Ferien bei Oma auf dem Lande

  • Ferien bei Oma


    Die Geschichte vom Waschtag die Grizzli eingestellt hat, hat mich wieder in die Vergangenheit zurückversetzt und ich will Euch mal ein paar meiner Erinnerungen an damals Anfang der 60er Jahre aufschreiben.


    Ich, geb 1957, war gerne bei der Oma, sie war Witwe und wohnte in einem kleinen Dorf 200 km weit weg von mir zuhause.


    Damals lebten wir noch in Karlsruhe mitten in der Stadt, und ich durfte immer zur Oma in den Ferien, meine jüngeren Brüder mussten zuhause bleiben, die waren noch zu klein und für Oma wäre es auch zuviel gewesen.


    ich liebte es bei der Oma zu sein, ich hatte mich mit den Nachbarskindern angefreundet und erlebte viele Abenteuer im Wald und am Bach. Bei Oma war Natur pur, sie hatte glückliche Hühner die scharren durften und die besten Eier legten, die ich dann immer aus den Nestern holen durfte, die waren noch warm. Und - sie hatte einen Hund, den Bärle (ich nur einen Bruder zu dem sich dann später auch noch ein weiterer gesellte ;) ) ich war ihr Liebling, und wir waren ein tolles Team.
    Auch durfte ich bei Oma im Bett schlafen. Und als ich mal mit Kuli die Tapeten bemalte, hat sie nur ein ganz klein wenig geschimpft.


    Oma hatte immer goldene Ohrringe an die ich so schön fand. Die wackelten immer so lustig, weil auch Oma ein wenig wackelte - ich weiß nicht, ob sie Parkinson hatte, es war jedoch kaum merklich.


    Wenn ich heute zurückdenke, erfüllte Oma Susann optisch das typische Klischee: Witwe mit Dutt im Kittelschurz und weißem Spitz, wie bei Wilhelm Busch nur in lieb ;)


    Bei Oma war alles ganz anders, ich durfte zum Beispiel mit einer verbeulten Milchkanne zum Bauern Milch holen - den dicken Rahm obendrauf vergess ich nie, sowas gibts heut ja gar nicht mehr. Der Bauer Theophil nahm mich oft mit in den Stall, für ein Stadtkind ein tolles Erlebnis. Dann bekam ich ein Glas frisch gemolkene Kuhmilch, noch warm. Herrlich!
    Der Misthaufen vor dem Hof dampfte immer. Manchmal durfte ich auch mit aufs Feld - Traktor fahren, was für ein Erlebnis!!! Auch wenn der Po danach weh tat von dem Geruckel auf dem blanken Metallsitz auf dem Radkasten. Theophil hatte einen Kettenhund, vor dem hatte ich anfangs Angst, aber wenn er von der Kette weg war konnte ich ihn sogar streicheln, da war ich stolz. Heute denke ich natürlich anders über Hunde die an der Kette sind, aber damals war das normal. Der Bauer liebte seinen Hund, ich glaube er hieß Max, aber sehr, denn er durfte auch schon mal mit in die Stube, und als der Hund starb hat er ihn sogar ausstopfen lassen. Ich fand das total gruselig.
    (inzwischen gibt es den Bauernhof und den Misthaufen nicht mehr, der Hof musste einem Mehrfamilienhaus weichen als Theophil und seine Frau nicht mehr lebten)



    Es war auch spannend mit dem Zug in den nächst größeren Ort zu fahren (wir hatten ein Auto zuhause und ich kannte sonst auch nur die Strassenbahn) und von dort aus über die Brücke ins Ausland! zu laufen (Schweiz) und dort Kaffee und Schoki einzukaufen. Ich musste die Schoki auf dem Rückweg dann schon auf der Brücke essen, weil wir nur wenig Waren nach D einführen durften. Das Papier hab ich in den Rhein geworfen und dachte, das kommt dann auch in Karlsruhe an. ;)
    Ein wenig Angst hatte ich vor den Zöllnern, die waren streng. Die Uniform hat mich zwar nicht geschreckt (Karlsruhe war amerikanische Besatzungszone, da gabs viele Uniformen) aber sie schauten immer so böse, da blieb ich mucksmäuschenstill. Aber meine Oma war total cool, wie man heute sagt, die hatte vor nix Angst schließlich war mein Opa Gendarm und sie kannte sich aus mit "Obrigkeiten" ;)


    Oma wohnte alleine in einem Einfamilienhaus, es war kein Bauernhof aber es gab viel Land, Obstbäume, Himbeer- Johannisbeersträucher und Garten und Hühnerhof und -haus drumherum.
    Sie war Witwe und hatte 4 Kinder großgezogen, Opa hab ich nicht mehr kennengelernt, er starb schon vor meiner Geburt.
    Um ihre Rente aufzubessern hatte sie immer Zimmerherren ("möblierte Herren" - kein Damenbesuch ;) ) für die hat sie abends wenn sie von der Arbeit kamen immer gekocht, und sich um sie gekümmert, und sie war dann nicht so ganz alleine im Haus - eine schöne Symbiose.


    Oma hatte ein komisches Clo - also keines im Kämmerlein hinter dem Haus, nein schon eine Keramiktoilette mit Deckel usw, aber ohne Spülung. Daneben stand ein großer Porzellankrug mit Wasser zum Spülen. Das ging dann direkt in eine Grube, und wenn die voll war, kam der Klärwagen und hat die Grube ausgepumpt. Das war noch bei einigen Bauernhäusern im Ort auch so.


    Es gab auch nur kaltes fließendes Wasser. Die Zimmerherren hatten eine Porzellanschüssel und einen Porzellankrug auf dem Zimmer. Wenn sie sich waschen wollten, mußten sie sich Wasser vom Herd in der Küche holen. Zum Baden gingen sie soviel ich weiß in die "Öffentliche Badeanstalt" wo Wannenbäder angeboten wurden.
    Wir badeten in der Waschküche. Da wurde der große Kupfer?Kessel auf dem Holzofen angeheizt und mittels eines Eimers die Zinkbadewanne die parat stand aufgefüllt. Oma durfte nicht weg während ich in der Wanne saß, ich hatte Angst vor den Spinnen und auch sonst war es mir unheimlich da unten im Waschkeller alleine. Oma stand gummigestiefelt und im Kittelschurz daneben und goß immer heißes Wasser nach, damit das Kind nicht friert und hat mich abgeschrubbt und aufgepasst, daß mir auch ja keine Spinne in die Nähe kam.



    In den Zimmern der möblierten Herren gab es solche "Kanonenöfen" die mit Holz beheizt wurden. Oma hatte in ihrem Zimmer, das sie auch als Schlafzimmer nutzte einen Ölofen. Im Winter war es kalt in Flur und Treppenhaus. brrrrr Nur in der Wohnküche mit dem alten Herd den man mit Holz beheizte und in Omas Zimmer war es mollig warm (bei den Zimmerherren war nur ein wenig Glut noch drin, die heizten dann selber ein) .


    Immer wenn wir zu Oma zu Besuch kamen duftete es im ganzen Haus nach frischgebackenem Brot und den selbstgemachten dicken Salzstangen. mmmhhhh herrlich. - Diesen Duft habe ich heute noch in der Nase - Omaduft ;)


    Meine Oma starb, als ich 13 Jahre alt war. Meine Eltern sind in Omas Haus gezogen, nachdem alles modernisiert wurde, heute wohnt mein kleiner Bruder dort, denn auch meine Eltern leben nicht mehr.


    Meine Oma war die Beste.

    :blume17: Grüssle von Sylvi


    Nicht woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt, darauf kommt es an!

  • Hallo Dieter,


    vielen Dank für Dein freundliches Feedback. Mir sind während des Schreiben noch so viele Erinnerungen gekommen, deshalb ist die Geschichte auch länger als geplant geworden. Und mir ist noch viel mehr eingefallen.


    Schreib Deine Erinnerungen auf, Dir wird es bestimmt gleich gehen, währendessen fällt einem immer wieder was Neues ein was fast schon in Vergessenheit geraten ist. Man sollte das wirklich tun, das ist mir jetzt auch aufgefallen.


    Viel Spaß beim Schreiben.

    :blume17: Grüssle von Sylvi


    Nicht woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt, darauf kommt es an!

  • Das sind Kindheitserlebnisse, die prägende Spuren hinterlassen haben!
    Die Wärme, die Geborgenheit, die Du bei Deiner Oma erleben durftest, hast Du mit Deiner Geschichte wunderbar nacherleben lassen.


    Dazu noch Details aus dem Alltag, die diese Zeit vor 45-50Jahren lebendig werden lassen - das alles war es wert, aufgeschrieben zu werden!


    Danke, Sylvi!


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Ach Silvy, da muß ich mir doch glatt ein Tränchen verdrücken bei diesen Erinnerungen.
    Ja, die gute alte Zeit. Im nachhinein betrachtet war es wirklich schön, als Kind und Jugendliche hat mich so manches genervt.

    Viele Grüße
    Helga


    Das Heilmittel für alles ist Salzwasser: Schweiß, Tränen oder das Meer.
    Karen Blixen

  • Hallo Sylvia,


    auch meine Oma war die beste Oma der Welt. Dicke Bücher könnte ich über sie schreiben.
    Gottlob wurde sie 91 Jahre alt und ich hatte sie 45 Jahre an meiner Seite.
    Danke für die vielen Erinnerungen, die du mit deinem Bericht in mir wachgerüttelt hast.

    Lieben Gruß Karin
    Wer der Sonne entgegen wandert lässt den Schatten hinter sich. (Bruno Hans Bürgel)

  • Einfach zum Niederknien, liebe Sylvi,


    ja, die Oma war die Beste. Ein fantastischer, tiefgreifender Rückblick auf deine Kindheit in Verbindung mit der Güte, die allen Omas so eigen erscheint.


    Da ich das Glück hatte, meine Oma noch über 30 Jahre in der Familie zu erleben, könnte man seitenweise vergleichbare Ausführungen niederschreiben.


    Mit verblüffend ebenso ähnlichem "Klischee". Kittelschurz, bei uns "Schaber" genannt, Anlaufstation bei Ärger in der Famllie,lach, und einen urigen oberbayerischen Namen, nämlich Kreszentia, kurz Zenzi.


    Schon frühzeitig musste sie fürs Größenverhältnis eines in die Höhe wachsenden Kindes herhalten. Regelmäßig eine Gaudi.


    Herzlichen Dank für diese Einblicke, passend zur "staaden Zeit".


    ganz lieben Gruß
    Helmut

  • Liebe Sylvi,


    eine wunderschöne Geschichte hast Du da erzählt, man fühlt sich richtig in diese Zeit zurückversetzt. Da ist Dir ein Meisterstück gelungen, tolle Wortwahl - kommt einfach nur gut rüber. Dankeschön!


    Liebe Grüße
    Helga

  • Hallo Ihr Lieben,


    vielen Dank für Euer freundliches Feedback. Ich selbst habe diese unerwartete Reise in die Vergangenheit, ausgelöst durch das neue Thema "Ja, damals...." hier im Forum, auch sehr genossen. Man glaubt nicht, was da noch unter der Oberfläche schlummert, die Erinnerungen kommen so nach und nach.....


    Liebe Grüße
    Sylvi

    :blume17: Grüssle von Sylvi


    Nicht woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt, darauf kommt es an!

  • Liebe Sylvi,


    eine wunderschöne Geschichte, die an die Kindheit erinnert, supertoll aufgeschrieben , ein grosses Dankeschön dafür ...:wink:

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