Gardasee - die Limonaia del pra de la fam - das Zitronengewächshaus an der Hungerwiese


  • An der Westküste des Gardasees, insbesondere zwischen Limone und Salo gibt es zahlreiche Beispiele einer bemerkenswerten Architektur, die sonst nirgendwo zu finden sind. Es handelt sich hier um die Überreste der so genannten Limonaie, Zitronengärten mit hohen Pfeilern, umgeben von Natursteinmauern. In den Wintermonaten wurden sie in riesige Gewächshäuser verwandelt, weil die Zitrusfrüchte, vor allem Zitronen frostempfindlich sind. Der Gardasee ist das nördlichste Zitronenanbaugebiet der Welt und eigentlich nicht für den Anbau dieser Früchte geeignet.





    Ich zeige euch hier „la Limonaia del pra de la fam“ auf dem Gemeindegebiet von Tignale, übersetzt bedeutet das „Zitronengewächshaus an der Hungerwiese“. Der seltsame Name kommt daher, weil in früheren Zeiten oft durch heftige Winde Boote hierher getrieben wurden und deren Besatzungen tagelang hier festsaßen. Dadurch hat sich mit der langen Wartezeit auf besseres Wetter scheinbar so manches Loch im Magen eines Matrosen gebildet.





    Diese Limonaia steht direkt an der Westuferstraße und ist zum Teil reaktiviert worden. Die Kultur der Züchtung von Zitronen ist hier Jahrhunderte alt und erforderte viel Wissen und präzise Arbeit. Die allermeisten Limonaie sind jedoch verfallen.


    Wikipedia beschreibt die Sache wie folgt:


    "Der schon seit der Römerzeit bekannte Anbau von Zitrusfrüchten am Westufer des Gardasees wurde Ende des 18. Jahrhunderts durch agrartechnische Neuerungen intensiviert und kommerzialisiert. Die neue Methode bestand darin, dass große, galerieartige Bauten errichtet wurden, die die Bäume im Winter vor Frost schützen sollten. Man musste für die Zitronenbäume, die eine ganzjährige Reifezeit haben, ein künstliches Klima schaffen. Seiten- und Rückwand eines Zitronengartens bildeten die Felswände, während die Vorderseite zum See geöffnet blieb.


    Auf einer zwei Meter hohen Schutzmauer wurden acht Meter hohe steinerne Pfeiler errichtet. Pfeiler und Mauer waren oben mit einer Holzbalkenkonstruktion quer und längs untereinander verbunden. Sie dienten zur Auflage der Holzdächer, die die Bäume im Winter vor Frost bewahrten, ergänzt durch die zwischen den Pfeilern eingesetzten Glasfenster. So wurden die Zitronenhaine im Winter in geschlossene „Gewächshäuser“ verwandelt.


    Der große Aufschwung im Zitronenanbau begann in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts. Die Ernteerträge steigerten sich bis 1840 auf rund sechs Millionen Früchte pro Jahr. Sizilien konnte jedoch bereits 1870 billigere Produkte auf den Markt bringen. Ein rückläufiger Trend setzte ein und verstärkte sich langsam aber stetig trotz der besseren Qualität der Früchte am Gardasee. Den Zusammenbruch brachte der „schwarze Winter“ 1928/29, als am gesamten See so gut wie alle Zitronenbäume erfroren."





    Auf den hohen Steinsäulen sind Balken aufgelegt, die im Winter eine Tragkonstruktion für Bretter bilden, die die Limonaia vor dem Frost schützen.



    Da sich die Anlage an einem steilen Hang befindet, wurden mehrere Terrassen gebaut.





    Im Winter war dieses große Gewächshaus verschlossen. Der Zugang erfolgte über solch eine Holztüre. Schließlich mußte man täglich nach dem Rechten sehen.





    Vorne sind die großen Glasfenster gestapelt, die vertikal befestigt wurden um Licht ins Gewächshaus zu lassen. Dahinter befinden sich Bretter, die quasi als Deckel fungierten und auch heute noch genutzt werden.





    Mit den hölzernen Riegeln wurde das ganze Dach verspannt. Dazwischen kam Heu zum Abdichten.





    Heute schützt man die empfindlichen Planzen im Winter durch ein modernes Belüftungssystem, durch welches auch warme Luft in extrem kalten Nächten eingeblasen werden kann.





    Das ist das Ergebnis:





    Auch mit anderen Zitrusfrüchten wird experimentiert.





    Das ist kein Nachttopf.





    Um festzustellen, wann die ersten Nachtfröste auftreten, stelle man ab Mitte November diese kleinen Schüsseln gefüllt mit Wasser an mehreren Stellen in den Gärten auf. Bildete sich auf deren Oberflächte eine Eisschicht, wurden die Limonaie abgedeckt und geschlossen. Somit konnten die empfindlichen Zitronenbäume überwintern. Ab dem Ende des 19. Jahrhundert verfielen diese Gärten zusehends, weil Zitronensäure zum einen künstlich hergestellt werden konnte und zum anderen die Eisenbahn Transporte verbilligte und somit Süditalien die Früchte billiger produzieren und vermarkten konnte. Damit hatte die Anbauregion Gardasee keine wirtschaftliche Zukunft mehr. In den letzten Jahren wurden um die Tradition aufrecht zu erhalten, einige Limonaie wieder instandgesetzt und neue Zitronenbäume gepflanzt.







    An der Stirnseite der Limonaia fallen diese flachen Steine auf Brusthöhe ins Auge. Diese dienten und dienen vielleicht auch heute noch als Trittsteine, um einfach die Glaselemente im Spätherbst einzusetzen.





    Wie ihr mich kennt, bin ich ja nicht damit zufrieden, einfach dieses Gewächshaus von innen anzuschauen. Ich habe mich also auf den Weg nach oben gemacht. Schließlich wollte ich die frühere und heutige Wasserversorgung finden. Wasser benötigen bekanntermaßen Zitrusfrüchte eine Menge. Im Gardasee ist dieses zwar ausreichend vorhanden. Wer jedoch mag ständig diese enormen Mengen zur Versorgung der Pflanzen schöpfen und rauftragen? Hier sehen wir die alten Tonrohre, in welchen Wasser von einem Bach oberhalb ins Limonaia geleitet wurde.





    Später hat man dann Metallrohre verwendet.





    Das Wasser wird auch heute noch oberhalb dieses Wasserfalles entnommen und ins Gewächshaus geleitet.





    Direkt nebenan befindet sich ein verfallenes Limonaia. Unterhalb ist die Küstenstraße zu erkennen. Im Hintergrund östlich des Gardasees befindet sich der Monte Baldo.







    Ich kann jedem, der hier vorbei kommt nur empfehlen, hier mal zu halten und sich für läppische 1 € Eintritt diese Limonaia anzusehen. Nur nebenbei erwähnen möchte ich, daß man hier auch Produkte wie Zitronenmarmelade oder Limoncello erwerben kann. Von Tignale aus gibt es einen gut markierten Wanderweg runter zur Limonaia pra de la fam. Zurück kann man dann den Bus nehmen. Wir hatten nicht die Zeit dazu. Aber wir kommen ja wieder hierher.



    Wer es genau wissen will, dem habe ich hier noch die italienische Website, die es auch auf deutsch gibt, verlinkt:


    https://www.limonaiagarda.com/de/am-gardasee.htm


    Jürgen

  • Hallo Jürgen,


    ein höchst interessanter Bericht den du hier für uns erstellt hast. Schön, daß diese alte Tradition wieder auflebt und diese Gärten wiederbelebt werden. Danke!


    Das Foto zum Monte Baldo rüber weckt schöne Erinnerungen an unseren Osterurlaub in Lazise dieses Jahr, da haben wir den Monte Baldo besucht - es war tolles Wetter und noch Skibetrieb. Leider war die Aussicht zum See runter etwas getrübt.... Aber es hat sich trotzde gelohnt.

    :blume17: Grüssle von Sylvi


    Nicht woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt, darauf kommt es an!

  • Das ist wieder einmal ein besonderer Beitrag, macht er doch auf etwas aufmerksam, an dem man vielleicht vorbeigehen würde.
    Danke!
    Du weckst meine Neugier auf die Region " Gardasee" immer mehr. Es scheint neben den überlaufenen Hauptsehenswuerdigkeiten doch noch Orte zu geben, wo es kein Gedränge gibt (und wo man die Chance hat, ein Parkplätzchen zu finden)


    Viele Grüße,
    Elke

  • hallo Elke,


    es war ja meine Absicht, dich an diesen besonderen See zu locken. Scheinbar gelingt es mir doch noch. \\3


    Tatsächlich ist die Gardesana Occidentale SS 45 eine Straße, die jeder mal befahren muß. Die meist unbeleuchteten Tunnel sind legendär.


    httpss://de.wikipedia.org/wiki…bis_Gardesana_Occidentale


    Direkt an dieser Straße, auf welcher eigentlich nur am Wochenende ziemlicher Verkehr herrscht, liegt diese Limonaia. Du kannst gratis direkt davor parken. Wenn du nördlich von Toscolano Maderno bis rauf nach Riva fährst, findest du immer wieder Stellen, wo man halten und die grandiose Aussicht geniessen kann.


    Ich habe noch ein paar Bilder von Tignale und Tremosine, die ich euch bei Gelegenheit auch noch zeigen werde. Das sind Orte etwa 300 Meter oberhalb des Sees und westlich gelegen. Dort ist die Landschaft ein Traum. Immer wieder ergeben sich neue Ausblicke auf den See oder das gegenüberliegende Massiv des Monte Baldo, dessen höchste Erhebungen fast 2200 Meter hoch sind. Besonders im Frühsommer, wenn oben Schnee liegt und unten die Menschen unter Palmen baden und surfen ist das schon ein super Anblick.


    Schieb es nicht zu lange raus. Mach es so wie wir und nimm diesen See mal auf dem Hin- oder Rückweg mit. Du fährst ja eh nicht im Hochsommer. Somit kannst du diese tolle Landschaft wirklich geniessen.


    grüsse


    jürgen

  • Tja, Jürgen , in seiner unnachahmlichen Art.


    Kein Stein, unter dem man nicht nachsieht, bleibt unberührt. Fährt man mit ihm, gerät man automatisch in den Sog seines nicht versiegenden Tatendrangs. Da können die alten Knochen noch so knirschen , abends fragt man sich, wie man das hinbekommen hat.


    Obwohl selbst einer, "der immer neugierig ist", staunt man immer wieder über seinen nie nachlassenden Wissensdurst.


    Nun weiß man ja, der selbst gerade diese ,vielen unbekannte, Strecke zum Gardasee gefahren ist, wie so eine Fahrt an sich schon aufreibend sein kann, aber sein Entdeckungstrieb gewinnt immer Oberhand.


    So auch hier, das eigentliche Ziel, die Christo Show vor Augen, nebenbei noch schnell mal , aber in allen Details ausgeleuchtet, ein Besuch in Montecastello,


    und in der „la Limonaia del pra de la fam“n .


    Beides bestens mit Details unterlegt.


    Jetzt bin ich ja schon oft genug am Gardasee gewesen, die unglaublichen ,romantischen und verwinkelten Gassen von Bardolino und Virgilio genossen,


    einschl. der einen Meeresbesuch vortäuschenden Destinationen im langgezogenen Sirmione.

    Man muss sich schon für alles interessieren, wenn man nach einem Blick auf den 5 Sterne Bunker in Limone (Park Hotel Imperial), bevorzugt von Geschäftsleuten aus München über s Entspannungs Wochenende \\3, und der anschließenden Fahrt durch das dunkle Tunnel an der Westseite noch Lust auf die im Süden üblichen engen Straßen an den steilen Hängen der großen und kleinen Seen zu den kleinen Bergdörfern hinauf fährt.
    Gerade das hat mich aber auch schon immer so gereizt.


    Und deshalb gefällt mir der Beitrag hier so immens.


    lieben Gruß
    Helmut



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