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Westbosnien 2009

  • Grizzly
  • 17. September 2010 um 22:40
  • Grizzly
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    • 17. September 2010 um 22:40
    • #1

    Zur Vorgeschichte guckt Ihr hier ...

    Nach 1975 war ich nicht mehr in Jugoslawien oder, ab 1991, in einem der daraus entstandenen Staaten. Das änderte sich erst 1999.
    Mein Interesse an der Region war allerdings schon seit 1991 wiedererweckt worden. Damals waren wir frisch nach Norderstedt gezogen, und ich hatte mich als Hausarzt niedergelassen.
    Eine meiner ersten Kontakte dort war die kroatische Kulturgesellschaft, die, aufgrund des eben ausgebrochenen Krieges, durch die Praxen zogen und Medikamente und Geräte sammelten. Ich gab ihnen, was ich erübrigen konnte, und organisierte noch einiges dazu. So fragten sie irgendwann nach einem EKG-Gerät - ich fragte unter den Kollegen herum und am Schluss hatten wir drei.
    So entwickelte sich eine Freundschaft zwischen mir und einigen der Kroaten.

    Irgendwann lernte ich die Leiterin der Sprachabteilung unserer Volkshochschule kennen, auch eine Kroatin. Die bot mir einen Platz in ihrem Kroatischkurs an, weil ich daran Interesse hatte, diese Sprache nicht mehr nur in Inifinitiven sprechen zu müssen. Das ist jetzt, mit ferienbedingten Unterbrechungen, seit über 15 Jahren (genau weiss ich das gar nicht mehr) meine Mobntagsabendsbeschäftigung. Unser Kurs ist inzwischen eine kleine Clique, die sich bei der inzwischen pesnionierten Lehrerin am Wohnzimmertisch trifft.

    Die Cliquenmitglieder sind ausser mir deutsche Partner/innen von Kroat/inn/en, die irgendwo im Land ihre Häuser haben, und die ich irgendwann abzuklappern begann. So lang, bis ich mich das erste Mal traute, in das vom Krieg und desolaten Verhältnisssen noch lange Zeit gebeutelte Bosnien zu fahren. Wobei das schon Jahre vorher möglich gewesen wäre - bei den mir bekannten Kroaten kursierten zum Teil abenteuerliche Vorstellungen über Bosnien,, weil sie da die ersten Jahre nach dem Krieg einfach nicht hinfuhren, insbesondere nicht in die Srpska. Z.B. gab es ein Gerücht, dass man für die Srpska ein Visum bräuchte - völliger Quatsch, man kann die Grenze ohne Visum mit dem Reisepass passieren (manchmal, wenn die Grenzer gut drauf sind, auch nur mit dem Personalausweis), egal ob Federacija oder Srpska.

    (8.8.09)

    Keine hundert Kilometer hinter Zagreb, der Zug ist schon fast zwei Stunden unterwegs, ist Kroatien zu Ende. Am Grenzbahnhof Volinja hält er eine Ewigkeit, wovon der Lokwechsel nur einen Bruchteil der Zeit in Anspruch nimmt.
    Zunächst wird mir bedeutet, dass ich die Loks nicht photographieren darf, auf meine Frage warum weiss keiner so recht zu antworten, es gibt - ohne meine Beteilung - eine längere Debatte zwischen kroatischen oder bosnischen Fahrgästen und den Uniformierten, und irgendwann kommt ein junger Mann zu mir, sicher kein Offizieller (kurzes Hose, T-Shirt, Badelatschen) und sagt nur ein Wort:
    "Slikate", machen Sie Bilder.

    Auf dieses Zauberwort hin klettere ich aus dem Zug (Bahnsteigkante fehlt) und lege los.


    Bahnhof Volinja

    Das ist die kroatische Lok, die fährt grad weg,

    und die wird uns jetzt weiterziehen. "Eisenbahnen der serbischen Republik" steht auf der Seite.

    Wie schon angekündigt, ab jetzt darf geraucht werden - sobald der Zug fährt.

    Wir überqueren die Una, die hier die Grenze bildet und mich auf dem Rest meiner Bosnienreise begleiten wird.

    Sowohl die kroatischen als auch die bosnischen (serbischen) Grenzkontrollen waren freundlich und beschränkten sich auf einen Blick in den Pass bzw. auf die Frage, ob man etwas zu verzollen habe - wahrscheinlich würde es die ganze Routine durcheinander bringen, wenn man etwas anmelden wollte. Nach einem Schweinegrippefreiheitsattest hat niemand gefragt ...

    In Bosanski Novi (seit der serbischen Besetzung offiziell: Novi Grad) muss ich umsteigen.
    Mit den Worten "Ihr Zug" verweist man mich auf einen einsamen Waggon, an den sich während der nächsten Minuten eine altersschwache Diesellok heranschiebt.

    Auch hier, erlaubtermaßen: Feuer frei !


    Aus der Einrichtung sowie der Beschilderung in Französisch, Deutsch und Italienisch (die in der Landessprache ist erkennbar nachträglich eingefügt) kombiniere ich, dass es sich bei dem "Zug" um einen ausgedienten Liegewagen der Schweizerischen Bundesbahn handeln dürfte, Baujahr relativ kurz nach dem 2. Weltkrieg.

    Für Lüftung ist gesorgt (by the way: Die Toilette hab ich nicht aufgenommen, man will ja nicht unhöflich sein) ...

    und wer mehr Luft braucht, öffnet die Tür und hängt die Beine raus.

    Vor jeden der zahlreichen Bahnübergänge geht der Zug auf Schrittgeschwindigkeit herunter, die Lok laesst ein ohrenbetäubendes Getöse hören, bevor sie wieder Fahrt aufnimmt - natuerlich nicht allzuviel, schliesslich will man während der Fahrt ja auch das wunderschöne Una-Tal gebührend bewundern. Für Photofreunde ist das eine Super-Strecke !

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • Grizzly
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    • 18. September 2010 um 09:40
    • #2

    II.

    Der Bahnhof von Bosanska Krupa sieht ziemlich fertig aus,
    und die hellgrauen Güterwagen werden irgendwann im Gestrüpp verschwinden ...

    Nach ca. 45 km und knapp zwei Stunden fährt der Zug pünktlich in Bihac ein;
    der Bahnhof sieht nicht viel besser aus als die unterwegs, aber man baut dran.

    Alles was sich hier derzeit an Personenverkehr bewegt, ist dieser "Zug", der zweimal täglich nach Bosanski Novi fährt, um den Anschluss an den "Trans-Bosnien-Express" zu gewährleisten. Allein ein verdächtig neu aussehendes (nachgedrucktes ?) Plakat erinnert an bessere Zeiten, indem es die Abfahrzeiten der Züge aus Bihac nach Split an die Adria, nach Zagreb, nach Belgrad und bis an die österreichische Grenze wiedergibt ...
    Oben ist die Gültigkeit dieses Plans angegeben: 1. Juni 1991 bis 31. Mai 1992.

    Vor dem Bahnhof ist tote Hose, kein Taxi, kein Bus, nicht mal ein alter Mann, der sich als Gepäckträger anbieten würde (was man an anderen Städten gelegentlich antrifft). Die Entfernung Bahnhof - Innenstadt variiert auf Frage zwischen einem und drei Kilometern, die Wahrheit liegt etwa in der Mitte.

    Auf dem Busbahnhof, an dem man vorbei kommt, ist deutlich mehr los. Da bin ich aber schon so nah an der Innenstadt, dass sich ein Taxi nicht mehr lohnt. Dort in der Nähe bekomme ich auch meine erste Mahlzeit in Bosnien, ein Pizza mit fast allen üblichen Zutaten drauf, die "kleine" für sechs Mark reicht vollkommen für mich.

    Dann rumpelte ich mit meinem Rollkoffer auch schon über die hölzerne Fußgängerbrücke (Achtung Autofahrer: Die Autobrücke zur Innenstadt ist wegen Bauarbeiten gesperrt, Wiedereröffnung Herbst 2009), überquere den Platz, der bis vor kurzen Trg Marsala Tita (Marschall-Tito-Platz) hiess und jetzt in Trg Slobode (Freiheitsplatz) umgetauft wurde, an dessen oberem Ende sich mein Hotel (rotes Gebäude) befindet.

    Wenn man davon absieht, dass die Hotelzimmer im 2. Stock sind, ohne Aufzug, war das Avlija eine Superempfehlung (von Alen aus dem Balkan/Bosnienforum). Preis pro Nacht incl. Frühstück 52 Mark oder 27€, die Leute total nett, wuschen mir sogar meine Wäsche. Dusche und Klo auf dem Zimmer, und als besonderes Extra ein paar Filzpantoffeln im Zimmer.

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  • Grizzly
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    • 18. September 2010 um 23:06
    • #3

    III.

    (9.8.09)

    Hab bei geschlossenem Fenster geschlafen, wegen des Diskolärms vom anderen Una-Ufer. Den gibt's übrigens jeden Tag, nicht nur am Wochenende. Vielleicht ist es im Winter leiser. Die Hotelfenster sind aber so gut isoliert, dass man bei schlossenem Fenster gut schläft.

    Von meinem Fenster aus sieht man die Una,

    wenn man den Platz überquert hat, steht man schon fast an der Brücke

    und mein "Stammlokal", das Gurman, in dem es keine Speisekarte gibt,
    sondern die Wirtin sagt was sie hat, ist auch nur ein paar Schritte weiter weg.

    Den Turm der Kirche Sveti Ante (St. Anton) sieht man schon von weitem, wenn man auf die Stadt zukommt. Mehr als der Turm ist allerdings seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr übrig. Damals war Bihac zeitweise Hauptstadt der von den Partisanen Titos befreiten Gebiete Jugoslawiens, wurde aber später von deutschen Truppen besetzt und weitgehend zwerstört.

    Besser hat die Fethija-Moschee die letzten drei Kriege überlebt.

    Die Einschläge aus dem letzten Krieg, in dem Bihac vier Jahre lang belagert und beschossen wurde,
    sind, auch wenn man schon vieles repariert hat, noch deutlich zu sehen.

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  • Gast001
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    • 19. September 2010 um 21:54
    • #4

    Danke, Grizzly für diese Berichte!
    Ich habe Dir an anderer Stelle, glaub ich, schon mal geschrieben, dass ich die Art Deines Reisens - mehr aber noch die Art wie Du beobachtest und beschreibst, sehr bewundere.
    Du siehst oft scheinbare Nebensächlichkeiten ( die mir vermutlich kein Fotos "wert" wären ) und machst damit das Leben und den Alltag in bosnischen Orten lebendig, besser als jedes Video es bewirken könnte.

    Dass ich hier jetzt auch noch den Hintergrund zum Beginn Deiner Freundschaft zu Kroatien und Bosnien erfahren habe, freut mich.
    Mir ging es ähnlich - erst durch Kontakte während des Krieges hat sich bei mir die Neugier für diese Regionen entwickelt, die noch längst noch nicht gestillt ist.

    Und mit Deinen Berichten bewirkst Du eigentlich eher ein Verstärkung der Neugier.

    Ich freu mich auf noch mehr Bilder und Berichte von Dir!

    Gruß,
    ELMA

  • Grizzly
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    • 20. September 2010 um 06:49
    • #5

    Danke, liebe Elma.
    Ich bin ja auch noch nicht fertig, zumal ich 2010 schon wieder da war ...
    Aber das kommt alles noch.
    Liebe Grüße nach Rosenheim !
    Grizzly.

    IV.

    Scheinbar nur wenige Kilometer entfernt von Bihac liegt die Burgruine Sokolac.
    Mein Taxifahrer fährt trotzdem ca. 20 Minuten und verlangt 15 Mark, d.h. es werden 12-14 km sein, und es ist eine ordentliche Kurverei. Unterwegs kommen wir an einem neu angelegten großen Friedhof vorbei, das ist der Extrafriedhof für die Kriegsopfer 1992-95, als Bihac belagert wurde. Zeitweise seien serbische Truppen bis zur Burg Sokolac vorgedrungen sein und hätten von dort aus mit ihrer Artillerie auf Bihac geschossen, erzählt der Fahrer - da ist es vielleicht doch gut, dass die Ruine etwas weiter weg von Bihac gelegen ist.

    An einem steilen Fußweg werde ich herausgelassen - kaum bin ich ausgestiegen, kommt ein alter Mann und zeigt mir einen besser begehbaren d.h. breiteren und nicht so steilen Weg.

    Der Weg könnte von einem Traktor oder Geländewagen befahren werden und man kann ihn gut wandern - da ich nicht weiss, ob hier einmal Minen waren, achte ich darauf, den Weg nicht zu verlassen, weil ich denke, auf einem Weg werden in den 14 Jahren seit Kriegsende so viele Leute gegangen sein, dass zumindestens auf dem Weg keine Minen mehr sind. Zumal mir der Taxifahrer oder der Alte sonst etwas gesagt hätten, denke ich mal.

    Die Aussicht ist beeindruckend.

    Daran, dass die Burg Sokolac eine Ruine ist, sind ausnahmsweise weder die Nazis noch die Serben oder eine andere Balkankriegspartei schuld - das ist schon ein paar Jahrhunderte früher passiert - aber wer oder wann das war, hab ich bisher nicht herausbekommen.

    Auf jeden Fall geht's hier rein.

    Inzwischen bin ich wieder den Burgberg hinabgeklettert, jetzt über den schmalen und steilen Weg, den mir der Taxifahrer gezeigt hat. Das Dorf am Fuß der Burg heisst ebenfalls Sokolac.

    Die im Krieg zerstörte Moschee ist wieder aufgebaut - daneben steht ein Denkmal für die Kriegsopfer aus dem Dorf,
    wie an vielen Orten in Bosnien oder Kroatien - Serbien wohl auch, da habe ich's nur nicht selbst gesehen.

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  • Grizzly
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    • 20. September 2010 um 22:33
    • #6

    V.

    Aufgrund meines Gastspiels in dieser Region 1975 wollte ich doch einmal nach Ripac, dem Dorf, in dem ich zwei Tage zugebracht hatte, als deutscher Tourist für die Dorfkinder die Attraktion war, und von wo ich mit einheimischen Bekannten, zu denen ich leider auch den Kontakt verloren habe, per Schlauchboot die Una hinunter geschippert bin, über Bihac bis Bosanska Krupa.
    Der Taxifahrer, dem ich das erzähle, fragt nach: "Ah - Rafting ?"

    Rafting - im Prinzip ja.
    Heute sieht man immer wieder Kanufahrer auf der Una. Nur damals war das total unüblich, unsere beiden Boote waren die einzigen weit und breit, und das Wort Rafting kannte niemand.

    Wir fahren also nach Ripac - ca. 10 km von Bihac entfernt - und stoppen an einer Bushaltestelle. Der Fahrer fragt, ob die jungen Männer, die neben dem Kiosk ihr Bier trinken, jemand aus dem Ort kennen, der schon vor 35 Jahren in Ripac gewohnt hat. Schliesslich fällt mir der Name Meho Dupanovic ein, bei dem ich übernachten durfte, und der mit mir und zwei deutschen Campern Bier, Slivovitz und Kruskovaca trinkend in gebrochenem Deutsch seiner- und gebrochenem Kroatisch meinerseits diese Nacht zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht hatte.

    Meho Dupanovic - den gibt's noch, sagen sie, und laden mich zu einem Bier ein.
    Du musst über drei Brücken gehen und dann links.
    Der Taxifahrer hat mir seine Handynummer hinterlassen und ist inzwischen weg.

    Erstmal verpasse ich die Abzweigung und lande an der wieder aufgebauten Moschee. Dort findet sich an der Gedenktafel für die Kriegsopfer der Name Dupanovic viermal, Meho ist nicht dabei.

    Neben der Una geht ein Fußweg die Una hinunter. Ruinen sieht man nur noch vereinzelt, die Bautätigkeit ist enorm, und viele Häuser sehen (schon wieder ?) richtig schmuck aus.

    Zwischen den Inseln gibt es ein Restaurant - wie ich später erfahre, stand dort früher die alte Wassermühle, in deren Ruine ich damals beinahe übernachtet hätte.


    Hinter der zweiten Brücke frage ich einen alten Mann nach Mehos Haus, er kommt mit, und nach einigem Suchen haben wir es gefunden. Er klingelt, und schliesslich kommt ein Mann Mitte siebzig heraus.
    Ich stelle mich vor und erkläre, dass ich vor 34 Jahren einmal seine Gastfreundschaft geniessen durfte.
    Er erinnert sich an nichts, und schliesslich stellt sich heraus, dass er zu dem fraglichen Zeitpunkt nicht in Ripac war.
    Es gibt noch einen Meho, das heisst, es gab ihn.
    Mein Begleiter meint, er sei zu Beginn des Krieges erschossen worden, wie so viele in Ripac.

    Ich verabschiede mich von den beiden und gehe in gedrückter Stimmung Richtung Restaurant zurück. Die Schönheit der Umgebung kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht so recht geniessen.

    Ich komme mir vor wie einer, der 1925 eine Nacht in der Dresdener Innenstadt verbracht hat, und 1959 wieder kommt,
    um seinen Gastgeber zu suchen - da wo kein Stein mehr auf dem andern geblieben ist.

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  • Gast001
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    • 20. September 2010 um 23:11
    • #7

    Vor dem Hintergrund Deiner Erzählung der Erlebnisse von 1975 beeindruckt mich dieser Teil ganz besonders!
    Danke, Grizzly!

    Gruß,
    ELMA

  • Grizzly
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    • 21. September 2010 um 23:09
    • #8

    Dankschön für die Blumen.

    VI.

    Ich war erstmal so konfus, dass mir gar nicht auffiel, dass das von mir bestellte Taxi nicht kam (der Betreffende konnte selbst nicht, hat dann einen Kollegen gerufen, und der hat's verbaggert) und die 10 Kilometer nach Bihac in die untergehende Sonne hinein gelaufen bin und mich gewundert habe, wieso da schon die Bushaltestelle in Bihac ist (von wo ich mit dem Taxi losgefahren bin). Hab dann den Fahrer angerufen und ihm gesagt, er müsse nicht mehr kommen.

    Aber davor bin ich noch ein bissl in Ripac herumgelaufen.
    Viele der im Krieg zerstörten Häuser sind inzwischen wieder auf- oder dazugebaut, aber manches muss noch reaktiviert werden, wie die Bahn zum Beispiel. Nach Kriegsende 1995 sind hier einige Züge gefahren, aber seit einem Grenzkonflikt mit Kroatien 1998 ist hier erstmal dicht. Früher war das die Hauptstrecke von Zagreb nach Split an die Adria, über Bihac - Martin Brod - Knin.

    Dabei sehen die Bahnübergangsschilder noch relaitv neu aus ...

    ... während die Warnung, den Oberleitungsdraht nicht zu berühren, da sonst Lebensgefahr,
    nicht mehr ganz zeitgemäß ist, mangels Strom.

    Der Bahnhof von Ripac gehört den Hühnern und Katzen,

    Immerhin zeigen holzbeladene Güterwagen und eine fahrende Lok, dass sich
    zumindestens zwischen Bihac und Ripac bahntechnisch ein bissl was tut :icon_thumbsup:

    Drei Tage später war ich wieder in Ripac.
    Ich wollte in dem wunderschönen Restaurant essen, slap=Wasserfall heisst es, und um ein bissl durchs Dorf über die Inseln spazieren zu gehen. Der Bus geht nur dreimal am Tag, also ist wieder mal das Taxi dran.

    Im Slap kämpfte ich mich durch die Speisekarte, als ich auf englisch angesprochen wurde, ob ich Hilfe brauche. Wär zwar nicht unbedingt nötig gewesen, aber einem netten Gesprächsangebot gehe ich nie aus dem Weg, und so landete ich bei einer kroatisch-bosnischen Gruppe am Tisch.

    Erzählte zum x-ten Mal meine Ripac-Geschichte, und als ich den Namen Meho Dupanovic erwähnte, meinte einer:
    "Das war mein Cousin !"
    Ich beschrieb seiner Gastfreundschaft und die durchzechte Nacht - "ja, das war Meho."
    Tatsächlich war er noch vor Kriegsbeginn gestorben, an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

    Es wurde noch eine lange Unterhaltung. Ich hatte das Gefühl, dass er, auch wenn ich kaum etwas von ihm weiss, durch meine Suche und das Ergebnis derselben wieder zum Leben erweckt worden ist - wenigstens ein bisschen.

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • Grizzly
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    Europa
    • 22. September 2010 um 23:06
    • #9

    VII.

    Diesem Bild habe ich in unserem Forum den Namen "Reise in die Verlorengegangenheit" gegeben.
    Als ich 1975 hier war, fuhren hier regelmäßig, tagsüber alle zwei bis drei Stunden, Züge durch -
    jetzt kann man auf den Gleisen marschieren, ohne dass einem etwas passiert.
    In den vergangenene Jahren fuhr lediglich einmal im Jahr der Bihacer Lions-Club auf offenen Waggons bis Martin Brod,
    gegen Spenden für einen guten Zweck (das Video hab ich im Internet entdeckt).

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    In Ostrozac ist auch einiges verloren gegangen, aber nicht nur. Dort muss ich aber erstmal hinkommen.
    Dazu gehe ich zum Busbahnhof , der sich seit 2005 herausgemacht. hat Der Platz ist geteert, es gibt eine Abfahrhalle mit relativ übersichtlichem Fahrplan, und die Gastronomie in der Umgebung ist OK.
    2005 war ich schon einmal für ein paar Stunden in Bihac (von Slunj/Kroatien aus) und es sah trostlos aus hier. Der Busbahnhof ein Schotterplatz, kein Abfertigungsgebäude (jedenfalls habe ich keines gesehen), bettelnde Kinder, kein auffindbarer Busfahrplan - die Abfahrzeiten musste man von den Fahrern des jeweiligen Busses erfragen.

    Nach Cazin fahren relativ oft Busse, und ich erwische grad noch einen, die Fahrkarte kostet 4 Mark. Bis kurz vor der Bahnstation Cazin/Srbljanje gehts durchs malerische Una-Tal, danach schraubt sich der Bus die Serpentinen hoch, bis Ostrozac, da will ich hin. Denn die dortige Burg war mir schon bei der Anfahrt vom Zug aus aufgefallen.

    Je näher man der Burg kommt, desto schauriger sieht sie aus, weil die Kriegsspuren immer unübersehbarer werden.

    Kein Verbotsschild und keine verschlossene Tür hindert einen, sich die Verwüstung anzusehen.

    Zum Teil sind ganze Decken eingestürzt.

    Man bekommt widersprüchliche Bilder in Ostrozac. Im Kontrast zu dem Trümmerhaufen, den das Schloss bietet, stehen die Künstler im Burghof, die hier seit über 40 Jahren aktiv sind, und deren Werke nicht nur dort, sondern auch in Bihac und anderswo zu sehen sind. Man kann ihnen bei der Arbeit zugucken, und man wird mitunter auch zu einem Bier eingeladen.

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  • vadda
    Gast
    • 22. September 2010 um 23:40
    • #10

    Wow, Grizzly, dein Bericht mit den tollen Fotos bestärkt mich in meiner Planung, im nächsten Jahr über Slawonien und Bosnien den Süden Kroatiens zu erreichen.

    Hast du auch die Naturparks in Bosnien-Herzegowina besucht?

    Gruß aus dem Pott,
    Irmgard und Klaus

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