunsthistoriker Johannes Goldner geschrieben: „Wenn auch an anderen Orten Früchteteppiche nachgestaltet werden, so bleibt es den Otterswangern vorbehalten, daß sie neben einer gewissen Perfektion und Fantasie bei der Auswahl der Materialien und Früchte einen unbestreitbaren künstlerischen Grad erreicht haben. Obwohl es die Kunstgattung ,Früchteteppich’ bisher nicht gibt, müßte in dieser Hinsicht bald von einer ,Otterswanger Schule’ gesprochen werden.” (Zit. nach Otto Beck, Otterswang im Ernteschmuck, Kunstverlag Josef Fink, 3., erw. Aufl., Lindenberg 2006)