Vor Jahren war ich in St. Englmar im Bayerischen Wald. Da wurde heftig für den Besuch des dortigen Waldwipfelweges geworben. Ich habe
keinen Augenblick daran gedacht, ihn zu besuchen. Man muß nicht alles gesehen haben, was eine Gemeinde so aufstellt, um sich auch ihren
Anteil am Tourismuskuchen abschneiden zu können.
Inzwischen scheinen sich diese Waldwipfelpfade karnickelartig zu vermehren. Meine Schwester wollte mal auf den in Scheidegg (Westallgäu,
nicht weit vom Bodensee) und lud mich zum Mitkommen ein. Ich sagte zu; sie hat noch einen Ehemann, d. h. einen Chauffeur, und die
Gelegenheit, sich mal fahren zu lassen, schien mir vor allem deshalb attraktiv, weil ich (lebenslange Flachland-Autofahrerin) auf dieser Straße
früher schon mal entsetzt umgekehrt war.
Der Baumwipfelpfad bei Scheidegg heißt "Skywalk", weil das viel cooler klingt und das Aussprechen von zwei Silben viel weniger Mühe macht
als das von vieren.
Der Parkplatz ist auf größere Besuchermengen eingerichtet, als sie Ende Oktober zu erwarten sind. Es geht dann zehn Minuten leicht bergauf.
Man bezahlt im Sommer 9,20 €, im Winter 7,50 € (hatten wir schon Winter? Ich weiß es nicht, mein Schwager hat die Karten gekauft) und stellt
fest, daß die Preise sich auch nach der Körpergröße richten: Kinder ab 1 Meter (bis 17 Jahre) 7,20/5,20 €, Kinder unter 1 Meter frei; und daß
es für Eltern mit eigenen Kindern Sonderpreise gibt, nicht aber für Großeltern mit Enkeln.
In diesem Turm fährt man mit dem Aufzug hinauf. Natürlich kann man auch die Treppen rauflaufen, aber mit denen hat meine Schwester
Probleme, also sind wir gefahren. Das Bild zeigt nur den obersten Teil des Turms, denn der untere ist zwischen den Bäumen verborgen.
Links sieht man, wo der Weg abgeht, auf dem man zwischen den Wipfeln entlangläuft.
Scheidegg behauptet von sich, der sonnenreichste Ort des Landes zu sein. Wir hatten einen Ausnahmetag erwischt: Sonnige Augenblicke
kamen nur hin und wieder mal vor. Das war mal einer davon.
Der Weg ist an 14 Stahlmasten und 3000 m Stahlseil aufgehängt. Er schien nicht zu schwanken; nur beim Fotografieren merkte man,
daß man doch nicht ganz so stabil stand wie auf festem Boden.
Die Werbung verspricht, man sähe von da oben aus vier Länder. Deutschland, Österreich, Schweiz, klar. Als viertes kommt dann
eigentlich nur Liechtenstein in Frage. Egal - an diesem Tag waren Ausblicke wie hier in den paar lichten Momenten das Bestmögliche.
Außerdem: Gegend ist Gegend, ob nun in diesem Land oder im anderen. (Sorry, da spricht halt der Banause, der für großartige Ausblicke
unempfänglich ist und lieber anschaut, was in der Nähe ist.)
Man hat fast nur Nadelbäume um sich, dazu hier und da einen zierlichen Metallmast. Der Blick nach unten ist eher reizlos: Wer am
Boden herumwandert, sieht mehr davon.
Trotzdem hat es mir überaus gut gefallen – nicht die Aussicht, nicht die Baumwipfel, nicht der "sky", sondern das Ding selbst.
Der Gedanke "Dieser Schraube also vertraust du dein Leben an!" hat schon was.
Außerdem ist der Blick von der obersten Plattform des Aufzugsturms hinab auf die Wege schön.
Erstaunlich finde ich, wie man so ein Bauwerk errichten kann, ohne erstmal die Umgebung kahlzuschlagen. Wie macht man das,
in dieser Enge Masten "einzupflanzen", ohne die Bäume zu beschädigen?
Es gibt dann noch eine Art Abenteuerpfad, der von allerlei Warnungen eingeleitet wird und in dem man sich wie in einem Käfig fühlt.
Ich bin nur so weit gegangen, wie man auf dem Bild sieht - mit Rücksicht auf meine Schwester, die schon beim Zugucken Angst kriegt.
Außerdem war das im Bild sichtbare Stück so langweilig und eher noch stabiler als der normale Weg (ich hätte dann schon auf die runden
Dinger steigen und von einem zum anderen balancieren müssen), daß ich nicht nachgeschaut habe, was danach an "Gefährlicherem"
kommt. Über das Alter, in dem man so einen Spaziergang per Rutsche beendet, bin ich ja sowieso seit längerem hinaus.
Über eine Treppe kommt man wieder nach unten, wo einen erst die Aufforderung empfängt, jetzt ein Eis zu essen (also, die Eissaison war nun
wirklich vorbei!) und dann das jahreszeitlich leere Restaurant, in dem man auch die Andenken kaufen kann, die man überall in Alpennähe bekommt.