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Grizzlys Bosnienreise 2010

  • Grizzly
  • 3. Oktober 2010 um 22:31
  • Grizzly
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    • 19. Oktober 2010 um 23:20
    • #31
    Zitat von wallbergler


    Diese enorm aufwendigen Reiseberichte zeigen nun wahrlich einen ebenso übersichtlichen Gesamteindruck, wie die nicht unwichtigen Details.


    Dankschön für die Blümli.
    Mit enorm aufwendig hast Du Recht - die Reise ist 10 Wochen vorbei, und ich bin mit dem Bericht immer noch nicht fertig (trotzdem ich in unserem eigenen Forum schon weiter bin). Aber es macht Spass und erinnert mich immer wieder an diese ungemein eindrucksvolle Fahrt.
    Und ich freue mich sehr über Eure differenzierten Rückmeldungen.


    (Immer noch 20.7.2010)

    Die Weiterfahrt von den Stecci geht durch die wilden Berge des Sutjeska-Nationalparks.
    Bereits von dort kann man sie ahnen,

    Bald sind wir mittendrin ...

    und Armmuskeln wie Koordinationsvermögen von Milan, unserem Fahrer, sind wieder mal gefordert.

    [youtube]a27FQTt5MWI[/youtube]

    [youtube]KhBK0EZkuco[/youtube]

    Am Ende des Tals ist für alle eine Rast fällig.

    Mit roter Schrift in kyrillischen Buchstaben steht Bife, das würde bei uns Büffet heissen -
    wir sind offensichtlich nicht nur in der Srpska, sondern auch in einem serbischen Restaurant.

    Wobei das Bife eher ein Imbiss ist, aber für unsere Bedürfnisse reicht's.

    Das monströse Kriegsdenkmal schenken wir uns diesmal, zumal wir weiter müssen -
    in Foca werden wir erwartet.

    In Foca (spr. fotscha) lebten vor dem Krieg (das heisst in diesem Thread: Vor dem Bosnien-Krieg 1992 - 1995) etwa gleichviel Serben wie Muslime. 1992 wurde die Stadt von serbischen Nationalisten erobert, die Nicht-Serben wurden ermordet oder vertrieben. Einige der damals dort verübten Verbrechen sind Gegenstand von Gerichtsverhandlungen am Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

    Nach der Eroberung wurde die Stadt in Srbinje umbenannt, das heisst etwa "Ort der Serben" - seit 2004 heisst sie wieder Foca. Auch sind inzwischen so viele nationalistische Betomköpfe abgewandert, so dass 2005 ein erklärter Nicht-Nationalist, Zdravko Krsmanovic, zum Bürgermeister gewählt wurde. Dessen politischer Traum ist, den Hass aus Bosnien zu vertreiben, wie er einer britischen Zeitung erklärt hat (einen deutschsprachigen Link über diesen interessanten Politiker habe ich leider nicht gefunden).
    Mit ihm waren wir eigentlich in Foca verabredet.

    Vor dem Rathausbesuch gehen wir über das Ruinenfeld, auf dem bis 1992 die "Bunte Moschee" stand, eine der schönsten Moscheen in Bosnien und Herzegowina. Sie wurde von den serbischen Eroberern nicht nur dem Erdboden gleichgemacht, sondern die Steine wurden auch weggeschafft und zum Teil in die Drina geworfen, um einen Wiederaufbau zu verunmöglichen.
    Geplant ist es mittlerweile trotzdem.

    Dann wartet im Rathaus die stellvertretende Bürgermeisterin Olivera Neles auf uns, ihr Chef ist leider kurzfristig verhindert.
    Bemerkenswert ist, dass im Gemeindesaal neben dem Wappen der Repubika Srpska (Mitte) und der Stadt Foca (rechts) auch das von Bosnien und Herzegowina (links) hängt, das sei in der Rep. Srpska sonst nicht üblich, wurde uns gesagt;

    auch ist, der Absicht der Nationalisten zum Trotz, die die Bunte Mosche aus dem Gedächtnis der Menschen hier streichen wollten, im Gemeindesaal neben anderen alten Bildern auch eines von dieser Moschee zu sehen.


    (P.S. wegen der Spiegelung hab ich das Bild nicht besser hingekriegt)

    Frau Neles, die Vizebürgermeisterin, begrüßt uns und hält uns einen Vortrag über die Schwierigkeiten des Wiederaufbaus und spart nicht mit Kritik an der Zentralregierung der Republika Srpska in Banja Luka (womit man sich bei diesen korrupten Herrschaften ganz schön in die Nesseln setzen kann). Mich interessiert natürlich besonders das Gesundheitswesen, und da berichtet sie, dass die Versorgungslage mit medizinischem Gerät vollkommen desolat ist, z.B. müssten Patienten für ein MRT (Magnetresonanztomogramm, im Volksmund "Röhre" genannt) 400 km bis Banja Luka fahren ...

    Wir diskutieren eine ganze Weile mit ihr, sie ist sehr offen, und es ist nur bedauerlich, dass ihr Chef, Zdravko Krsmanovic, von dem uns Erich so viel erzählt hat, nicht dabei sein konnte. Aber er ist halt ein viel beschäftigter Mann, besonders jetzt, wo am 3. Oktober Wahlen im ganzen Land anstehen und die Chance besteht, die korrupten und inkompetenten Nationalisten abzuwählen (was leider nicht geklappt hat - nachtr. Anmerkung).

    Man hätte noch ewig weiter debattieren können, aber Frau Neles hat zu tun, und unser Bus wartet - Milan will schliesslich seinen wohlverdienten Feierabend antreten. Bis Gorazde ist es nicht mehr weit, und die Straße ist auch komfortabler als die bisherige. Immer an der Drina entlang,

    und schon sind wir da und schleppen unsere Koffer in die Hotelzimmer, über die man sich nicht beklagen kann,
    wenn man davon absieht, dass ein Aufzug für im 2. Stock gelegene Zimmer
    ganz nett gewesen wäre ...

    Aber das sind Luxusprobleme, insbesondere wenn man weiss, was die Menschen in dieser Stadt 1992 - 1995 durchgemacht haben, drei Jahre Belagerung und Beschuss durch serbische Nationalisten, Hunger und desolate medizinische Versorgung, ungefähr 7000 Menschen überlebten das nicht, und die Stadt lag in Trümmern.

    Das Überqueren der Drina unter Dauerbeschuss war einigermaßen gefahrlos

    nur auf dieser "Brücke unter der Brücke" möglich ...

    Auf uns dagegen macht Gorazde den Eindruck einer quirligen Kleinstadt, in deren Straßen man zwar noch
    Narben des Krieges
    sehen kann, aber von aussen überraschend vieles wieder aufgebaut ist und das Schlimmste überstanden zu sein scheint.

    Wie gesagt, es scheint ...

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • wallbergler
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    • 20. Oktober 2010 um 13:08
    • #32

    Also lieber Grizzly,
    ich bin ja auch einer, der, wenn er Hunger hat, zum Tier werden kann, lach.
    Aber im Hinblick auf deine sachlichen Hintergrundberichte hätte ich wohl bei den Serben nichts gegessen und wenn der Magen noch so geknurrt hätte. ( Man kann ja als Ü 100 zehren , lach).
    Mich schaudert jedesmal, wenn ich erinnert werde, wie das damals quasi theoretisch in Autofahrt- Tagesweite abgelaufen ist.
    Bin gespannt was noch kommt. Halt durch, lach
    wallbergler

  • Grizzly
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    • 21. Oktober 2010 um 07:08
    • #33
    Zitat von wallbergler


    ich bin ja auch einer, der, wenn er Hunger hat, zum Tier werden kann, lach.
    Aber im Hinblick auf deine sachlichen Hintergrundberichte hätte ich wohl bei den Serben nichts gegessen und wenn der Magen noch so geknurrt hätte. ( Man kann ja als Ü 100 zehren , lach).
    Mich schaudert jedesmal, wenn ich erinnert werde, wie das damals quasi theoretisch in Autofahrt- Tagesweite abgelaufen ist.


    Also, es gibt ja nicht nur Betonköpfe bei den Serben - nebenbei, kroatische und bosniakische Betonköpfe gibt's auch.
    In Visegrad ging's mir bzw. uns wie Dir jetzt, siehe unten.
    Ansonsten haben wir aber tatsächlich wenn irgend möglich in der Srpska bei bosniakischen Rückkehrern gerastet, die erkennt man an der evtl. Brauereireklame oder am Namen des Restaurants.

    Mittwoch 21.7.10

    Während sich am Drina-Ufer langsam der Nebel verzieht,

    besuchen wir in Gorazde die Frauen des SEKA-Projekts.

    Zitat

    SEKA ist 1997 entstanden aus der langjährigen Zusammenarbeit von Hamburger Frauen mit anti-nationalistischen Frauengruppen in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Slowenien während der Kriege nach dem Zerfall Jugoslawiens. Der Name ‘SEKA’ ist abgeleitet vom serbokroatischen Wort ‘seka’ (= geliebte Schwester) und steht für die Frauensolidarität, aus der das Projekt entstanden ist.

    Wie in allen Kriegen waren auch im Krieg in Bosnien-Herzegowina und Kroatien und dann wieder in Kosova Frauen und Kinder die Hauptopfer.

    Besonders Frauen und Mädchen erlitten Vergewaltigungen und andere schwere Verletzungen ihrer physischen und psychischen Integrität. Viele Kinder wurden im Krieg geboren. Ihre ersten Lebensjahre waren bestimmt von Gewalt, Bedrohung und Todesangst ...

    Auch 15 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton sind die Auswirkungen der Kriegstraumata auf die Gesundheit und das Alltagsleben der Bevölkerung in den ehemaligen Kriegsgebieten noch immer massiv zu spüren.

    Neben einer ökonomischen Perspektive und rechtsstaatlichen Verhältnissen fehlt den Menschen - insbesondere in den ländlichen, vom Krieg und Menschenrechtsverletzungen besonders betroffenen Gebieten - psychotherapeutische und psycho-edukative Hilfe, um ihre schrecklichen Erfahrungen zu überwinden und neuen Lebensmut zu gewinnen.
    :link:

    In einem Einfamilienhaus arbeiten neben "studierten" Therapeutinnen auch solche, die selbst traumatisiert sind und nach ihrer Therapie eine Therapieausbildung absolviert haben. Wobei die Traumata nicht nur durch Überfälle, Vergewaltigungen und dreijährigen Dauerbeschuss verursacht sind, sondern auch durch den "normalen" Kriegsalltag.
    Die Mitarbeiterinnen des Hauses empfangen uns herzlich und berichten über ihre Arbeit. Neben der Betreuung der betroffenen Frauen und Kinder, von denen viele arbeitslos sind und unter desolaten Verhältnissen leben, gibt es seit 2006 auch ein Projekt, das den ebenfalls betroffenen Männern in Gorazde Hilfe anbietet.

    Zitat

    In Zusammenarbeit mit dem Veteranenklub "Svjetlost Drine" (Gorazde) haben wir innerhalb eines Pilotprojekts in Gorazde begonnen, auch männliche Kollegen und Ehrenamtliche für die psychologische und psychosoziale Arbeit mit kriegstraumatisierten Veteranen fortzubilden.

    Neben der therapeutischen Hilfe werden mit den betroffenen Familien auch jedes Jahr sogenannte "Glückstage" an der Adria organisiert, damit diese wenigstens ein paar Tage aus ihren oft desolaten Wohnverhältnissen herauskommen; für viele war das die erste Urlaubsreise ihres Lebens.
    Dafür wird am Ende des Treffens auch in der Gruppe gesmmelt.

    Mich hat besonders die Herzlichkeit und die Power der zum Teil selbst traumatisierten SEKA-Mitarbeiterinnen beeindruckt. Nachdenklich besteigen wir wieder unseren Bus.

    Von Gorazde aus fahren wir die Drina nordwärts bis Visegrad.
    Diese Bilder sind von der berühmten Brücke dieses Ortes, 1578 fertiggestellt und vom Autor Ivo Andric für seinen berühmten, jugoslawische Identität stiftenden, Roman Die Brücke über die Drina verewigt.

    Inzwischen ist die Brücke zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden.

    Die Brücke zeugt allerdings noch von einem düsteren Kapitel der jüngsten Vergangenheit.
    Nach der Besetzung der Stadt, die bis dahin etwa zur Hälfte von (muslimischen) Bosnjaken und von Serben bewohnt war, durch serbisch-nationalistische Milizen 1992 wurden nicht nur die Nicht-Serben vertrieben, sondern es wurden weit über tausend, manche sagen dreitausend, Menschen ermordet, indem ihre Mörder sie gefesselt von dieser Brücke stiessen. Eine Gedenktafel zur Erinnerung an diese Verbrechen wurde nach einem Tag entfernt.

    Drei der Mörder sind inzwischen in Den Haag verurteilt worden und sitzen ihre langjährigen Haftstrafen ab :link:
    aber viele andere leben noch ungeschoren in Visegrad und Umgebung :klick:

    Dieses Hotel, direkt an der Brücke, ist zwar eine Ruine,

    aber in der unmittelbaren Umgebung hätte es durchaus einige Cafes zum Hinsetzen gegeben.
    Allein, keiner von uns hat Lust, dort von jemandem bedient zu werden, der vielleicht zu den oben erwähnten Mördern gehört - um so viele Menschen umzubringen, dazu braucht es eine größere Anzahl von Tätern, und es leben bekanntermaßen noch eine Reihe von ihnen in Visegrad. Und im Gegensatz zu Foca oder Srebrenica (da kommen wir übermorgen hin) gibt es hier keinerlei Selbstkritik, dafür ein martialisches Denkmal,


    das, so steht es hier, "das dankbare Volk von Visegrad den Verteidigern der serbischen Republik" gewidmet hat.

    Etwas zu trinken brauchen wir trotzdem und steigen deshalb wieder in unseren - bosnisch-serbischen - Bus.
    In vielen ehemaligen Kriegsgebieten von BiH (und Kroatien) gibt es inzwischen zurückgekehrte Vertriebene. Hier, wenige Kilometer von Visegrad entfernt, hat einer von ihnen ein Restaurant aufgemacht, das Restoran Almi.

    Einiges ist noch im Rohbau, aber es ist gemütlich, und Essen und Trinken schmeckt;
    und wenn noch mehr Gäste kommen, ist dieser Zusatzgrill einsatzbereit.

    Man erkennt die bosniakischen Rückkehrer-Restaurants in der Srpska am Namen oder an der Brauereireklame.


    Der weisse Bus ist unserer.

    Und während wir auf das Essen warten, hat man noch Zeit für ein paar Bilder.

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  • Grizzly
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    • 21. Oktober 2010 um 23:21
    • #34

    Wir sind jetzt immer noch am frühen Nachmittag des 21.7. bei Almi kurz vor Visegrad (von Sarajevo aus gesehen, wo wir heute noch hinwollen). Einen Teil der Straße, die wir fahren wollen, ist der sogenannte Partizanski Put, der Partisanenweg, eine Straße, die erst in den späten 80ern gebaut wurde, zum Teil auf der Trasse einer 1978 stillgelegten Kleinbahn. Spuren dieser Trasse gibt es noch direkt neben unserem Rastplatz, der Inhaber hat alte Photos davon an die Wand gehängt und erklärt bereitwillig den Zusammenhang zwischen den Bildern und den jetzigen Örtlichkeiten.


    Irgendwann sind wir gestärkt und lassen uns wieder von Milan durch die Kurven und Tunnels des Partizanski Put wiegen. Bei Ustipraca - unweit von Gorazde - gehts dann rechts weg in die Berge Richtung Rogatica und dann Sarajevo.

    Auf einer Hochebene - der Ausdruck Ebene ist dehnbar, es geht immer noch ordentlich rauf und runter, wenngleich nicht in dem Ausmaß wie in Ostbosnien, das wir eben verlassen haben - liegt die Landschaft Romanija. Die heisst so, weil sich dort vor einigen hundert Jahren rumänische Hirten ansiedelten. Die Nachfahren haben ihre Rindviecher so gut dressiert, dass die sich ihr Futter allein suchen und sich auch weitestgehend der Straßenverkehrsordnung anpassen.
    Naja, meistens halt ...

    Die Möglichkeiten, aus dem Busfenster zu photographieren, waren zeitweise witterungsbedingt eingeschränkt.

    Und von nun an gings bergab ...

    [youtube]1ENziZJHOZs[/youtube]

    Trotz der scheinbar wenig bevölkerten Gegend gibt es einige Raststätten,
    durch aus mit phantasievollem Äusseren, z.B. das Restoran Lav (lav = Löwe),

    oder das repräsentative Romanjski Raj ("Paradies der Romanija").

    An einer Weggabelung geht's rechts nach Sarajevo und links nach Pale - spontan entschliessen wir uns zu einem Abstecher dorthin. Pale war zu Kriegs- und in den ersten Nachkriegszeiten die inoffizielle Hauptstadt der Republika Srpska, bevor Banja Luka das wurde.

    In diesem Hotel war irgendein Hauptquartier, erzählt Erich - leider hab ich vergessen, welches.

    Ansonsten macht der Kurort Pale den Eindruck eines verschlafenen Provinznestes.

    Jetzt ist Sarajevo nicht mehr weit, auch wenn wir noch in der Srpska sind.

    Weiter geht's bergab, mit vielen Kurven und Tunnels. Rechts von uns fliesst die Miljacka (spr. "Miljatschka").
    Der große Bau, auf den wir am Schluss zufahren, ist das während der Belagerung
    (mitsamt seiner reichhaltigen Bibliothek) ausgebrannte Rathaus, das derzeit renoviert wird.

    [youtube]x7rDfSqXd3c[/youtube]

    Und hier kurvt uns der gute Milan durch die Altstadt bis zum Hotel hoch,
    d.h. fast, bis ganz kommt er wegen der engen Gassen nicht hin.

    [youtube]W7AZqm9vtw8[/youtube]
    Man beachte bei Minute 1:14 das rote Schrottauto links (meinen Orientierungspunkt während meiner ersten Tage in Sarajevo) und den Friedhof am Ende rechts, den wir bei unserem ersten Stadtrundgang besucht haben.

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • vadda
    Gast
    • 22. Oktober 2010 um 10:44
    • #35
    Zitat

    Die Weiterfahrt von den Stecci geht durch die wilden Berge des Sutjeska-Nationalparks.
    Bereits von dort kann man sie ahnen,

    Bald sind wir mittendrin ...

    und Armmuskeln wie Koordinationsvermögen von Milan, unserem Fahrer, sind wieder mal gefordert.

    Am Ende des Tals ist für alle eine Rast fällig.

    Hallo Grizzly,

    der Sutjeska-Nationalpark mit einem der zwei letzten Urwälder Europas, dem Perućica-Urwald, wird im nächsten Jahr auch eines unserer Ziele sein.

    Mit den beeindruckenden Fotos und Videos von den Straßen dort bringst du uns richtig auf den Geschmack (ich sollte vorher wohl doch noch meine Armmuskulatur stärken, um unser Wohnmobil und uns heil um die Kurven zu steuern ;-)).

    Mit großem Interesse werden wir deinen hervorragenden Bericht weiter verfolgen.

    Herzliche Grüße,
    Irmgard und Klaus

  • wallbergler
    Gast
    • 22. Oktober 2010 um 14:08
    • #36

    Also diese unglaubliche Reise setzt sich wieder mit sehr beeindruckenden Bilderserien fort. Und sogar in der Hochburg
    der serbischen Nationalisten, also Pale, (übr. auch heute noch) warst du.
    Eine Wahnsinnsreise..
    Danke für diese Einblicke, denn dort werde ich, obwohl höchst interessant, nicht persönlich hinfahren.

    Vielen Dank Grizzly
    für deine ungebrochene, und sachliche Berichterstattung.
    wallbergler

  • Gast001
    Gast
    • 22. Oktober 2010 um 20:57
    • #37

    Es ist schon sehr interessant, einen Bericht über eine Reise zu lesen, deren Orte und Straßen man kennt.
    Wir haben in Foca übernachtet, sind auch der Partizanski Put über Ustipraca nach Visegrad gefolgt und dann wieder zurück , vorbei am Romanjski Raj, nach Sarajevo gefahren.
    Du kennst ja meinen Bericht, Grizzly
    https://schoener-reisen.at/forum/showthre…-Visegrad/page2

    Wir haben die Spuren des Krieges nicht ignoriert - aber der Gedanke daran war uns nicht ständig so präsent wie es Dir auf Deiner Reise ergangen ist.

    Wir haben die Schönheiten der Landschaft gesucht ,uns an der Gastfreundschaft der Menschen erfreut
    https://schoener-reisen.at/forum/showthre…haft-in-Bosnien
    und vor allem in Foca an dem großen Platz vor dem Kaufhaus und in Visegrad festgestellt, dass sehr viele junge Menschen unterwegs waren.

    Ich bin auch sehr skeptisch, ob das künstliche Staatsgbilde BiH Zukunft hat - aber ich hoffe, dass sich jungen Leute nicht mehr so schnell "verführen" lassen.

    Ivo Andric hat in seinem Roman ja sehr schön und spannend beschrieben, wie auf der Kapija über die Jahrhunderte hinweg immer wieder neue Gedanken sich meistens unter den jungen Leuten breit machten und auch immer wieder zu Unheil führten.

    Mich würde interessieren, wie Ivo Andric heute seinen Roman fortsetzen würde....

    Gruß,
    ELMA

  • Grizzly
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    • 23. Oktober 2010 um 00:35
    • #38

    @ ELMA:
    Unser Reiseleiter Erich hat alle Balkankriege der 90er miterlebt, hat in den belagerten Städten wie Sarajevo, Mostar, Gorazde oder Bihac gelebt und war mehr als einmal in unmittelbarer Lebensgefahr, seine Frau Amela stammt aus dem ebenfalls beschossenen Tuzla, er hat Srebrenica-Überlebende unmittelbar nach dem Massaker getroffen - da bleibt halt was hängen, auch in dem, was er uns vermittelt hat. Insofern sind das eben andere Eindrücke als die eines "Normal-Touristen", auch anders als meine aus Bihac im Jahr davor.

    @ Wallbergler:
    Nach Pale wär ich allein auch nicht gefahren, zumal es als Ort nicht sehr ansprechend ist.


    Donnerstag, den 22.7.

    Heute stehen die Religionen auf dem Programm.

    Zitat

    An diesem Tag stehen die Religionen im Mittelpunkt. Wir werden Mönche des Franziskanerklosters in Sarajevo treffen und einen muslimischen Theologen besuchen. Im Gespräch mit den liberalen Franziskanern und kritischen Theologen der Muslime vertiefen wir unsere Kenntnisse über die Zivilgesellschaft sowie über das Zusammenwirken der Religionen; wir besuchen das jüdische Museum und die orthodoxe Kirche.

    Wobei ich gestehen muss, dass mich das Programm der letzten Tage so geschlaucht hat, dass ich einen großen Teil ds Nachmittags verschlafen und so das Jüdische Museum auf einen späteren Zeitpunkt verschieben musste. Will heissen, ich muss noch mal nach Sarajevo.

    Da unser Bus nicht zur Verfügung steht, fahren wir in vier Taxen in den Vorort Ilidza - derartige Taxikonvoitouren werden wir in den nächsten Tagen noch öfter veranstalten.
    Ilidza war, wie uns ein freundlicher, deutsch sprechender Pater berichtet, während des Krieges von serbischen Nationalisten besetzt, und unser Ziel, das Ausbildungszentrum der Franziskaner, diente während dieser Zeit als örtliche Kommandozentrale; die Patres wurden, gemessen an den sonstigen Gepflogenheiten dieser Tage, noch einigermaßen freundlich hinausgebeten und bekamen Asyl bei ihren Mitbrüdern in Zagreb.

    Bei ihrer Rückkehr stand das Haus zwar noch (immerhin), aber es war dringend renovierungsbedürftig ...

    Inzwischen ist alles wieder schön hergerichtet.


    Von diesem Pult sprach schon Hillary Clinton - worüber, weiss ich allerdings nicht.

    Auf dem Rückweg in die Stadt komme ich mit dem jungen Fahrer erst auf bosnisch ins Gespräch - bald geht's auf Deutsch weiter, weil er sechs Jahre seiner Kindheit in Nürnberg verbracht hat, als Kriegsflüchtling, und auch gern dort geblieben wäre, allein die Ausländerbehörden in Bayern und auch sonstwo in auf diesem Gebiet mehr als unmenschlichem Staat haben ihn wie viele andere Leidensgenossen rausgeschmissen.
    .
    Die Schweden waren toleranter, was man auch an der großen Zahl schwedischer Autonummern sieht, die meistens von Migranten gefahren werden - deutsche Kennzeichen sehe ich seltener.

    Als nächstes besuchen wir eine islamische theologische Hochschule

    und eine orthodoxe Kirche (die derzeit renoviert wird).

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  • Grizzly
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    • 23. Oktober 2010 um 10:40
    • #39

    Freitag 23.7.10

    Heute wartet wieder Milan mit seinem Bus auf uns, es steht ein anstrengender und aufwühlender Tag vor uns -
    wir fahren nach Srebrenica.

    Die Fakten um den Völkermord von Srebrenica setze ich als bekannt voraus, bzw. Ihr könnt sie u.a. hier nachgelesen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Srebrenica
    https://www.dontforget-srebrenica.de/


    Zunächst mal geht es wieder durch malerische Berge, die Rindviechern der Rumunija lassen uns passieren,

    und am Straßenrand wachsen bunte Sommerblumen.

    Bei einer Rast treffen wir auf eine blau-gelb gewandete Jugendmusikgruppe aus Tuzla.

    In Nova Kasaba haben sie die Moschee wieder aufgebaut,
    was in der Srpska ein untrügliches Indiz dafür ist, dass muslimische Bosniaken zurückgekehrt sind -

    während im nahegelegenen Hrncici (ausgesprochen: "Chrrntschitschi", das r muss betont werden ...)

    (Sorry, einige Aufnahmen sind unscharf, weil aus dem fahrenden Bus heraus)

    die zurückgekehrte Besitzerin eines Häuschens gegen Gemeinde und orthodoxe Kirche klagt, weil ihr die Serben während ihrer Abwesenheit auf ihrem Grundstück eine Kirche vor die Nase gesetzt haben. Erich erzählt, man habe ihr ein neues Haus an anderer Stelle im Dorf angeboten, aber sie will die Kirche da weg haben, weil es ihr Grundstück ist.

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  • Grizzly
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    • 24. Oktober 2010 um 12:12
    • #40

    In Bratunac geht's rechts nach Srebrenica, geradeaus nach Belgrad - wir sind fast an der serbischen Grenze.

    Die Bevölkerung von Bratunac bestand bei der Volkszählung 1991 zu zwei Dritteln aus Bosniaken, ein Drittel bezeichnete sich als serbisch. Heute gibt es dort nur noch wenige Bosniaken, der Bürgermeister wird von der serbisch-nationalistischen Partei SDS gestellt.

    In Bratunac begann das Massaker der von den serbischen Truppen von ihren Frauen und Müttern getrennten bosniakischen Männern, inzwischen sind über 8000 Tote gefunden und über 6000 identifiziert.
    :link:

    In Potocari, 6 km vor Srebrenica, war 1995 das Quartier der niederländischen UNO-Truppen, die die Bevölkerung der Region Srebrenica und der dorthin Geflohenen, insgesamt ca. 50.000 Menschen, schützen sollten. Dorthin flohen die meisten, als serbische Truppen die Stadt erobert hatten. Und dort sahen auch die meisten Frauen und Kinder ihre Männer, Väter und Söhne zum letzten Mal.

    Heute ist in Potocari die Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords, die aus dem immer größer werdenden Friedhof,
    der Dokumentationshalle und der Gedächtnishalle besteht.

    Letztere ist eine ehemalige Fabrik, in der 1995 erst die UNO-Soldaten
    und dann, in drangvoller Enge, die Flüchtlinge lagerten.

    Das Gebiet der Gedenkstätte ist exterritorial, d.h. die Regierung der Republika Srpska hat hier nichts zu sagen,
    was durch Transparente, auf denen die serbische Führung hart angegriffen wird, zum Ausdruck kommt.

    Hier ist die Republik Bosnien und Herzegowina.


    Serbien ist verantwortlich für den Völkermord.

    Auf langen Tafeln stehen die Namen der bisher namentlich bekannten und hier bestatteten Opfer,

    für manche Familiennamen braucht es mehrere Reihen.

    Nach dem Verlassen des Friedhofs geleitet man uns in die Dokumentationshalle.
    Ich glaubte ja, durch eigenes Erleben als Hausarzt auch von Kriegsopfern, als historisch einigermaßen Informierter und als vielfacher Besucher von Kriegs- und KZ-Gedenkstätten Bescheid über derartige Greuel zu wissen. Aber selbst ich frage mich, ob es jetzt nicht langsam gut ist, nach dem überwältigenden Eindruck eines Gedächtnisfriedhofs für mittlerweile über 6000 Menschen. Natürlich denke ich das nur, schliesse mich der Führung an und erfahre weitere Details, wie das Massaker um Sebrenica im Einzelnen ablief.

    Interesant und in gewisser Weise auch tröstlich sind für mich die danach folgenden Ausführungen darüber, mit welcher Professionalität man inzwischen dafür sorgt, dass die Toten aus den immer noch neu aufgefundenen Massengräbern identifiziert werden. Den Hinterbliebenen hat man eine Kleinmenge Blut abgenommen und ihre genetischen Daten abgespeichert. Seit 1996 bringt dann die Internationale Kommission für vermisste Personen ICMP in Sarajevo und Tuzla mit hochspezialisierten Labors die Daten von Opfern und Hinterbliebenen zusammen. Die sind inzwischen so gut, dass sie u.a. bei der Tsunami-Katastrophe in Südostasien in großem Rahmen aktiv wurden und bei der Identifizierung von entstellten Leichen helfen konnten.

    In einem Computer kann man Namen von Vermissten aus der Umgebung von Srebrenica eingeben und erhält, falls sie hier auf dem Friedhof liegen, die entsprechenden Lagedaten; falls der Computer nicht funktioniert, kann man das auch über eine SMS erfahren.

    Ein Bild in der Dokumentationshalle fand ich erst so grauslich, dass ich es nicht photographiert habe. Im Nachhinein bereue ich das, denn eigentlich hat es etwas Anrührendes. Es zeigt einen mit Schutzhandschuh überzogenen Finger, den dieser Spezialist in die Krallenhand eines Toten gelegt hat; man sieht nicht mehr als den Finger und die Hand.
    Für mich will das Bild sagen:
    Ich bin bei Dir.
    Das, was man Dir angetan hat, können wir nicht mehr ändern - aber das, was wir noch tun können, wird jetzt gemacht, mit aller Professionalität. Wir sorgen dafür, dass Du ein Grab bekommst, auf dem Dein Name drauf steht, oder wenigstens der Deiner Familie.

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