Vor zwei Jahren haben wir im Sommer ein paar Tage am östlichen Ende Deutschlands verbracht. Im Zittauer Land hatten wir ein Hotel in einem Waldhufendorf gebucht. Hörnitz habe ich euch ja bereits gezeigt.
Nun finde ich endlich Zeit, euch die Stadt Zittau etwas vorzustellen. Klar, daß insbesondere hier an der polnischen Grenze die Arbeitsmöglichkeiten sehr begrenzt sind und viele Menschen abgewandert sind. Trotzdem ist Zittau aus städtebaulicher Sicht und für Freunde sakraler Kunst meiner Einschätzung nach durchaus einen Besuch wert.
Wir kommen von Westen her und stellen das Auto gleich vor der Weberkirche ab. Wie es der Name des Bauwerks schon sagt, war die Hausweberei hier bis zur industriellen Revolution ein wichtiger Einkommenszweig.
Weiter geht’s auf der inneren Weberstraße bis zum Johannisplatz. Dort wartet die evangelische Stadtpfarrkirche St. Johannis auf uns.
Schauen wir uns zuerst einmal innen um. Evangelische Kirchen können es an Pracht meist nicht mit den katholischen aufnehmen. Trotzdem gefällt mir der Stil.
Jetzt aber wollen wir auf den Turm steigen um einen Überblick zu gewinnen. Dazu müssen wir die Kirche wieder verlassen. Schon jetzt haben wir den Eindruck, daß kaum Menschen hier leben. Kurz nach dem Krieg hatte der Ort fast 50.000 Einwohner. Heute sind es trotz Eingemeindungen gerade mal 25.000 Einwohner.
Einer der beiden Türme ist für Besucher zugänglich. Man steigt ein paar Treppen rauf, bezahlt einen kleinen Obulus und hat dann wahrscheinlich so wie wir das Glück, daß der Türmer ein gebürtiger Zittauer ist, der sich mehr als eine Stunde Zeit nimmt und uns wenigen Besuchern die wichtigsten Dinge zum Ort erklärt.
Wir können komplett um den Turm herumgehen und beginnen mit unserem Ausblick im Westen.
Direkt vor dem Haupteingang befindet sich der Johannisplatz mit dem Dornspachhaus auf der rechten Seite.
Im Nordosten sehen wir das ehemalige Franziskanerkloster, wo wir später noch reinschauen. Da drin wird nämlich was ganz besonderes aufbewahrt. Hinter dem Kirchturm sehen wir den Braunkohletagebau und die Kühltürme des Kraftwerks. Beides liegt unmittelbar östlich der Neiße und damit im heute niederschlesischen Polen. Das gemusterte Dach des Gebäudes rechts vom Turm ist die ehemalige Baugewerkenschule. Der Braunkohleabbau in der Region Zittau wurde vor mehr als 20 Jahren aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Kohle wäre noch genügend vorhanden.
Im Südosten befindet sich das Rathaus. Ich meine, daß dieses Gebäude den einstmals hier herrschenden Wohlstand standesgemäß repräsentiert. Direkt an das Rathaus schließt sich der Marktplatz an.
Das Zittauer Gebirge ist nur wenige Kilometer entfernt. Man bezeichnet es auch als das kleinste Mittelgebirge Europas. Von Zittau aus führt eine Schmalspurbahn nach Oybin in diesem Gebirge. Auch Oybin habe ich euch bereits gezeigt. Auch Bernd hat bereits ein paar Berichte hierzu erstellt.
https://www.schoener-reisen.at/forum/showthre…highlight=oybin
Wir schauen nach Nordwesten und sehen ein eigenartig geformtes Gebäude. Es handelt sich um das vor einhundertfünfzig Jahren gebaute Stadtbad. Daraus kann man erkennen, wie wohlhabend die Stadt Zittau einst war.
• Um den Bau an der gekrümmten Straße zu realisieren und den ehemaligen Stadtmauerturm »Speyviel« integrieren zu können, wurde das 80 m lange Gebäude in der Mitte »geknickt.«
• Das Schwimmbad besaß früher eine Wellenmaschine mit der 10 cm hohe Wellen erzeugt wurden. Angetrieben wurde das Wasserrad durch eine Dampfmaschine.
• Nach der Eröffnung des Zittauer Stadtbades 1874 standen dem Badegast ein Männer- und ein Frauenschwimmbecken, mehrere Wannenbäder, ein irisch-römisches, ein russisches und ein Dampfduschbad sowie zwei Räume für Medizinal- und Moorbäder zur Verfügung.
(Zitat aus der Web-Site des Bades)
Noch etwas Besonderes fällt beim Blick nach Süden auf. Bei diesem riesigen Kasten handelt es sich um die Mandaukaserne. Sie wurde in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts errichtet: 200 Räume, 7000 qm Wohnfläche und 1200 Soldaten waren dort untergebracht. Heute steht der Klotz leider leer, obwohl die Bausubstanz anscheinend nicht schlecht ist. Wer aber hat heutzutage für so ein gigantisches Gebäude überhaupt noch eine Verwendung?
https://mandaukaserne.de/content/267/50/geschichte
Nachdem wir von oben einen recht guten Überblick gewonnen haben, sehen wir uns in der Stadt ganz zwanglos bei einem Spaziergang um.
Die Blumenuhr kennt ihr ja bereits aus einem früheren Rätsel.
Zu jeder vollen Stunde kann man dem Glockenspiel aus Meißner Porzellan lauschen.
Dann geht’s endlich dahin, um anzusehen, was Zittau weit über die Region bekannt gemacht hat. In der Kreuzkirche befindet sich das Große Fastentuch. Dieses Baumwolltuch aus dem Jahr 1472 (!) zeigt 90 Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. 8,20 Meter mal 6,80 Meter ist dieses Tuch groß. Mit solchen Fastentüchern wurde früher in der Fastenzeit der Altar verhüllt. Eigentlich verständlich, daß ich euch kein besseres Bild zeigen kann, da in der Kirche ein Blitz natürlich nicht erlaubt ist.
Wir gehen ein paar Schritte weiter ins ehemalige Franziskanerkloster, welches wir vom Kirchturm aus bereits gesehen haben. Auch da drin befindet sich ein Fastentuch. Es handelt sich um das kleine Fastentuch aus dem Jahr 1573, welches vor allem eine monumentale Kreuzigungsszene zeigt.
Da ich euch diese Tücher nicht in sonderlich guter Qualität zeigen kann, verweise ich auf Tante Google. Ich finde diese Tücher einfach sagenhaft. So etwas habe ich noch nie gesehen.
httpss://www.google.de/search?hl=de&s…625.y9vjgvfMOow
Nur am Rande erwähnen möchte ich das angegliederte Museum mit allerlei antikem Zeug.
Nach einer Tasse Cappuccino geht’s am Rathaus vorbei wieder zurück zum Auto. Schließlich wollten wir an diesem Tag ja noch ins Zittauer Gebirge fahren. Die Stadt Zittau hat uns jedenfalls länger aufgehalten als erwartet. Ich finde, der Besuch hat sich mehr als gelohnt.
Jürgen