BÖBLINGEN > Erste Nachtwächterführung

  • Zufällig hatten wir am Sonntagmorgen von der ersten Böblinger Nachtwächterführung gelesen. Recht spontan entschlossen wir uns zur Teilnahme. Eine willkommene Gelegenheit um einiges über die Stadt, in der wir zwar nicht aufgewachsen sind aber in der wir seit einigen Jahren leben, erfahren zu können.


    Vereinbarter Treffpunkt war um 19:30 Uhr die Wandelhalle am Oberen See.


    In die Vergangenheit führten uns die Herren Gérard Krimmel, ehemaliger Lehrer an der Musikschule, sowie Herr Günter Scholz, der ehemalige Leiter des städtischen Kulturamtes. Sie schlüpften in die Rolle eines Nachtwächters und Stadtschreibers.


    An der Wandelhalle sowie bei weiteren Stationen des Rundganges trug der Nachtwächter so wie es einst üblich war sein Lied vor. Es fing immer mit den gleichen Worten an, nur die besungene Uhrzeit variierte.


    Hört ihr Herrn und lasst euch sagen, unsere Uhr hat .... geschlagen.


    Den Refrain sangen alle Teilnehmenden stets gemeinsam:


    Menschenwachen kann nichts nützen, Gott muss wachen, Gott muss schützen. Herr durch deine Güt%u2019 und Macht schenk uns eine gute Nacht.


    Die jeweilige Uhrzeit bezog sich immer auf ein Thema
    10 Uhr > 10 Gebote
    11 Uhr > verbliebene 11 getreue Jünger
    12 Uhr > Tag vollbracht - Zeit ist Ewigkeit
    1 Uhr > Ein Gott


    Wer die Melodie (mit Textabweichungen im Refrain) zu diesem Lied anhören möchte, kann dieses unter dem folgenden Link tun:
    https://www.badenpage.de/genge…ourist/nachtwaechter.html


    Der Stadtschreiber wartete mit Geschichten von anno dazumal auf, die er auch mit der heutigen Zeit verglich. So erfuhren wir vieles über das damalige Leben.


    Die Welt des Böblingers endete an der Stadtmauer. Nachts war sie verschlossen und tagsüber nur durch zwei Tore zu verlassen. Man konnte die Stadt durch zwei Ausgänge verlassen: das Untere Tor (am heutigen Elbenplatz) und das Oberer Tor (beim Plattenbühl).


    Die Kirche reglementierte: Sie wachte über die Moral und kassierte den Zehnten der Bauern. Tagsüber wurde geschafft und sobald die Dunkelheit einbrach, verzogen sich die Bewohner in ihre Häuser. Wachskerzen konnten sich nur die wohlhabenden Bürger leisten. Da sie an Hexen und Geister glaubten, hatten die Bewohner Angst davor sich im Dunklen im Freien aufzuhalten. Deshalb war der Nachtwächter auch in ihren Augen keine ehrenhafte Person. Er stand auf der gleichen Stufe wie ein Hausierer, Kesselflicker oder Henker. Dabei war der Nachtwächter sehr wichtig für die Sicherung der Stadt. Seine vordringlichste Aufgabe war die Verhütung von Bränden. Da die Stadt aus engen Gassen sowie dicht beieinanderstehenden Holzhäusern bestand und es überall offene Feuer gab, war die Brandgefahr hoch.
    Außerhalb der Stadttore lagen schon im Mittelalter die beiden Seen, der Obere und der Untere See. Dank dieser Seen war immer genügend Löschwasser vorhanden und es gab in Böblingen nie einen Stadtbrand.
    Das im Winter gewonnene Eis wurde zum Bierbrauen verwendet und gelagert.


    Das historische Böblingen entstand auf dem Schlossberghügel. In den ältesten Aufzeichnungen heißt die Stadt %u201EBebelingen%u201C, man bringt es mit dem Fürsten Bobilo in Verbindung. Auf dem höchsten Punkt des Schlossberges stand einst das Böblinger Schloss, der Witwensitz des Hauses Württemberg. Nicht weit vom Schloss entfernt befindet sich die Stadtkirche. Unterhalb der Kirche findet man heutzutage den Marktplatz, den es einst so nicht gab. Die Häuser standen in engen Gassen dicht bei einander. In der Nähe des Unteren Tores liegt die Zehntscheuer. Hier wurde das Zehntel der Ernte aufbewahrt. Daneben stand eine kleine chemische Fabrik. Hier erfand man den Narkose-Äther, den man früher im Krieg im Feldlazarett nutzte.


    Ein schwarzer Tag in der Stadtgeschichte war die Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943. Böblingen wurde versehentlich das Ziel eines alliierten Bombenangriffes, der eigentlich Stuttgart treffen sollte. Da es nebelig war, hatten die Bomberpiloten ihre Fracht zu früh abgeworfen. Innerhalb einer Stunde versank die Altstadt samt Kirche und Schloss in Schutt und Asche, 44 Menschen verloren ihr Leben und viele Einwohner wurden verletzt.


    Nach dem Krieg baute man die Stadtkirche wieder auf und es entstand ein großer Marktplatz. Auf den Wiederaufbau des Schlosses verzichtete man. Der nun vor dem einstigen Vogtshaus (heute Fleischermuseum) stehende Christopherusbrunnen ist eine Nachbildung. Das Brunnenoriginal wird in der Zehntscheuer aufgehoben. Bei der Brunneneinweihung des Duplikates in den 80ern floss eine Viertelstunde Wein statt Wasser. Bei der Neugestaltung der Oberen und Unteren Seen anlässlich der Landesgartenschau 1996 gedachte man an Barbara Gonzaga von Mantua. Sie war als Witwe des Grafen Eberhard ins Schloss gezogen, erwarb am Oberen See einen Garten. Ihr Vater hatte sich in Italien einen Renaissancegarten mit Brücken, Stegen und Wassertreppen von Architekten erbauen lassen %u2013 das findet man im heutigen Stadtgarten wieder.


    Unser Weg führte uns von der Wandelhalle entlang der Seen durch den Stadtgarten.

    Begrüßung und Vorwort in der Wandelhalle am Oberen See



    Blick von der Wandelhalle auf den Schlossberg



    Station am Unteren See


    Vom Elbenplatz her betraten wir den Schlossberg, wo sich einst das Untere Tor befand.


    Der Weg führte uns zum Platz zwischen dem Rathaus und der Zehntscheuer,



    bevor es weiter zum Christopherusbrunnen vor dem Vogtshaus ging.



    Anschließend liefen wir die Stufen entlang der Stadtkirche hinauf


    und gelangten zum Platz des ehemaligen Schlosses.


    Auf dem Weg zurück legten wir noch eine Station am alten Rathaus ein.


    Im Anschluss an die Führung konnten wir uns in der Zehntscheuer noch bei einem Glas Glühwein oder Kinderpunsch aufwärmen.

    Ein Dank gebührt den beiden Herren Krimmel und Scholz


    Dort konnten wir uns auch im Modell das ehemalige Schloss auf dem Schlossberg ansehen.


    Auf unserem Heimweg hielt ich dann noch zwei weitere Ansichten digital fest.

    Rückseite der Kongresshalle am Unteren See



    Noch einmal ein Blick auf die Stadtkirche, die uns häufig sichtbar den Weg bereitete.

    [COLOR="#0000CD"]Entdecke die Welt, wie einst Captain Cook, Baedeker oder Marco Polo[/COLOR]


    Carpe Diem Annette und Hartmut


    [COLOR="#008080"]Wissen schafft Wissen - jeden Tag entsteht neues Wissen![/COLOR]

  • Danke, Hartmut für die ausgezeichneten Nachtaufnahmen und für die Schilderung eures Erlebnisses.
    Ich liebe ja mittelalterliche Städtchen - aber so wie du es beschrieben hast, hätte ich das Leben in dieser Zeit wohl kaum genossen ( vor allem nicht in den dunklen Nächten).
    Ein Kompliment an die Stadt Böblingen ( und den dafür Zuständigen), dass sie ihren Bürgern Stadtgeschichte auf diese originelle Weise nahebringt!


    Gruß,
    ELMA

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