Ein Verrathener

  • Im Prager Tagblatt vom 19. Mai 1878 fand ich eine Geschichte die ich lesenswert finde.

    Zur besseren Lesbarkeit habe ich - sehr zurückhaltend - einige Wörter in eine etwas modernere Form gebracht.



    Ein Verrathener


    Eine Johannisgeschichte von F. R.


    Es war im Jahre 1865, als um Mitternacht vor dem Johannisfest ein Mann schnellen Schrittes von der Altstadt Prags über die Steinbrücke hin der Kleinseite zuging. Der Mann war hoch gewachsen, hüllte sich in einen weiten, faltenreichen Mantel ein und seinen Kopf bedeckte ein schwarzer, breitkrempiger Hut. Nach dem schnellen, ja fast hastigen Schritt zu urteilen, mußte der Dahineilende in den besten Mannesjahren stehen, und wirklich war es auch so, denn als der Mond plötzlich aus einer getrennten, schwarzen Wolke hervorschaute, bemerkte man deutlich, dass derselbe nicht nur ein jugendliches, sondern auch ein schönes Gesicht besaß.

    Vor der Statue des heiligen Johann von Nepomuk blieb er stehen und blickte sinnend zu ihr empor.


    "Landespatron", lispelte er, "zu Dir beten Hunderte von Herzen in diesen Tagen, nur das meine kann es nicht! Ich habe meine Lebensbahn geschlossen, die Welt ist für mich abgeblüht, und die Jugendträume der süßen Liebe versanken in ein tiefes, unendlich tiefes Meer hinab. Einstens habe auch ich mich mit frommem Herzen zu Dir gewendet, mein Herz war damals gut, denn es wohnte die Liebe darin, doch jetzt hausen darin Schlangen, sie winden sich umher und lassen mir keine Ruhe und Rast. Treulos hat mich das Liebste auf der Welt verlassen, und doch schwur sie mir an dieser Stelle noch vor einem Jahr selbst Lieb' und Treue. Sie blickte zu Dir empor und sagte, Du hättest es vernommen. Jetzt stehe ich hier allein, und zum letzten Mal gehe ich an Dir vorbei, dann lenke ich meine Schritte in die Welt hinaus, um mir einen stillen Ort zu suchen, wo ich unerkannt leben und sterben kann."


    Noch einmal blickte er zu der Statue empor, dann eilte er gesenkten Hauptes weiter. Er war nur wenige Schritte gegangen, da prallte er an eine Gestalt, die ihm entgegen kam. Er hob das Haupt und ein Schrei entschlüpfte seinen Lippen.

    "August!"

    "Ich bin es! Ich suche Dich an dieser Stelle, sie hatte Recht als sie sagte, dass ich Dich hier finden würde. Komm rasch mit mir!"

    "Ich mit Dir? Nie!"

    "Es ist der Wille einer Sterbenden, Du musst ihn erfüllen!"

    "Einer Sterbenden? Ich verstehe Dich nicht. Was ist geschehen? Du weißt, ich habe mit Dir keine Gemeinschaft mehr seit...."

    "Sei jetzt nur ruhig, Heinrich, und folge mir. Ich weiß ja was ich Dir angetan habe, Du kannst es mir nie verzeihen, ich bitte Dich aber den Wunsch eines Wesens zu erfüllen das Du einst geliebt hast. Agnes liegt im Sterben; sie will Dich sehen, und ich soll Dich zu ihr führen. Begreifst Du jetzt?"

    "Agnes!" hauchte der mit dem Namen Heinrich Angesprochene, dann ging er schweigend an der Seite des anderen Mannes weiter.

    "Du weißt", begann der Andere, "wir waren vor einem Jahr noch die besten Freunde; alles teilten wir gemeinschaftlich. Du, ein armer Maler, konntest Dir so manchmal nicht das Allernötigste verschaffen, da war es Dein Freund, der Dir sein Geldsäckchen hinstreckte, und wahrlich, ich tat es immer mit der größten Freude. Ich hatte ja nicht Ursache zu sparen; ein reicher Edelmann half mit Freuden seinem Freund Künstler.

    Eines Tages kamst Du freudestrahlend zu mir und brachtest mir die Botschaft, dass ein Dir anverwandtes Mädchen mit seinen Eltern nach Prag gekommen war, und in ihrem ganzen Wesen ein wahrer Engel sei. Du sagtest mir auch, dass Du Dich in das Mädchen unsterblich verliebt hättest. Ich, Heinrich, lachte damals herzlich über Dein Geständnis und bemerkte, es würde wohl nur so ein momentaner Anflug einer Liebe sein. Du bliebst aber steif und fest bei Deiner Aussage und hieltst Dich lange Zeit von meiner Wohnung fern.

    Endlich kamst Du zu mir mit einem Bild Deiner Schönen, das Du selbst gemalt hattest. Du hast mir dabei erklärt, Du wärst mit Deiner Liebe im Reinen, und einige Wochen später würdest Du um die Hand Deiner Agnes bei ihren Eltern anhalten. Das Bild hast Du mir gegeben, als Zeichen Deiner Freundschaft. Ich wünschte Dir Glück zum Ehestand und versprach, mit allen meinen Kräften Dir auch weiterhin behilflich zu sein. Du hast mir mit warmen Worten gedankt, und dann schieden wir von einander.

    Ich blieb mit dem Bild allein - es war in ein grünes Tuch eingehüllt - und ich weiß nicht warum ich es so rasch enthüllte als Du draußen warst. Wie geblendet stand ich da, alle Pulse glühten in mir - ein wunderschöner Mädchenkopf blickte mich lächelnd aus dem Rahmen an. Es kam mir vor als ob ich ein Märchen erlebte, denn ich sank in die Knie und drückte einen heißen Kuss auf die Lippen des Mädchens.

    Ich hatte mich leidenschaftlich in Agnes verliebt!

    Den zweiten Tag kam ich zu Dir und ersuchte Dich, mich Deiner Liebe vorzustellen. Du, nichts Arges ahnend, gingst, um meinen Wunsch zu erfüllen, mit mir zu ihr. Ich wurde von den Eltern des Mädchens freundlich aufgenommen, und wir verlebten später dort so manche heitere Stunde zusammen. Nach einiger Zeit wurdest Du, Heinrich, auf das Landgut berufen um die Ahnenbilder zu restaurieren. In Deiner Abwesenheit aber wuchs meine Leidenschaft von Tag zu Tag, mit jedem meiner Besuche gewann ich Agnes lieber, und in einer günstigen Stunde - meiner nicht mehr mächtig - fiel ich ihr zu Füßen und gestand ihr meine Liebe. Sie wies mich erschrocken zurück, vorgebend, sie hätte ja Dir Liebe und Treue gelobt. Ich aber überhäufte sie mit Bitten und Liebesbeteuerungen. Lange widerstand Agnes meiner Versuchung, endlich sank sie doch in meine Arme, die ich ihr triumphierend entgegenbreitete.

    Mein Gewissen machte mir in der ersten Zeit die furchtbarsten Vorwürfe. Ich sah ein, dass ich undankbar und verräterisch gehandelt hatte, doch meine Leidenschaft siegte am Ende über alles.

    Ich ließ Dir eine Summe Geldes in Prag und reiste mit Agnes und ihren Eltern nach Ungarn auf mein Gut, wo wir getraut wurden. Einige Zeit nach unserer Vermählung erhielt ich mein Geld von Dir mit einem Brief zurück. Ich habe weinend die Vorwürfe gelesen, mit welchen Du mich in dem Brief überhäuft hast, denn ich hatte sie verdient.

    Agnes fing an zu kränkeln, das Gewissen musste auch ihr aufgegangen sein, denn oftmals, wenn ich sie heimlich bobachtete, sah ich wie sie Dein Bild, das sie verborgen an ihrem Busen trug, küsste.

    Wir lebten zurückgezogen vom gemeinschaftlichen Leben, und so verging der Herbst und auch der Winter.

    Als aber die Frühjahrssonne wieder durch das Fenster in das Zimmer blickte und ein Krankenlager beschien, bat mich die Arme, mit ihr nach Prag zurückzukehren, da sie sonst vor Sehnsucht hier sterben müsste. Mit fieberhafter Eile ersuchte sie mich, noch vor der Johannisfeier in Prag einzutreffen, da sie bis dahin sich gestärkt fühlen würde und gern die Feierlichkeit mit ansehen möchte. Ihr Wunsch war mir heilig, und vor einigen Tagen trafen wir hier ein. Gleich nach unserer Ankunft warf ein heftiges Fieber die Arme aufs Krankenlager. Sie wurde von den Ärzten aufgegeben, und niemand war da um mich trösten zu können.

    Heute Abend ersuchte mich Agnes mit zitternder und schwacher Stimme, ich solle um Mitternacht zur Statue des heiligen Nepomuk auf die Brücke gehen, eine Ahnung sage ihr, Du würdest ganz bestimmt dort sein.

    Während der Reise gestand sie mir, es habe ihr keine Ruhe gelassen, bis sie wieder nach Prag zurückgekehrt sei. Agnes kann ohne Deine Verzeihung nicht sterben, sie weint ganze Stunden lang."


    Während dieser Rede waren die beiden Männer zu einem kleinen Haus, welches unterhalb des Laurenziberges stand, gekommen. August nahm einen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete die Tür. Über eine mit weichen Teppichen belegte Stiege gelangten sie in eine Reihe schön möblierter Zimmer, und endlich in das Krankenzimmer. Ein Nachtlicht beleuchtete nur schwach dasselbe.

    Da lag sie, die von der Reue geknickte Blume, und lächelte matt den Eintretenden entgegen. Heinrich stürzte weinend vor ihrem Bett auf die Knie und bedeckte die blasse, wachsbleiche Hand mit glühenden Küssen.

    "Heinrich, kannst Du mir verzeihen?" lispelte sie jetzt, ihm die Rechte matt entgegenstreckend. "Ich werde bald sterben. Gott hat mich für meine Sünde schwer, aber gerecht, gestraft!"

    "Ich habe Dir längst vergeben", stammelte jener. "Mache Dir keine unruhige Minute mehr darüber. Liebe erträgt viel und kann alles vergeben."

    "Du bist gut, Heinrich, ich habe mich in Dir nicht getäuscht. Ich wusste ja, Du würdest den Ort aufsuchen wo wir uns einst Treue gelobten. Bete dort für meine arme Seele.

    -- Es ist mir jetzt leichter -- ich fühle wie der Todesengel heruntersteigt -- leb wohl, ich danke Dir, Heinrich--."


    Schluchzend drückte er die Hand der Sterbenden an sein Herz, dann küsste er die bleiche Stirn der Toten und eilte - alles um sich vergessend - hinaus in die dunkle Nacht.


    In einer der frühesten Morgenstunden, am Tage der Johannisfeier, bemerkten einige Leute, die hergekommen waren um noch einiges zur Ausschmückung des Altars auf der Brücke zu vollenden, einen Mann, tief gebeugt, vor der Statue des heiligen Johannes von Nepomuk knien. Das Haupt des Mannes lag auf dem Rand eines Betschemels.

    Lange ließen sie ihn so. Doch dann fiel ihnen sein langes ruhiges Verharren auf, und als man ihn näher betrachtete, sah man dass er tot war. Ein um sein Lebensglück Betrogener hatte im Gebet für das Seelenheil seiner Agnes ausgelitten. Ein Schlaganfall hatte seinem Leben ein Ende gemacht.


    Das einzige Wertvolle, das wir unserer Erzählung beimessen, ist, dass sie auf einer wahren Begebenheit beruht und eine neue Illustration zu den Worten Heines gibt:


    "Es ist eine alte Geschichte,

    doch bleibt sie immer neu,

    und wem sie just passieret,

    dem bricht das Herz entzwei."


    Das ist die dritte Strophe des Gedichtes "Ein Jüngling liebt ein Mädchen" von Heinrich Heine.


    Im Anhang findet Ihr den originalen Zeitungsausschnitt.

    Johannisgeschichte 19.5.1878 im Prager Tagblatt.jpg



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • "Ich werde bald sterben. Gott hat mich für meine Sünde schwer, aber gerecht, gestraft!"

    So berührend die Geschichte auch ist, das Bild eines strafendes Gottes, ist leider immer noch in den Köpfen der Menschen und ein Trugbild, dem viele Religionen anheimfallen.

    So schön sie auch ist,

    irgendwie

    bin ich froh

    dass sich die Zeiten

    geändert haben.

    Viele Dinge ändern sich nie, weil sich die Menschen nicht ändern.

    LG

    8)

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