• Im Rahmen der Gelebten Geschichte hatte das Museumsdorf Kiekeberg am Wochenende 14./15.9. die Franzosenzeit, d.h. die Besetzung Hamburgs und Umgebung durch napoleonische Truppen 1806-1814 zum Thema.


    Kiekeberg ist bei dieser Inszenierung ein namenloses Heidedorf in der Nähe von Harburg. In die Wälder der Umgebung sind schon Kosaken eingedrungen, die 1814 Hamburg besetzen, die Franzosen vertreiben und von der Hamburger Bevölkerung als Befreier begrüßt werden (Russen als Befreier von Hamburg - das muss man sich, in Kenntnis der späteren Geschichte, mal reinziehen ...).


    Aber noch ist es nicht soweit. Harburg wird zur Festung ausgebaut, und die Franzosen nehmen die Bauern aus, wo sie nur können, ungeachtet, ob die dann ruiniert sind und hungern und frieren müssen oder nicht. Wobei viele der "Franzosen" gar keine sind, sondern Freiwillige (aus wirtschaftlicher Not) oder zwangsweise Eingezogene aus der Umgebung oder irgendwoandersher aus Deutschland (das es als Land noch nicht gab).


    Ein Teil der Reetdachhäuser von Kiekeberg wird um 200 Jahre zurückversetzt -


    wir haben jetzt 1813.


    Die neuzeitliche Kleidung und Kameraausrüstung der Besucher denkt Euch einfach mal weg.





    Napoleonische Soldaten fassen Verpflegung vor einem Bauernhaus.




    Die einfachen Soldaten essen gemeinsam aus einer Schüssel im Stehen,


    während der Offizier bei den Bauersleuten in der Wohndiele sitzen darf -


    was den Bauersleuten wahrscheinlich nicht passt, aber sie sagen lieber nix, denn der Herr ist bewaffnet.


    Derweil braut sich hinter dem Haus etwas zusammen ...


    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • Ja, was braut sich da zusammen ?
    Einen Moment später marschieren die Soldaten auf ein Bauernhaus zu und umstellen es.
    Es ist ein größeres, der Bauer und der Bürgermeister, der dort gastiert hat

    kommen auf die Truppe zu.


    Der französische Beamte
    erklärt dem Bauern, dass man bei ihm Material gefunden habe, das auf Kontakte zu den schon in der Umgebung befindlichen Kosaken hindeutet, und dass das "extraordinäre" Maßnahmen nach sich ziehen würde -


    allein das hört sich schon bedrohlich an, es wird im Weiteren aber nicht drauf eingegangen. Der Vorwurf des "Konspirativen Feindkontakts" konnte von der Napoleon-Zeit bis zum 2. Weltkrieg schnell lebensgefährlich werden :traurigdenkend:


    - jedenfalls würde jetzt folgendes Bauerngut beschlagnahmt und zur Festung Harburg gebracht werden:
    Eine Wagenladung Korn,
    der Wagen und ein Zugpferd,
    und zwei Hühner.



    Der Einwand des Bauern, dass das Korn fast der gesamt Wintervorrat wäre, und er nur einen Wagen und ein Pferd hätte,
    interessiert die hohen Herren nicht.


    Das Korn wird aufgeladen -



    allein das Pferd ist nicht da. "Dat Paard is wechlöpen", das Pferd ist weggelaufen, erklärt der Bauer.
    Es wird auch nach gründlicher Hausdurchsuchung durch die Soldaten nicht gefunden.



    Daraufhin verkündet der Beamte, dass das Pferd und der Wagen bis morgen nach Harburg gebracht werden müsse,
    und solang würde der Knecht des Bauern dort festgehalten.


    Den Knecht in ihrer Mitte,


    zieht die Truppe ab


    und hinterlässt eine ratlose Bauernfamilie.

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  • In einem anderen Bauernhaus sitzt ein junger Mann an einer Schnitzbank und schnitzt Holzlöffel und andere Gebrauchsgegenstände.



    Irgendwann schicken ihn die Frauen zum Wasserholen (das ist Schwerstarbeit), und an der Wasserstelle läuft etwas schief. Jedenfalls kommt der junge Mann barfuß zurückgesprintet (die Holzschuhe hat er unterwegs abgeschüttelt, damit er schneller laufen kann), und mehrere französische bzw. napoleonische (das war ja national bunt gemischt, auch Einheimische waren dabei, siehe oben) Soldaten hinterher.


    Im Haus gibt's dann ein großes Handgemenge (meine diesbezüglichen Bilder sind alle verwackelt),



    bis bei einem Soldaten Blut fliesst, real.
    Daraufhin wird die Verhaftung abgebrochen, der Museumsverbandskasten geholt und der Verwundete erstmal verarztet, unter Mithilfe einer Bäuerin, eines Soldaten und eines Touristen, der im Zivilberuf Hausarzt ist. Letztendlich stellt sich die Blutung als relativ harmlose Platzwunde heraus, der Blessierte bleibt dienstfähig.



    Die Verhaftungsaktion wird dann nicht wiederholt, sondern es stehen alle zusammen und fachsimpeln über die Möglichkeiten, Historisches nachzuspielen, wie man dazu kommt, und wie man die Leute dafür zusammen kriegt.


    Irgendwann muss ich ganz unhistorisch zum Bus.


    Ach so, das ist das ist er gar nicht, sondern ein Tempo-Dreirad aus den 1950ern ?
    Wenn Ihr meint :2:

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  • Lieber Grizzly,


    da ist dir ein besonderes "Schmankerl" gelungen. Mit viel Aufwand herrlich ins Szene gesetzt. Man kann sich das schon vorstellen, obgleich viel Leid damit verbunden wahr in Wirklichkeit.


    Mit der Platzwunde haben sich einige wohl zu sehr mit der Ausführung identifiziert. Mit Leib und Seele ins Schauspiel vertieft.


    Fast ein Deja vu hatte ich , da ich, zwar ohne Schauspiel, den Ort der Gefangennahme von Andreas Hofer auf der Pfandler Alm im Passeier Tal besuchte. Eindrücke zumindest durch die bildhaften Darstellungen.


    Herzlichen Dank für dieses Juwel.


    Ganz lieben Gruß
    Helmut

  • Für uns sind heute solche nachgespielte geschichtliche Szenen durchaus mit Spaß verbunden- lebendig vorgetragen und hautnah erlebbar..
    aber ich hätte zu jener Zeit nicht leben mögen.


    Willkür und hilfloses Ausgesetztsein - man muss sich da einfach in die Menschen damals reinversetzen, dann relativiert sich der "Spaß".


    Danke für die Präsentation mit den eindrucksvollen und gut ausgewählten Bildern.


    Lieben Gruß,
    Elke

  • Hallo Grizzly,


    Zitat

    Willkür und hilfloses Ausgesetztsein - man muss sich da einfach in die Menschen damals reinversetzen, dann relativiert sich der "Spaß".



    an diese Worte von Elke musste ich auch ganz spontan denken, als ich die Spielszenen sah!


    In dieser Zeit wirklich leben, ich glaube das wünscht sich kein Mensch zurück!


    Die Menschen durften doch keine eigene Meinung haben, waren großteil sehr arm und hatten das zu tun,


    was Ihnen von der Obrigkeit befohlen wurde!


    Trotzalledem, ein wirklich sehr gut gemachter und detailgetreuer Bericht, hab Dank dafür.



    Viele liebe Grüße



    Herbert

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