6./7.7.2012
Das Vandrarhem von Trollhättan liegt nur wenige Minuten vom Bahnhof entfernt und ist ein hübsches gelbes Holzhaus, heisst auch gula villan, gelbe Villa. Dort hatte man mir ein kleines Einzelzimmer versprochen, und das Zimmer ist in der Tat winzig.
Oben rechts: Mein Zimmer
Mein Standplatz für diese Aufnahme
ist die offene Zimmertüre !
Auf dem unteren Bett kann man nicht aufrecht sitzen, und ob das wackelige Holzgestell einen 115-kg-Koloss aushält, der sich ins Oberbett wuchtet, wage ich zu bezweifeln. Zumal anderswo schon mehrere Bettgestelle unter mir zusammengebrochen sind. Also: Unten schlafen, oben Ablage für's Gepäck, für das in dem ca. 350x200cm-Kabuff eh woanders kein Platz ist.
Immerhin hab ich einen Notausstieg.
Aufhalten kann man sich in einem gemütlichen, wohnzimmerähnlichen Tagesraum eine Etage tiefer, im Erdgeschoss sind auch die Männerduschen etc. Die Frauenduschen und -klos sind direkt meinem Zimmer gegenüber, und man hat mir erlaubt, nachts das Frauenklo zu benutzen, wenn grad keine duscht - schwedischer Pragmatismus.
7.7.12
Nach dem Frühstück will ich zum Saab-Museum und zu den Schleusen gehen.
Auf dem Weg zum Stadtzentrum läuft mir ein Hase über den Weg, der wohl keinen gesteigerten Wert auf meine Gesellschaft legt - übermäßig gefährlich wirke ich auf ihn aber auch nicht, sonst wäre er schneller weg gewesen.
Die Innenstadt ist, sagen wir mal, übersichtlich,
spannend wird's an der ersten Brücke, Klaffbron = Klappbrücke heisst sie auf meinem Plan, und sie klappt gerade.
Die Kirche von Trollhättan liegt etwas ausserhalb der Innenstadt inmitten der Kanäle.
Neben dem Götaälv, der knapp 100 km weiter südlich in die Nordsee mündet, fliesst der Trollhätte-Kanal und zeitweise noch zwei weitere Kanäle, so dass schon ein genaueres Stadtplanstudium nötig ist, um rechtzeitig dort zu sein, wo man hinwill. Die Brücken sind nicht immer unbedingt da, wo man sie grad braucht, aber den Sommer über gibt es eine Alternative:
Die Seilbahn verkehrt zwischen dem Kraftwerk Olidan und dem Saab-Museum,
sie schwebt direkt über das Kraftwerk hinweg.
Warum da lauter alte Volvos stehen, wo rechts davon das Saab-Museum ist, weiss ich auch nicht
kurz nach meiner "Landung" sind sie jedenfalls weg, und ich schau mich erstmal bei den Saab's um.
Das Saab-Museum ist, mit wenigen Ausnahmen, ganzjährig geöffnet, laut HP also auch an den sonst schliessungsanfälligen Montagen. Trollhättan liegt ca. 80 km nordnordöstlich von Göteborg. Zu Fuß geht man vom Bahnhof aus quer durch die Stadt und ist in ca. 30 Minuten da. Im Sommer kann man vom Kraftwerk aus die drei Kanäle mit einer Seilbahn überschweben - wer das nicht vorhat, sollte von der Innenstadt aus keine Brücken überqueren, sonst wird's kompliziert, v.a. ausserhalb der Saison, wenn die Seilbahn nicht fährt.
Mit dem Bankrott der Saab-Autoproduktion drohte auch dem firmeneigenen Museum das Aus. Anfang des Jahres wurde es dann mit allen Exponaten von einer Bietergemeinschaft, zu der u.a. die Stadt Trollhättan, die Provinz Västergötland und eine Stiftung gehörten, für 28 Millionen Kronen gekauft und damit gerettet.
Mehr dazu: https://www.motor-klassik.de/szene/bieterge…et-4332235.html
Vor 1945 produzierte Saab Flugzeuge und Militärgerät, die Abkürzung SAAB steht für Svenska Aeroplan Aktiebolaget = Schwedische Flugzeug-Aktiengesellschaft, das läuft bis heute - Rüstung bringt halt mehr Geld ... Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg war das anders, da entstand eine Nachfrage nach billigeren Autos, die Volvo mit seinen Mittelklassekutschen nicht bedienen konnte, mehr dazu hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Saab_92
Der "Ursaab" entstand 1946, mit einem 25PS-DKW-Zweitaktmotor.
Das gute Stück steht in einer Extra-Kabine, in der man es schlecht photographieren kann.
Saab 92 Bj 1950
Saab 92B Bj 1956
Saab 93F Bj 1960
Saab 95 Bj1959
Saab 96 Bj 1970
Das P auf dem Nummernschild steht für Västergötland - diese regionale Zuordnung
bestand bis 1974, seither gibt's nur noch nichtzuzuordnende "Salatnummern",
wie auf dem nächsten Modell. Mehr zu diem alten Nummernsystem:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kfz-Kennz….281906-1973.29
Saab 99 Bj 1984
Saab 900 Bj 1994
Das Monstret = Monster entstand 1959 zu Rennzwecken, mit 138 PS
und einer Höchstgeschwindigkeit von 196 km/h, das war Weltrekord zu dieser Zeit.
Natürlich gab's den Saab auch für Campingfreunde.
Damit ist der Museumsrundgang auch schon fast beendet -
das hier sind Prototypen, die nie in Produktion gegangen sind,
und der hier hat 1970 Schweden irgendwo in Afrika vertreten.
Wer jetzt Hunger hat, oder auch seine Kinder eine Weile beschäftigt haben will, findet eine Tür weiter
in der ehemalige Produktionshalle
sowohl ein Selbstbedienungsrestaurant als auch reichlich Kinderspielmöglichkeiten.
Nach dem Saab-Museum (plus Mittagessen nebenan) fahre ich erstmal wieder mit der Gondel auf die andere Seite. Um 15 Uhr (täglich im Juli/August, im Mai, Juni und Sept. nur samstags, ganztags am 3. Juli-Wochenende) werden nämlich die Wasserfälle des Göta-Älv reaktiviert, die ansonsten seit dem Bau des Kraftwerks ein kümmerliches Rinnsaldasein fristen müssen.
Die besten Aussicht hat man von einer Brücke, der Oskarsbron, die zu diesem Zweck kurzzeitig für den Autoverkehr gesperrt wird.
Man muss schon rechtzeitig da sein, v.a. bei schönem Wetter, wenn man noch einen Brückengeländerplatz haben will - OK, hier an der Seite geht's auch noch, aber von der Brücke bekommt man die besten Bilder.
Zunächst erklärt einer von Kraftwerk, was da jetzt passiert, und wieviel Hundertausend Liter pro Sekunde (oder sowas, ich hab nicht aufgepasst) gleich das Tal runterrauschen werden.
Dann geht's los - erstmal in der Ferne ein bisschen weisser Schaum, und dann wird's laut.
Das Spektakel dauert nur fünf Minuten, dann sind schon wieder die Schleusen dicht.
Die Autos dürfen weiterfahren, und der mächtige Göta-Älv verwandelt sich wieder in einen Bach.
Unterhalb der Brücke gibt es eine kleine Grotte, die Kungsgrottan, in der sich alle schwedischen Könige seit 1754 samt derer die es noch werden wollen, plus einiger anderer Berühmtheiten, verewigt haben.
Prinzessin Estelle fehlt noch.
Von der Kungsgrottan gehen wir weiter flussabwärts.
Ein Blick zurück ...
und ein Grund zur Vorsicht
es könnte ungewarnt ein Schleusentor aufgehen,
nämlich das hier ...
und dann muss man ganz schnell laufen, damit man nicht nass wird, oder schlimmeres.
Vattenfall hat ein Einsehen gehabt und das Schleusentor während meiner Anwesenheit geschlossen gelassen. So musste ich nicht zum Återsammlungsplats und mich dort drängeln, um nicht weggespült zu werden - andererseits weiss ich jetzt auch nicht, wie es dann weiter gegangen wäre. Auf der Mauer entlang ? Keine Ahnung.
Ich laufe also am Kanal entlang bergab. Irgendwo müssen doch diese berühmten Schleusen sein.
Hier müssten bald ein paar Boote durchfahren -
während hier nix mehr verkehrt, diese Schleusen sind über 200 Jahre alt und funktionslos;
aber der Blick ist grandios.
Hier kann man herumsteigen, wie man will - wer ins Wasser fällt, ist selber schuld :schweden1:
Noch stört kein Boot die Wasserspiegelung ...
aber eine Etage tiefer warten sie schon.
Nach rechts geht's zu den alten Schleusen
und der dafür notwendig gewesenen Wasserzufuhr -
der Berg erinnert mit seinen Löchern an einen Schweizer Käse.
Die Warnschilder fordern geradezu
zur Begehung dieses Weges auf.
Zugegeben, besonders bequem ist er nicht ... aber dafür ist die Aussicht auf der Göta-Älv nachher grandios.
Der Abstieg auf die andere Seite ist dann etwas mühsam, über und unter quer liegenden Baumstämmen hindurch,
ohne schwarze Finger geht das nicht ab, und das Abwischen des schweissnassen Gesichts
erweckt den Anschein einer versuchten Tarnbemalung.
Dafür bin ich jetzt im alten Schleusengebiet - der See liegt ruhig, zumal ihn kein Schiff stort,
weil keines kommen kann beim Zustand dieser über 200 Jahre alten Schleusen.
Warum auf diesem Häuschen Arkiv draufsteht, entzieht sich meiner Kenntnis -
Archive finden sich normalerweise in belebteren Gegenden als hier, auch scheint da drin ein bissl wenig Platz zu sein.
Also was archivieren die hier oder bedeutet Arkiv im Schwedischen etwas ganz anderes ????
Im Schwedenforum hat mir daraufhin jemand erklärt, dass das eine Art Kiosk ist.
9.7.2012
(Am 8. war die Museumsbahn Skara-Lundsbrunn dran, am 10. der Dalsland-Kanal, das kommt alles noch)
Eine Freundin aus Göteborg hat mich besucht, wir geniessen in einem Cafe am Kanal den Mittagstisch und begeben uns auf einen Verdauungsspaziergang nach Norden. Und schon an der nächsten Brücke wird es spannend - Kanalschifffahrt und die Bahnstrecke (Göteborg-)Trollhättan-Karlstad-Stockholm kommen sich ins Gehege.
Der Klügere gibt nach - aber das dauert eine Weile.
inzwischen ist das Schiff weg - der nächste Zug kann kommen, aber auf den warten wir nicht mehr.
Auf der Zug-Hub-Brücke kann man auch zu Fuß den Kanal überqueren, denn es ist kurz vor 15 Uhr,
und das Gedränge auf der Oskarsbrücke sparen wir uns dieses Mal,
denn ein Teil der Schleusen für das tägliche Wasserfallspektakel wird direkt unter uns geöffnet.
Oberhalb des rechten Göta-Älv-Ufers gibt es einen Panoramaweg.
Auf der Oskarsbron hat sich der Fußgängerstau inzwischen verlaufen,
und nach einigem Auf und Ab den Panoramaweg entlang kommt das untere Kraftwrk - Olidan - in Sicht.
Für den Rückweg werden wir dann diese Fußgängerbrücke nehmen.
Aber vorher geht's auf die Skräddareklinten=Schneiderklippe, die so heisst, weil von dort der Legende nach ein Schneider in den Tod gestürzt ist, nachdem er dort lange sitzen musste, um ein Kleid zu nähen, und beim Aufstehen das Gleichgewicht verloren hat.
Warum er seine Arbeit an diesem unwirtlichen Platz zu verrichten hatte, darüber gibt's mindestens zwei Versionen:
Nach der einen (die im Prospekt des Touristenbüros steht) war er zum Tod verureilt und sollte unter dieser Bedingung begnadigt werden, die andere hab ich im Netz gefunden - nach der war es, wenn ich's richtig verstanden hab, die Auflage seines Brautvaters (der den armen Schlucker nicht als Schwiegersohn haben wollte), dass er das Brautkleid auf der Klippe zu nähen hatte, und das bei Eiseskälte.
Nach dem Todessturz des Schneiders stürzte sich auch seine Geliebte in den Fluss, so dass der Plan des hartherzigen Vaters, seine Tochter anderweitig an einen finanziell Bessergestellten zu verschachern, nicht aufging.
Quelle: https://thomas.bjurback.se/tgrejer/Docume…dareklinten.pdf
Damit keine Touristen auf der Schneiderklippe zu Schaden kommen, hat die weise Stadtverwaltung (oder wer auch immer) darüber eine ordentliche und gut gesicherte Aussichtsplattforum gebaut.
- Ende des Berichts -