Nachtwächterführung in Groß-Umstadt

  • Am vorletzten Wochenende folgte ich einer Einladung zu einer


    Nachtwächterführung in




    Am Rathausportal erwartete uns der stilgerecht gewandete Nachtwächter mit Gassenspiess (Hellebarde), Dreispitz, den Stadtschlüsseln und dem Horn.




    Der Gassenspiess wird gerade von einem Assistenten gehalten. Ganz rechts kann man ihn noch teilweise sehen.
    Die Laterne hatte er daheim gelassen. Es war ja erst fünf Uhr am Nachmittag und Mitte August!


    Er erzählte uns erst mal was über die Geschichte der Stadt bevor wir zu einem Rundgang durch Groß-Umstadt aufbrachen.

    Zitat

    Die urkundlich nachgewiesene Geschichte der Stadt beginnt mit der Schenkung der St. Peters-Basilika an das Bistum Würzburg im Jahr 743.
    König Pippin vermachte dem Kloster Fulda im Jahre 766 das Königsgut, genannt autmundisstat.

    Zitat


    Wer darüber mehr wissen möchte kann hier nachlesen.


    Zitat

    Seit 1263 gab es das Schultheißenamt, die Gerichtsbarkeit in der Stadt ist seit 775 belegt und auch ein Land- und Stadtgericht sind urkundlich nachweisbar.


    Um als Stadt anerkannt zu werden mussten einige Bedingungen erfüllt werden:
    Der Umriss des Ortes musste ein Viereck darstellen und über eine Stadtmauer verfügen.
    Es musste ein Rathaus, eine Kirche und ein Marktplatz nachgewiesen werden.


    Dass Groß-Umstadt die Stadtrechte erwerben konnte haben wir an einem Modell im Rathaus sehen können.




    Deutlich erkennbar ist der große Marktplatz...




    ... mit dem "Biet", dem Stadtbrunnen.




    Die Bezeichnung "Biet" geht auf das althochdeutsche "biudaz" zurück, in der Bedeutung für Kelter- oder Brunnentrog.
    Die umstehenden Sandsteinblöcke sind mit Ketten verbunden.
    Dies sollte das Vieh vom Brunnen fernhalten.
    Dafür stand früher daneben das "kleine Biet" aus Holz.


    Die "Bietjungfer" die den Brunnen bekrönt stellt keine bestimmte Person dar, sondern ist allegorisch.




    Sie stützt sich auf die Wappenschilde von Hessen-Darmstadt und Kurpfalz.


    Von hier hat man einen guten Blick auf das prächtige Renaissannce-Rathaus.




    Auffällig sind die beiden Dachfiguren.
    Auf der linken Seite sehen wir eine Justicia in ungewöhnlicher Darstellung.




    Sie trägt in der rechten Hand normalerweise die Waage und stützt sich mit der linken Hand auf das Schwert.
    Außerdem trägt sie eine Augenbinde.
    Hier hat sie das Urteil schon gefunden, die Augenbinde abgenommen und das Schwert in die rechte Hand genommen um das Urteil vollstrecken zu können.


    Rechts steht die Prudentia, die Verkörperung der Klugheit.




    Man erkennt sie eindeutig an ihren Attributen Schlange und Spiegel.


    Über dem Rathausportal ist das Wappen von Groß-Umstadt angebracht.





    Es ist das älteste Stadtwappen im Landkreis Darmstadt-Dieburg und ist um 1180 entstanden.
    Das Tor mit den Türmen ist ein staufisches Element.
    Auch das Kreuz auf der goldenen Kugel auf der Mittelturmspitze (Reichsapfel) und die vierblättrigen Kleebätter weisen auf die Staufer hin.
    Links vom Mittelturm (aus Sicht des Betrachters) hängt das hanauische (Hanau) Wappen und rechts das fuldische (Fulda).


    Die Jahreszahl der Erbauung des Rathauses ist unter dem Wappen in den Sandsteinbogen eingraviert: 1596.


    Über dem Stadtwappen sehen wir links die Zeichen der Wittelsbacher die die Kurpfalz regierten:
    der rotgekrönte goldene Löwe, der goldene Reichsapfel auf rotem Grund und die silber/blauen Rauten.




    Rechts das Wappen des Hauses Hessen wie es um die Zeit des Rathausbaues ausgesehen hat.


    Darüber steht das Motto des Stadtrates - ausgeliehen bei Marcus Tullius Cicero.




    Laut Stadtführer steht da:

    Zitat

    Lex populi suprema lex esto
    Des Volkes Wohl sei oberstes Gebot


    Da hat wohl jemand weder lesen noch übersetzen können. kopfschüttel...


    Ich lese:

    Zitat

    "Salus" populi suprema lex esto
    Des Volkes Sicherheit (Wohl?) sei oberstes Gebot


    Egal! Ob sich die Ratsherren wohl an den Wahlspruch halten?


    Neben einem Rathausfenster ist die "Umstätter Elle" angebracht.




    Sie misst 54,5 cm!
    Das muss ein Riese gewesen sein!
    Ich messe bei mir vom Ellenbogen bis zur Mittelfingerspitze nicht mal ganze 48 cm.


    Der Marktplatz war früher von Gasthäusern umsäumt.
    Auf dem Bild vom Marktplatz mit dem Brunnen sahen wir schon zwei davon: "Goldene Krone" und "Zum Löwen",
    dazwischen das "Alte Haus" war eine Brauerei.


    Es geht weiter mit dem ehemaligen Gasthaus "Zum Engel" mit der Schlosspassage...




    ... und dahinter, etwas zurückgesetzt, das ehemalige Gasthaus "Zum Hirschen".
    Die berühmten Gäste die am 23. September 1518 darin verköstigt wurden kennt jeder.
    Es waren der Ritter Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen, der "letzte Ritter".
    Ihnen wurde damals die Stadt nach Belagerung kampflos übergeben.


    Unterhalb des Hirschen konnte man sich im "Darmstädter Hof", später "Deutscher Hof", niederlassen.




    Wegen dieser herrlichen Fachwerkhäuser ist Groß-Umstadt auch Mitglied bei der "deutschen Fachwerkstraße".





    Fortsetzung folgt!



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Lieber Waldi,


    wieder mal ein Beweis für dein riesengroßes Interessen Spektrum. Ein herrlicher Hintergrundbericht in teils launig gehaltenem Wort und dem entsprechenden Blick für das Wesentliche.


    Herausragend für mich die Darstellung der Klugheit, also Prudentia.


    Um dabei unaufgeregt hinzuzufügen: " Man erkennt sie eindeutig an ihren Attributen Schlange und Spiegel.".



    Dabei wollen Frauen doch ausschließlich gerne subtile Komplimente ernten.


    Aber wie man es sagen würde, auch bei Wikipedia, dreht sich bei Erklärungsversuchen der Klugheit so manches im Kreis in zwei Absätzen. lach.


    Klugheit


    Könnte Grundlage einer tiefsinnigen und einfühlsamen Diskussion hier werden.


    Bin mal gespannt.


    Vielen Dank lieber Waldi


    ganz lieben Gruß
    Helmut

  • Tja, Helmut.
    Diese Dame "Prudentia" kannte ich vor dieser Begegnung auch nicht.
    Aber wozu gibt es das von Dir angeführte Wiki?!
    Die Schlange verstand ich bisher als ein Zeichen für Falschheit, und der Spiegel verkörperte die Eitelkeit.
    Aber ich lerne auch nie aus!
    Ich wäre nicht überrascht, wenn so manches weibliche Wesen bei einem Vergleich mit der Prudentia abwehrend reagieren würde. :wink:



    Nun weiter mit dem zweiten Teil der




    Nachtwächterführung in Groß-Umstadt.



    Neben dem Rathaus am Marktplatz steht die evangelische Stadtkirche.
    Warum ich sie nicht im Bild festgehalten habe weiß ich nicht. :roll:
    Man sieht den Eingang hinter dem Marktkreuz.





    Unser Nachtwächter führte uns durch die Hanauer Gasse, vorbei am Pfarrgarten und kleinen Gassen mit herrlichen Fachwerkhäusern...




    ... über einen interessanten Gullydeckel...



    IN OMESTAT SIGILLUM CIVITUM ET CIVITATIS - in Umstadt Stadtsiegel der Bürger (oder so ähnlich)



    ... zum Darmstädter Schloss (auch Hanauer Schloss oder Unterschloss genannt).
    Es ist unser erstes von insgesamt fünf Schlössern in Groß-Umstadt.
    Dazu kommen noch zwei Adelssitze.
    Hier sieht man Mauerreste der Burg die später zum Schloss umgebaut wurde.




    Das heutige Hauptgebäude.




    Durch das Tor an dem das Wappen leider nicht mehr erkennbar ist...




    ... und dem Schild mit der Kurzgeschichte des Darmstädter Schlosses...




    ... kommen wir in den Vorhof des Schlosses.




    Diese Säulen haben bestimmt eine Bedeutung, aber die konnte ich nicht herausfinden. :wallb:
    Vielleicht habe ich mich grad mit dem Neidkopf an der Hausecke beschäftigt als der Nachtwächter darüber erzählte.




    Der nur noch schwach erkennbare Halbaffe sollte Schaden von dem Gebäude fernhalten.


    Das Darmstädter Schloss ist heute - wie die anderen Schlösser und Adelssitze auch - in Privatbesitz und deshalb innen nicht zu besichtigen.


    Außer dem gezeigten Süd- und Nordflügel wurden sämtliche Gebäude nach und nach abgetragen.
    Gegenüber vom Südflügel steht das Kutscherhaus.




    Das ist aber gerade mal erst um die 100 Jahre alt.
    Ob da noch jemand an das Spiel Deutschland - Portugal denkt? Der 16. Juni war aber schon ne Weile her.




    Nein! Die Erklärung liegt darin, dass es in Groß-Umstadt eine größere Kolonie Portugiesen gibt!
    Das Kutscherhaus ist eine portugiesische Taverne!



    Neben dem Schloss, wo früher der Westflügel stand, steht heute das Mahnmal mit einer Menora zur Erinnerung an die alte Synagoge...





    ... und dahinter die Stele mit dem Verzeichnis aller Groß-Umstädter Juden, die dem Holocaust zwischen 1933 und 1945 zum Opfer fielen.




    Die Synagoge wurde in der Pogromnacht zwar verwüstet, aber nicht angezündet.
    Das Haus des damaligen Bürgermeisters stand in der Nachbarschaft!
    Sie stand noch bis 1979 und wurde langsam baufällig.
    Kurze Zeit bevor über Erhalt oder Abriss der Synagoge entschieden werden sollte stürzte das Dach ein!
    Den Rest verkaufte man an ein Freiluftmuseum, der die Mauern abtrug und im Hessenpark bei Neu-Anspach in leicht veränderter Form wieder aufbaute.
    Seitdem ist darin die Sonderausstellung Jüdisches Landleben in Hessen zu sehen.





    Fortsetzung folgt!


    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Auf zum dritten Teil der...



    Nachtwächterführung in Groß-Umstadt




    Nicht nur das Mahnmal und die Stele erinnern an die Ermordung einheimischer Juden.
    Auch in Groß-Umstadt findet man Stolpersteine - ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig.




    Im Februar 2014 war Gunter Demnig zum dritten Mal in Groß-Umstadt um diese sieben Steine der Familie Rapp zu verlegen.


    ...



    Es macht mich immer wieder sehr nachdenklich wenn ich auf solche Steine stoße.
    Ich denke, dass der Künstler dies so wollte.
    Eine PDF-Datei über die Stolpersteine in Groß-Umstadt.


    Mir war bisher gar nicht so bewusst, dass die Unterdrückung der Juden keine Erfindung unseres Adolfs war, sondern...




    ... schon etwa 2500 Jahre alt ist!
    Erst vor etwa 200 Jahren mussten sie nicht mehr "nur" die Judengassen benutzen!




    Diese Judengasse blieb bis heute erhalten.




    Am Ende derselben stoßen wir auf den





    Bis zu 10 Brauereien waren in Groß-Umstadt gleichzeitig ansässig!
    Deshalb wird auch eine Brauereiführung angeboten.


    Die hohe Mauer und die engen Gassen verhindern einen Blick auf das Anwesen.




    Das Gebäude im Hintergrund hat man vom Hof abgetrennt und umgebaut.





    Hier lässt es sich sicher gut wohnen.



    Wir gehen zum nächsten ehemaligen Adelssitz (der gar nicht danach aussieht, oder?)




    Das Kernstück der erhalten gebliebenen Teile der Anlage, das Herrenhaus, stammt aus dem späten 16. Jahrhundert.
    Das Fachwerk-Obergeschoss, das teilweise geschnitzte Balken besitzt, ist heute leider unter Verputz verborgen.




    An der Rückseite des Herrenhauses kann man noch eine Besonderheit sehen.




    Der schmale Vorbau an der rechten Wand war früher der Abtritt - oder besser das Plumsklo!
    Man musste nicht mehr übern Hof zum Häuschen mit dem Herzen. Welch ein Komfort!
    Dem Nachbarn dürfte das bald gestunken haben, vermute ich mal.



    In der gleichen Gasse finden wir die Reste des..






    Sieht auch nicht gerade aus wie das was ich mir als Schloss vorstelle!
    Aber es wohnten ja adlige Leute drin!




    Das sieht man auch am alten Wappen das am Gebäude angebracht ist.




    Ein erster Nachweis des späteren Schlosses ist mit dem Jahr 1409 vorhanden.
    Der Pfalzgraf Ruprecht III stellte den herrschaftlichen Lehnshof dem Sibolt Schelm von Bergen lehensfrei.
    Ich dachte immer, dass ein Schelm ein harmloser Spassmacher sei. Das war ein Irrtum!

    Zitat

    Die Schelme von Bergen waren eine ritterständische Adelsfamilie, deren Stammburg im heutigen Frankfurter Stadtteil Bergen lag.
    Bekannt sind die Schelme von Bergen durch die Sage, welche die Herkunft auf Henker oder Abdecker zurückzuführen sucht.

    Zitat


    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Schelme_von_Bergen


    Der kotzende Hund über dem rechten Wappen der Schelme von Bergen soll auf den Beruf des Abdeckers hinweisen.
    1540 ging das Areal durch Heirat der Anna Schelm von Bergen an Otto von Boyneburg, der Amtmann in Umstadt war.
    Die Büffelhörner krönen das Wappen derer von Boineburg (links).


    Seit 1909 ist das Rodensteiner Schloss in städtischem Besitz und heute Seniorenwohnheim.



    Vom Curtischloss ist leider nur noch die Wappentafel erhalten.






    Die Wappen schau ich mir gerne genauer an.





    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Curti-Schloss


    Links ist das Wappen des Johann Wilhelm Curtius mit der "roten Hand von Ulster", dem Kennzeichen der englischen Baronets.
    Rechts das Wappen seiner Gemahlin (erste Ehe) Freiin von Gressenich
    und in der Mitte das Wappen des Stammhauses, der "Curti di Gravedona".






    Fortsetzung folgt!



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Noch hab ich nicht alle Details Deines außerordentlich detaillierten Porträts von Groß Umstadt ganz genau gelesen - und schon schwirrt mit der Kopf von all den lokalen Markgrafen, Herrschaften und Honoratioren.
    Wie schaffst Du es denn nur, immer die Wappen zu "lesen" und zu deuten? Respekt!!


    Interessant Deine Ausführungen zu der speziellen Geschichte der Juden. Keine ungewöhnliche, denke ich.


    Groß Umstadt war für mich bisher nur ein Name - ich wusste nicht einmal, dass es eine Stadt mit solch schönem historischen Kern ist .
    Du hast es mir Deinem fundierten Bericht und den guten Fotos geschafft, dass ich mit dem Namen jetzt auch Bilder einer Stadt verbinde.
    Danke für die viele Arbeit, die Du Dir damit gemacht hast.


    Und jetzt noch die Nachtwächterführung... ich bin gespannt, waldi!


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Nun kommt der vierte Teil der



    Nachtwächterführung in Groß-Umstadt



    Gegenüber vom ehemaligen Curtischloss steht das




    Es erinnert schon eher an ein Schloss als die bisher gesehenen Gebäude.




    Der heute mit altem Baumbestand bestandene große Innenhof.




    Leider ist das Schloss unbewohnt und dem Verfall preisgegeben.
    Die Familie Wambolt versucht es zu verkaufen, aber wer kann sich die Erhaltung eines solchen Anwesens schon leisten?
    Die Stadt Umstadt hatte leider kein Interesse.


    Noch ein bisschen Geschichte.




    Das Schloss beeindruckt vor allem durch die kunstvoll getriebenen schmiedeeisernen Korbgitter an den Fenstern des Nordflügels
    mit ihren aufwändigen Spiralen, Blüten, Blättern und anderen Zierformen.






    Schade, dass es so vernachlässigt wird.


    Über dem Ostportal zum Südflügel...




    ... habe ich diese Wappentafel fotografiert.




    Zitat


    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wambolt%E2%80%99sches_Schloss


    Zusammen mit den vorhandenen Gebäuden ergab sich eine große geschlossene Hofanlage.
    Von dieser umfriedeten Hofanlage mit Wirtschafts- und Nebengebäuden sind nur noch wenige Reste erhalten:
    Das Jägerhaus ist das einzige erhalten gebliebene Neben- und Wohngebäude im Schlossareal.


    ...




    Andere Nebengebäude, die Kutschenremise und das Kelterhaus sowie ein großer Vorhof existieren nicht mehr oder sind stark überbaut.



    Durch die Schlosspassage kämen wir wieder zum Marktplatz.




    Wir gehen aber weiter zum



    Von hier aus übten die eingesetzten pfälzischen Verwalter die gemeinsame Herrschaft über das Oberamt Umstadt
    und zeitweise auch über das Oberamt Otzberg aus, gleichzeitig war er Zehntort.




    Heute ist das Schloss im Besitz der Stadt Groß-Umstadt, die den Rittersaal als Tagungsort der Stadtverordnetenversammlung,
    Tagungs- und Ausstellungsraum, sowie Aufführungsort diverser Veranstaltungen benutzt.




    Der Rittersaal wurde nach der Wiederetablierung einer katholischen Gemeinde 200 Jahre lang von 1700 bis 1900 als katholischer Gottesdienstraum benutzt,
    woran auch eine auf das Jahr 1739 datierte Sakramentsnische in der Südwand erinnert.




    Auf den Resten einer fuldischen Wasserburg aufbauend ist der Unterbau aus dem 15. Jahrhundert.
    Nord- und Westseite stützten sich direkt an bzw. bauten auf die Stadtmauer auf.




    Die unteren Fenster wurden durch die Stadtmauer gebrochen.




    Wie man sich zu dem unpassenden Anbau auf dem Dach des Nebengebäudes hinreißen lassen konnte wird mir ein Rätsel bleiben.


    Am Pfälzer Schloss begegnet uns wieder ein bekanntes Wappen.



    Wer kann die römische Zahl richtig deuten?



    In der südlich verlaufenden Begrenzungsmauer des Schlosses sind Teile des Türgewandes der abgerissenen Curti'schen Kapelle des Umstädter Friedhofs
    mit dem Wappen derer von Curti im offenen Giebel des Toreinganges eingelassen.
    Wir erinnern uns an die "rote Hand von Ulster", dem Kennzeichen der englischen Baronets.


    Zum Schluss des vierten Teiles zeige ich Euch noch mal unseren Nachtwächter im Hof des Pfälzer Schlosses.
    Jetzt hat er auch seinen Gassenspieß in der Hand!





    Fortsetzung folgt!


    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Genau wie Elke es angesprochen hat, fällt hier die Detailverliebtheit im Besonderen auf. Nicht nur die hervorragenden Motive, sondern vielmehr auch die kompetenten Hintergrundberichte dazu. Das ist mit Sicherheit eine Riesenarbeit , die man nicht genug würdigen kann.


    Macht Spaß, man muss sich einfach Zeit dazu nehmen.


    Ganz lieben Gruß
    Helmut

  • Es folgt der letzte Teil der


    Nachtwächterführung in Groß-Umstadt



    Genug der Schlösser und Adelssitze!
    Jetzt zeige ich noch die katholische Kirche St. Gallus.




    Die evangelische Stadtpfarrkirche, die ich leider nicht fotografiert habe, war ja vor der Reformation auch katholisch.
    1523 begann sich die lutherische Lehre in Umstadt auszubreiten.
    Die Reformation wurde 1547 durch die hessischen und die Pfälzer Landesherren eingeführt (pfälz. Teil reformiert, hess. Teil lutherisch)
    und die katholische Gemeinde wurde zwangsweise aufgelöst.
    Die katholische Kirche wurde "mitreformiert".
    Der katholische Glaube war bis 1694 bei Strafe verboten!
    Erst danach entstand wieder eine kleine katholische Gemeinde.
    Die Wiedererrichtung der katholischen Pfarrei erfolgte 1702 unter Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz.
    Wie wir im letzten Teil schon gelesen haben, wurden die Gottesdienste damals im Rittersaal des Pfälzer Schlosses gefeiert.
    Erst 1897 bis 1899 wurden auf einem Teil des Schlossgeländes nach Abriss der Stallungen und der Zehntscheuer die neue katholische Kirche und das Pfarrhaus gebaut.



    Ein paar schöne Fachwerkhäuschen.






    Das letzte Haus zeigt den Schlußstein der ehemaligen Einfahrt den man nach einem Umbau erhalten wollte.




    Die Brezel weist auf einen Bäcker mit den Initialen P. R. als Auftraggeber hin, der im Jahre 1598 diesen Torbogen bauen ließ.
    In der Mitte der Jahreszahl hat der Steinmetz Jörg Schoeneck sein Zeichen hinterlassen.


    Eine hervorragend erhaltene Haustüre.




    Eine Straßenlaterne.




    Ein Blick durch die obere Marktstraße...




    ... zeigt uns das Schultürmchen.




    Das "um die Ecke" gebaute ehemalige Schulgebäude hatte man 1843 an Stelle eines Hospitals fast baugleich errichtet.
    Auf dem Modell der mittelalterlichen Stadt im Rathaus (Teil 1) lag das "Hospital zum Heiligen Geist" noch außerhalb der Stadtmauern.
    Am Ende der oberen Marktstraße stand der mächtige Mitteltorturm, der 1816 leider abgerissen wurde.




    Neben dem Turm hatte die städtische Schützenkompagnie ihr Schießhaus.
    Geschossen wurde im "Blinden Graben" vor der Stadtmauer, der nie mit Wasser gefüllt war.
    An der Stelle des Schießhauses wurde nach 1812 das Gasthaus zur Brücke von Bäckermeister J. H. Ohl errichtet das heute noch existiert.




    Weinstube? Mitten im Odenwald?
    Ja! Groß-Umstadt blickt auf eine mehr als 1250 Jahre alte Geschichte zurück.
    Eng damit verbunden ist die noch ältere Geschichte des Weinbaus, wie ein römischer "Traubenstein" belegt.
    Umstadt gehört als "Odenwälder Weininsel" zum Weinanbaugebiet "Hessische Bergstraße".
    Das war bis zur Wiedervereinigung das kleinste Anbaugebiet Deutschlands.
    In den Lagen "Herrnberg" und "Steingerück" werden über 15 verschiedene Rebsorten angebaut.
    Der oben erwähnte Traubenstein ist in der evangelischen Kirche zu finden, die leider bei unserer Führung verschlossen war.
    Bei einer Renovierung hat man Reste einer Villa rustica gefunden und ist auf zwei Spolien mit Traubenmotiven gestoßen.
    Daraus schließt man dass die Römer schon um das Jahr 100 in Umstadt Weinbau betrieben haben.
    Seit etwa 1000 Jahren ist er urkundlich nachweisbar.


    Deshalb wundert es auch nicht dass ich in Groß-Umstadt auf einen Brunnen...




    ... und einen Torsturz mit Traubenmotiven gestoßen bin.




    Es soll aber nicht nur Wein getrunken werden in Groß-Umstadt, sagt man. :roll:




    Trotzdem haben wir unsere Nachtwächterführung mit einem guten Tröpfchen im Rathauskeller abgeschlossen.




    Apropos Obst: Bei der Führung kamen wir an einem Baum vorbei mit mir unbekannten Früchten.




    Ich dachte erst an eine Kirschensorte, aber im August???




    Oder bin ich hier auf einen Ölbaum gestoßen?





    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Hallo Waldi,


    deine römische Zahl ist im lateinischen die Jahreszahl 1695 und dein Baum ist eine Kornelkirsche


    Und eins weiß ich: Sollte ich mal eine von dir vorgestellte Stadt besuchen drucke ich mir vorher deine Beschreibung aus.
    Sie ist besser als jeder Reiseführer!

    Lieben Gruß Karin
    Wer der Sonne entgegen wandert lässt den Schatten hinter sich. (Bruno Hans Bürgel)


  • Und eins weiß ich: Sollte ich mal eine von dir vorgestellte Stadt besuchen drucke ich mir vorher deine Beschreibung aus.
    Sie ist besser als jeder Reiseführer!


    Genau diesen Gedanken hatte ich auch.
    Oder warst Du inkognito selbst der Nachtwächter von Groß Umstadt?:wink:


    So viel Detailwissen kann nur ein Einheimischer haben!!
    Groß Umstadt ist mir durch Dich sehr sympathisch geworden -


    Danke für Deine umfangreiche und kompetente Stadtführung!


    Es ist Zufall: aber im Urlaub habe ich von einer Campingnachbarin aus der Steiermark ein Glas mit selbstgemachter "Dirndlmarmelade" bekommen- es ist Marmelade aus Kornelkirschen!


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Es ist schön zu merken dass meine manchmal etwas ausufernden Berichte von einigen Usern trotzdem aufmerksam gelesen werden!
    Das freut mich sehr!


    Liebe Karin!
    Natürlich stimmt die jahreszahl 1695! MDCXCV
    M für 1000, D für 500, C für 100. Bis hier wars einfach = 1600.
    Nun kommt X für 10 vor dem C für 100 = 90 und zum Abschluss das V für die 5, also zusammen 1695.


    Vielen Dank für die Erklärung der Kornelkirsche! Lag ich doch nicht ganz falsch mit der Kirsche! Oder hat diese Frucht nichts mit der Kirsche gemein außer der Form?
    Kann man sie essen oder was macht man damit?



    Liebe Elke!


    Ich war nicht der Nachtwächter!
    Es wäre aber ein Beruf gewesen der mir möglicherweise gelegen hätte.
    Ich arbeite ja regelmäßig nachts und kann gut damit leben. Das sieht man auch manchmal an den Zeiten zu denen ich Berichte einstelle.
    Da sind nicht selten nachmitternächtliche Uhrzeiten dabei.


    Nach Groß-Umstadt fahre ich etwa 35 Minuten. Ich bin zwar kein Einheimischer, aber es gibt ja Internet.
    Außerdem hat mir der Nachtwächter beim Abschiedstrunk noch eine kleine Broschüre verkauft.
    Die hat mir sehr geholfen.


    Jetzt weiß ich, dass es Marmelade aus Kornelkirschen gibt. Wie schmeckte sie denn die Dirndlmarmelade?
    Darf man aus der Marmelade für Dirndl (Mädchen) schließen dass sie besonders süß ist?
    Vielleicht kann uns Josef darüber aufklären. Er dürfte sie kennen.



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Vo Groß-Umstadt haben wir noch nie gehört, obwohl wir im Odenwald schon sehr viel unterwegs waren. Die herrlichen Städte Michelstadt, Eberbach, Erbach, Amorbach, Walldürn und und und haben wir vor vielen Jahren schon besucht. Du zeigst uns aber mit deinem Bericht, dass man sich viel intensiver mit den einzelnen Besorheiten der Orte beschäftigen kann.


    Herzlichen Dank,
    Irmgard und Klaus

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