Máriahalom oder Kirva, ein deutsch/ungarisches Dorf

  • Bei einer Spazierfahrt kam ich an einer Kapelle vorbei die mein Interesse weckte.



    Eine Hinweistafel am Straßenrand verriet mir den Namen der Kapelle: Mariä Heimsuchung Kapelle.



    Leider war sie verschlossen. Ich musste mich also mit den Äußerlichkeiten begnügen.


    Im Giebel entdeckte ich diese Tafel mit deutscher Inschrift.



    Es musste also eine Marienkapelle sein.
    Diese Annahme wurde durch eine Tafel darunter bekräftigt.



    Der Name des Ortes wird hier auch erwähnt: Kirva.
    Kirva? Auf dem Ortsschild steht aber Máriahalom!



    Das Schild mit dem alten deutschen Namen Kirwa hatte ich nicht beachtet. Warum aber mal mit v und mal mit w?
    Das ungarische Alphabet kennt eigentlich kein w, sondern das v wird wie ein w gesprochen. Das w gibt es nur bei Eigennamen.
    Das Zusatzschild mit der deutschen Schreibweise dürfte erst nach der Wende auf Veranlassung von Nachkommen der Vertriebenen angebracht worden sein.
    Die früheren deutschstämmigen Dorfbewohner hatten sich schon so weit "magyarisiert", dass sie den Ortsnamen und auch teilweise ihren Familiennamen angepasst hatten. Auch die Vornamen waren meist schon ungarisch. Das sehen wir später an den Namen der Kriegsopfer.


    Die deutschen Spuren und der ungarische Ortsname mobilisierten meinen Forscherdrang.


    Máriahalom (damals hieß der Ort noch Kirva) erscheint erstmals 1255 als Kloster der Klarissen in Dokumenten.
    Nach der Vertreibung der Türken - die das Dorf zerstört hatten - aus Ungarn, am Ende des 17. Jhd. wurde Kirva wieder Eigentum der Klarissen.
    Durch den Erlass von Kaiser Joseph II vom 12. Jänner 1782 verschwanden auch die Klarissen aus Kirva und ihr Eigentum ging an den Religionsfond über. Darauf kamen die ersten neuen Bewohner des Landgutes aus den Nachbarorten wie z.B. Csolnok, Zsámbék und Perbál.
    Wegen des Mangels an Arbeitskräften in den dünn besiedelten Gebieten Ungarns warb Kaiser Joseph II. im Jahr 1782 im süddeutschen Bereich mit 10 Jahren Steuerbefreiung, Häusern und Vieh für neue Siedler. Den Wortlaut des k.k. Patentes findet Ihr im Spoiler.



    Die ersten Siedler kamen 1785/86 aus den ehemaligen Herrschaftsgebieten Hohenzollern-Hechingen und -Sigmaringen, z.B. Steinhilben (Heinzelmann), Trochtelfingen (Tittmann, Schmidt, Hauber), Hörschwag (Pfeiffer, Feigl, Schaffer), Stetten unter Holstein (Locher), Gammertingen (Teigler) und Umgebung. Aber auch Familien aus Neuhof bei Fulda (Mähr und Henning (später Hönig)), Ortsteil Giesel (Eberhard) und Mellrichstadt (Steinmüller) tauchen in den Kirchenbüchern von Kirva auf.
    Mit Ulmer Schachteln (oder waren es Kelheimer?) traten sie die nicht ungefährliche Fahrt auf der Donau an. Im ungarischen Almásfüzitő betraten sie wieder festen Boden.
    Ende des Sommers 1787 standen 50 Häuser in Kirva, bewohnt von Bauern und Handwerkern – etwa 300 Personen. Die Dorfbewohner bauten Kohl, Hanf, Weizen, Roggen, Mais und Kartoffeln an und brachten auch den Weinbau in die Gegend. Davon zeugt das ehemalige Presshaus von Paul Locher.



    Es hat gerade ein neues Dach mit Gauben bekommen.


    Ein paar Meter weiter steht ein weiteres Presshaus.



    Die barocke römisch-katholische Kirche am höchsten Punkt der Hauptstraße, die Johannes dem Evangelisten gewidmet ist, wurde zwischen 1820 und 1822 erbaut.



    Hinter den Bäumen am Straßenrand verstecken sich die Häuser.



    Frisch renoviert mit jungem Bäumchen davor oder mit abblätternder Farbe.



    Die Form ist die gleiche. Zur Straße hin die gute Stube und zum Garten hin die Kammer, dazwischen die Küche.
    Davor zieht sich die schmale überdachte Veranda über die ganze Hauslänge. Zum Garten hin wurde meist noch ein kleiner Stall angehängt. Das ist der typische Baustil eines Kleinbauern in Ungarn.
    Selten sieht man aber eine Jesusstatue in Lebensgröße wie hier, gegenüber der Kirche.



    Vor der Kirche steht ein Kreuz.



    Die Inschrift verrät den Stifter und das Jahr der Aufstellung.



    Die ältesten Einrichtungen der Kirche sind der Hauptaltar und die Kanzel, die beide um 1770 gebaut wurden und von der alten Kapelle kamen.



    Der Hauptaltar der Kirche des Apostel Johannes.



    Leider war mir der Zugang zur Kirche durch Glastüren versperrt.
    Es war nicht einfach, trotzdem brauchbare Bilder zu machen.
    An einer Seite entdeckte ich eine Gedenktafel dessen Bild ich mit einien Tricks lesbar machen konnte.



    Der vollständige Text lautet:
    "Unsere Kirche ist im Jahre 1824 eingeweiht worden.
    Ihr Titel: Sankt Johann Apostel
    Unsere Gemeinde wurde von schwäbischen
    Aussiedlern aus WÜRTTEMBERG im Jahre 1785
    gegründet; Ortsname bis 1936: KIRVA, dann
    auf Empfehlung von Pfarrer
    ISTVÁN KLIMA - MÁRIAHALOM,"


    In dem kleinen Vorraum der Kirche ist auf einer Seite eine Marienkapelle.



    Die Orgel wurde 1883 von Sándor Országh, einem berühmten Orgelbaumeister aus Pécs (Fünfkirchen), gebaut. Davon konnte ich kein Bild machen.


    Die Cholera-Epidemie von 1831 verlief glimpflich (siehe Bild 3).
    Im Jahre 1866 forderte eine weitere Cholera-Epidemie 72 Opfer im Dorf.
    Trotz Zuzug aus benachbarten Dörfern blieb die absolute Mehrheit der Einwohner (95%) deutschsprachig, aber etwa ein Viertel sprachen auch Ungarisch.


    Im Ersten Weltkrieg wurden von den etwa 700 Einwohnern von Kirva 52 junge Männer eingezogen.
    Genau die Hälfte davon kam nicht zurück! Die Namen stehen auf dem Denkmal des 1. Weltkrieges.




    Im August 1919 plünderten rumänische Truppen die Siedlung. Pferde, Wein, Heu und Getreide wurden mitgenommen.


    Am 30. Juni 1936 wurde auf Vorschlag des Ortspfarrers Kirva in Máriahalom (wörtlich übersetzt Marienhügel) umbenannt.


    Die Opfer des Zweiten Weltkrieges lese ich an einem weiteren Denkmal.



    Man unterscheidet zwischen zivilen Opfern und gefallenen Soldaten.



    Der Krieg war schlimmm, aber was danach kam war noch viel schlimmer!


    Bei einer Volkszählung 1941 bekannten sich von den 860 Einwohnern noch 95% zu ihrer deutschen Herkunft.


    Am 2. April 1946 wurden 640 Menschen vertrieben, 3/4 der Bevölkerung.


    1949 zählte man unter den 591 Einwohnern noch Einen der sich auf seine deutsche Herkunft berief.



    Am Ende des Zweiten Weltkrieges, während der Belagerung Budapests vom 25. Dezember 1944 bis zum 23. März 1945, verlief hier in der Nähe die Front. (Siehe "Denkmal bei Mány")
    Das dürfte der Grund für einige Obelisken mit kyrillischen Schriftzeichen hinter diesem Kreuz sein.



    Leider konnte ich dazu keine Informationen finden.


    Wie am Ortseingang, bei der Kapelle, so steht auch am Ortsausgang ein Wegkreuz.



    Leider ist die Inschrift nicht mehr klar erkennbar.


    Etwa hundert Meter weiter fand ich ein Marterl zum Heiligen Christophorus.



    Ein Zettelchen verrät mir, dass das Bild von Béla Blinczinger aus dem Nachbarort Epöl am 29. Juli 2012 gemalt wurde.



    Auf dem Weg auf den Friedhofshügel bekam ich Einblick in die Kleintierhaltung von Máriahalom.



    Nicht besonders artgerecht, meine ich. Hoffentlich dürfen die auch mal raus auf die Wiese.


    Auf dem alten Friedhof findet man noch viele Grabsteine mit deutschen Namen.



    Die meisten sind nicht mehr zu entziffern. Einige sind gut erhalten.



    Manche wurden wieder lesbar gemacht.



    Manchmal erzählt der Grabstein auch eine Geschichte.



    Gelobt sei Jesus Christus
    Hier ruht in Jesu Rahmen
    mit ihrem Kinde beisam(m)en
    Theresia Blitzner
    geb. Hauber
    gestorben den 24. März 1943
    in ihrem 22-ten Lebensjahre
    tief beweint von ihrem in Rußland
    gefangen geglaubten vielgeliebten
    Ehegatten, Kind, Eltern,
    Geschwistern, Schwiegereltern
    und Schwager.


    Auf dem Sockel darunter steht ein kleines Gedicht:



    Ach! Fern von uns mein teurer Vater im Feindeslande,
    erfasste mein liebes Mütterlein des Tode(s) kalte Hände.
    Ihr war nicht gegön(n)t zu seh'n, zu grissen ihn Vaterlande,
    Teures Mutterherz! Du schiedest schnell im tiefsten Schmerz
    lässt Du verweist (verwaist) dein Töchterlein stehn.
    Nur ein Trost bleibt meinem Herz:
    Es gibt im Namen Jesu ein Wiedersehen!
    Ruhe sanft in Frieden!


    Auch das Leben eines Pfarres ist endlich!



    Auch neuere Grabsteine mit Namen deutschen Ursprungs fand ich auf dem Friedhof.



    Im Grab der Brüder Wagenhoffer liegt auch ein unbekannter Kamerad, alle starben den "Heldentod".


    Wie mag es die Hinterbliebenen betroffen haben, nach dem WK II nicht nur ihre Heimat, ihr Hab und Gut, ihr Vieh, ihre Äcker, und auch ihre Verstorbenen zurücklassen zu müssen! Über viele Jahre hinweg war ihnen der Zugang zu ihrer alten Heimat und den Gräbern versperrt. Langsam werden die Gräber vergessen und es wächst Gras darüber.


    Leider lernt aber die Menschheit nicht dazu!




    Nachdenkliche Grüße von waldi aus Ungarn :174:

  • Waldi, das ist wieder einmal ein Beitrag ,den man langsam lesen muss und der sehr zum Nachdenken anregt.
    Ja, es ist die Geschichte eines Dorfes- von Dir recherchiert und lebendig und anschaulich erzählt.


    Von Hoffnungen , Wünschen , dem Fleiß der Menschen, die den Versprechungen von Kaiser Joseph II. gefolgt sind.
    Es wäre alles so gut gewesen .... hübsche Häuschen, Auskommen durch die eigenen Hände, funktionierende Dorfgemeinschaft...gemeinsam erlebte und ertragene unglückliche Ereignisse...


    und dann das Jahr 1946.


    Dabei ist das Schicksal von Kirva nur eines von vielen.
    Vertreibung , Flucht...
    warum????
    Es könnte einem grauen....

    Leider lernt aber die Menschheit nicht dazu!


    Danke, waldi, für diesen eindrucksvollen Beitrag!


    Weiß man, wo die Menschen, die 1946 vertrieben wuden, sich hauptsächlich niedergelassen haben?


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Vertreibung , Flucht...
    warum????

    Weil die Siegermächte im Potsdamer Akommen die "ordnungsgemäße Umsiedlung verbliebener deutscher Bevölkerungsteile aus Polen bzw. den polnisch verwalteten Gebieten Deutschlands (Schlesien, Hinterpommern und Ostpreußen), der Tschechoslowakei und Ungarn" beschlossen haben.

    Weiß man, wo die Menschen, die 1946 vertrieben wuden, sich hauptsächlich niedergelassen haben?

    Am 2. April 1946 mussten die Kirvaer ihren Heimatort verlassen und sie wurden zum Bahnhof Piliscsaba transportiert. Der Sammeltransport brachte sie ins Schloss Kislau, das in der Nazi-Zeit als KZ diente.


    Von dort wurden die 640 Vertriebenen auf 18 umliegende Gemeinden verteilt, wo sie auch nicht mit offenen Armen empfangen wurden.
    Dies hörte ich bestätigend von meiner Großmutter, bei der auch Sudetendeutsche, oder wie meine Großmutter sagte: "Kartoffelkäfer", zwangseinquartiert wurden.



    Liebe Grüße von waldi aus Ungarn :174:

  • Hallo Waldi,

    ich bin sehr berührt von Deiner Zusammenfassung und Deiner Recherche und bin sehr froh, dass ich diese Seite entdeckt habe. Zeigt sie doch in vielen Bildern die große Gläubigkeit der Menschen dort, die auch meine Oma hatte. Mein Vater ist in Kirva geboren und aus Mariahalom vertrieben worden. Mein Vater und seine Familie gehörten zu den 640 Menschen. Ein anderer Teil der Familie durfte bleiben. Für meine und viele andere Familien wurde in Ubstadt eine Siedlung errichtet. Andere kamen nach Oberöwisheim. Ich war noch nie in Ungarn, aber ich werde Mariahalom eines Tages besuchen.

    Vielen Dank für Deine bewegenden Informationen!

    Liebe Grüße

    Ilona

  • Hallo Ilona,


    erst mal herzlich willkommmen in unserem Forum! :welcome1:

    Es freut mich persönlich riesig von Dir zu lesen!

    Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass ich jemanden mit Bezug zu diesem kleinen Ort treffe.

    Schade, dass Du noch nicht in Máriahalom warst. Waren denn andere Familienmitglieder nach der Vertreibung noch mal da? Das nehme ich an wenn ein Teil der Familie sich "magyarisierte" und bleiben durfte.

    Es ist nur ein kleiner Ort, weit weg von größeren Siedlungen. Aber es dürfte gerade deshalb ein großer Zusammenhalt im Dorf sein. Es wirkt sehr gepflegt - besonders die Kirche. Ich habe mich nicht getraut jemanden anzusprechen, aber es gibt sicher noch Leute die mich verstanden hätten. Besonders der Friedhof war für mich sehr interessant.

    Nimm Dir mal die Zeit diesen Ort zu besuchen. Du hast ja vielleicht noch verwandtschaftliche Beziehungen und kannst dort für ein paar Tage unterkommen. Hotel oder Pension habe ich dort nicht gesehen.


    Ich kam nach Máriahalom weil meine Schwägerin in dem (auch so kleinen) Ort Úny in der Nähe wohnt.


    Ich würde mich über einen Bericht von Dir über einen Besuch in Kirva-Máriahalom freuen!


    Übrigens: Spricht man Deinen Namen in der deutschen Form Ilooona oder in der ungarischen Illona aus?

    (im Ungarischen spricht man den doppelten Buchstaben auch doppelt - also gedehnt - aus)


    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Liebe Ilona,


    danke, dass du diesen wunderbaren Bericht von Waldi wieder hervorgeholt hast. Ich bin hier erst später eingestiegen und es ist unmöglich, alle zurückliegenden Berichte, von denen es so viele interessante gibt, zu lesen. Ich habe dein Posting zum Anlass genommen und den Bericht von Waldi gelesen, von dem man viel lernen kann und auch nachdenklich wird.


    LG


    Johannes

  • Lieber Waldi,


    vielen, vielen, vielen, vielen, vielen Dank für diesen tollen Beitrag und die detailreichen Bilder!! Wirklich großartig!


    Ich bin durch Zufall auf dieses Forum gestoßen und war von diesem Beitrag hier hellauf begeistert!


    Kurz zum Hintergrund: Ich wusste bisher nur, dass der Geburtsort meiner Oma (mittlerweile auch fast 93 Jahre alt) Máriahalom war und sie, wie viele andere, mit ihrer Familie 1946 vertrieben wurde.

    "Kirva" ist mir als Ortsname auf einem Bild in der Wohnung ihrer Schwester einmal untergekommen, aber erst seit heute weiß ich, dass es (nur) der deutsche Name für Mariáhalom ist!


    Und nochmal vielen Dank für die ganzen Bilder: Es ist schon was Besonderes, den Mädchennamen der eigenen Großmutter auf einem Bild in einem Forum zu finden!

    Ich habe mich bisher nie groß mit ihr darüber unterhalten, aber das wird sich ab jetzt auf jeden Fall ändern!


    Für meine und viele andere Familien wurde in Ubstadt eine Siedlung errichtet. Andere kamen nach Oberöwisheim.


    @Ilona, und als ich DAS gelesen habe, bin ich endgültig vom Stuhl gefallen!

    Meine Oma, ihre Eltern und Geschwister lebten nämlich seither in Kirrlach (Waghäusel), was ja von Ubstadt nicht weit weg ist... Ich weiss nicht mal, ob sie vielleicht auch die erste Zeit in Ubstadt gewohnt haben...


    Also, ich muss sie definitiv mal ausfragen!!


    Nochmal vielen Dank für diesen Thread hier und die ganzen Bilder! Habe erst jetzt überhaupt mal was über diesen Ort und seine Geschichte gelernt! Vorher wusste ich eigentlich nichts darüber... Danke dafür!


    Edit: Ok, habe jetzt auch das Schloß Kieslau gefunden... :roll: Ich merke gerade, wie komplett uninformiert ich bin...

    Deshalb umso mehr vielen Dank für die ausgiebige Recherche und die vielen Infos!!




    Liebe Grüße,

    Christian

  • Lieber Christian,


    es freut mich riesig dass mein Beitrag Deinen Beifall gefunden hat!

    Beeile Dich mit dem Befragen Deiner Großmutter! Ich wünsche ihr noch viele gute Jahre, aber 93 ist schon ein gesegnetes Alter! Da bleibt wahrscheinlich nicht mehr so viel Zeit.

    Hast Du den Mädchennamen Deiner Großmutter auf einem der Grabsteine entdeckt?

    Wie reagiert Deine Großmutter auf meine Bilder? Wecken sie Erinnerungen?

    Ich hoffe dass Du ihr diesen Thread gezeigt hast, oder?

    Vielleicht fährst Du mal nach Kirva und suchst nach Spuren Deiner Ahnen. Nimm Deine Großmutter mit wenn das noch möglich ist.


    Leider hat Ilona nichts mehr von sich hören lassen. Es würde mich brennend interessieren ob sie inzwischen die Heimat ihres Vaters besucht hat.


    Ich würde mich über weitere Beiträge von Dir freuen, auch wenn sie nichts mit Omas Geburtsort zu tub haben!


    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Meine Mutter wurde auch in Mariahalom geboren und vertrieben. Sie und ihre Familie wurden auch in Ubstadt angesiedelt. Aber leider ist sie schon vor vielen Jahren gestorben. Meine Oma hieß Locher und war eine geborene Wagenhoffer. Meine Mutter war kurz nach der Öffnung noch einmal in Mariahalom und ich habe das kleine Dorf vor vielen Jahren besucht. Leider weiß ich ich nicht viel über die Geschichte meiner Familie. Ich glaube aber zu wissen, dass mein Urgroßvater Wagenhoffer Bürgermeister in Mariahalom bzw. Kirwa war.

    waldi danke für deinen Beitrag! lg.evelyn

  • Herzlich willkommen im Forum, Evelyn!


    Ja, die Wagenhoffer waren sicher eine bekannte Familie oder Sippe in Kirwa!

    Ein Dr. Vilmos (Wilhelm oder Willi) Wagenhoffer schrieb auch die Geschichte des Ortes nieder.

    Dr. Wagenhoffer Vilmos - Máriahalom története (pdf, 5 MB)

    Ich habe sie leider nur in ungarischer Sprache gefunden. Die müsste eigentlich auch in deutscher Sprache zur Verfügung stehen. Die habe ich aber nicht gefunden.

    Darin wird in der kurzen Chronik 1923 ein János (Johannes) Wagenhoffer erwähnt.

    Zitat

    Die Baumschule zieht unter der Leitung des Gesangslehrers (Kantors) János Wagenhofferan den Rand der Wiese auf dem Hoplzschlagberg (Irtás-hegy).

    Eine Frau von János Wagenhoffer ( -né am Ende des Vornamens des Mannes bedeutet - übrigens heute noch! - Frau von ..., Mária Endrődi war der Mädchenname ) wird 1955 erwähnt.

    Zitat

    Am 4. April 1955 fand die erste Aufführung des deutschen Minderheitenensembles im Kulturhaus statt, angeführt von Wagenhoffer Jánosné, Endrődi Mária.

    Sie durfte demnach in Máriahalom bleiben!

    Am 4. August 1985, dem 200. Jahrestag der Dorfgründung gab es eine Feier. Die Ausstellung wurde von János und Vilmos Wagenhoffer organisiert

    1995 kam das lokale Geschichtsbuch "Von Kirwa bis Máriahalom" (Kirvától Máriahalomig) von Autor Dr. Vilmos Wagenhoffer heraus.

    An andere Stelle steht dass "Die Geschichte von Máriahalom" von Dr. János Wagenhoffer schon 1980 veröffenticht wurde und von Vilmos Wagenhoffer für diese Abhandlung verwendet wurde.

    Es sollten also zwei Bücher über den Ort geben.


    In meinem Beitrag hast Du sicher auch den Grabstein mit den Brüdern Wagenhoffer entdeckt die am Kriegsende umgekommen sind.


    Auch der Name Locher taucht in der Chronik auf. Sie soll aus Stetten stammen, vermutlich Stetten am kalten Markt.

    Auf Seite 10 der Abhandlung ist ein Bild eines 200 Jahre altes Siedlungshauses der Familie Locher zu sehen.

    Auf Seiten 19/20 wird ein János Locher als Richter (1918) zitiert.

    János Wagenhoffer und János Locher tauchen 1925 als Ausbilder einer Jugendbrigade auf. Seite 20

    Ich vermute, dass auf dem Bild auf dieser Seite Deine Vorfahren zu sehen sind.

    Ab 1931 kümmerte sich u.a. ein Mihály (Michael) Locher um die Armen im Ort, so auch um Peda (Peter) den Dorfnarren. Seite 21

    Auf dem Bild auf Seite 24 erscheint ein Mihály Locher als zweiter von links in der oberen Reihe.

    Der frühere Weinkeller von Paul Locher den ich auch in meinem Bericht gezeigt habe erscheint auf Seite 40.

    Auf Seite 43 unten erscheint eine Agnes Locher...

    Zitat

    Die Schulbehörde sorgte nicht nur für die Schule, sondern auch für das Material der Kirche, der Gemeinde, der Siedler, die Siedlungen wurden in den 1910er Jahren von Mihály Locher (Ágnes Locher, Otto Richter und ...) durchgeführt.

    Und so geht es weiter.

    Auf Seite 49 ist auf dem Bild aus dem Jahre 1968 die achte Klasse der Ortsschule mit der Lehrerin Wagenhoffer Jánosné zu sehen.


    Das soll genug sein. Es wäre sicher einfacher wenn diese Abhandlung in deutscher Sprache verfügbar wäre.

    Vielleicht besitzt es jemand in der Verwandtschaft oder es ist beim Verband der Vertriebenen erhältlich.


    Jedenfalls freut es mich, dass mein Beitrag über Máriahalom oder Kirwa auf Interesse stösst und auch Emotionen weckt.


    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Ein ganz toller Thread hier und ganz großen Dank an waldi für die vielen Fotos!

    Ich war 2005 in Máriahalom, weil ich die Heimat meiner Ahnen besuchen wollte; sie waren 1791 von der Schwäbischen Alb aus nach Ungarn ausgewandert und haben bis zur ihrer Vertreibung im Jahr 1946 dort gelebt. Meine Mutter war 7 Jahre alt, als sie und ihre Familie dort vertrieben wurden; dieses Geschehnis war nach ihrer Schilderung derart traumatisch (die russischen Soldaten, die ihre Tiere erschossen; der Viehwaggon, in den sie gequetscht und nach Deutschland gekarrt wurden), daß sie zeit ihres Lebens (sie ist 2018 gestorben) ihre alte Heimat nicht mehr besuchen wollte.

    Mein Opa, der 1977 starb, hat einen Schnellhefter hinterlassen, in dem er akribisch Namen der Kirwaer mit Geburts- und Sterbedatum aufgezeichnet hat; falls jemand von euch Interesse an den Aufzeichnungen hat, bitte melden.

    Das Buch 'Von Kirwa bis Mariahalom' von Erich Wagenhoffer scheint es noch zu geben

    http://www.ungarndeutsche.de/w…von-kirwa-bis-mariahalom/

    ich habe das 2005 bestellt und gelesen, weil ich mehr wissen wollte.

    Bei unserem Besuch in Kirwa haben wir 2005 tatsächlich noch einen unserer entfernteren Verwandten kennengelernt, der uns sagte, daß Kirwa das erste Dorf während der russischen Okkupation gewesen wäre, in dem die russischen Soldaten alle Deutschen, die sich fanden, nicht gleich sofort erschossen hätten. Ob das stimmt, weiß ich natürlich nicht und ich habe bei meinen Recherchen auch nichts Weiteres darüber gefunden, aber ich habe schon das Gefühl, daß meine Vorfahren gerade um einen Haarbreit dem Tod entkommen sind.

    Meine Mutter sagte mir immer, daß sie in ein Auffanglager für Flüchtlinge in Bad Schönborn gebracht worden waren; daß dies das ehemalige KZ Schloß Kislau in Bad Mingolsheim war, wusste ich bis heute nicht, bis ich das hier gelesen habe.

    Das Leben in Deutschland war für die Heimatvertriebenen kein Zuckerschlecken: Meine Vorfahren hat es nach Zeutern (heute Ubstadt-Weiher) verschlagen, und meine Mutter hat als Kind in der Schule viel Häme, Spott und Haß über sich ergehen lassen müssen, wenn die anderen Kinder sie mit 'Flüchtling, Flüchtling!' titulierten. Die Deutschen waren offensichtlich nicht gut auf die Heimatvertriebenen zu sprechen, weil sie Wohnraum für diese Leute freimachen mussten (die mussten ja irgendwo untergebracht werden).

    Deshalb nochmals ganz ganz vielen Dank für die Recherche, die hier geleistet wurde, das ist einfach nur großartig.


    Leider ist es tatsächlich so, daß man aus dem Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs wohl nichts gelernt hat, wenn man sich die aktuelle Hetze gegen Rußland ansieht; man meint wohl, einen neuen Krieg vom Zaun brechen zu können, anstatt in Frieden und Freundschaft - wie Willy Brandt dies noch 1972 propagierte - mit unseren Nachbarn zusammenzuleben.

  • Hallo TomTom!


    Herzlichen Dank für Deinen Beitrag zu Kirwa!

    Es ist schon ein paar Jahre her dass ich dieses Thema eröffnet habe.

    Deshalb freut es mich ganz besonders dass jetzt noch Reaktionen kommen.

    Beim Lesen Deines Beitrages bekam ich feuchte Augen wegen der schrecklichen Erlebnisse Deiner Vorfahren. Ich denke, dass sie keine Märchen erzählt haben!

    Stimmt! Die "Kartoffelkäfer" - wie meine Großmutter die Vertriebenen nannte - waren sehr unbeliebt. Auch im Haus meiner Oma wurden Flüchtlinge einquartiert.

    Es muss ein furchtbares Gefühl für diese Menschen gewesen sein. In ihrer Heimat konnten sie von ihrer Hände Arbeit gut auskommen. Von ihrem meist bescheidenen Wohlstand konnten sie nicht viel mitnehmen. Haus und Hof waren verloren.

    Sie kamen in eine Gegend die sie nicht kannten. Keine Arbeit! Kein Vermögen! Oft nicht mehr als sie am Leib tragen konnten.

    Mit offenen Augen wurden sie hier nicht aufgenommen und hatten es schwer als Fremde in einer neuen Heimat.

    Deshalb fand ich Angelas Grenzöffnung für die Flüchtlinge 2015 richtig. Danach haperte es leider an der Organisation.

    Aber ich will hier keine politische Diskussion beginnen. Das führt zu nichts.


    Vielen Dank für das Angebot zur Überlassung der Aufzeichnungen Deines Großvaters! Vielleicht kommt jemand darauf zurück. Ich habe selbst keinen persönlichen Bezug zu diesem Ort. Ich hatte ihn nur zufällig entdeckt und ein bisschen in der Geschichte gekramt.


    Ich bedanke mich herzlich für Dein Lob!



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • Hallo, ihr Lieben!


    Mein Name ist Marc Tittmann! Kurz bevor ich meine Reise nach Mariahalom antrat, bin ich auf diese Seite gestoßen und war einfach nur überwältigt und fühle mch zutiefst mit einigen Kommentaren hier verbunden.


    Ich war letzte Woche in Mariahalom, es war wie ein Wunder dort zu sein. Ich traf die richtigen Leute, zum Beispiel die Frau des verstorbenen Bürgermeisters. Sie hatte unglaublich viele Archivamterialen, auf die ich sonst nie gestoßen wäre.


    Wie bei euch auch, kam mein Opa urpsürunglich aus Ungarn und landete in Deutschland. Dem wollte ich nachgehen.


    Anbei ist ein Stadtplan mit Auflistung der Familien, die damals das Dorf verlassen mussten oder bleiben durften. Den Namen meiner Vorfahren da zu sehen, hat mich ziemlich berürhrt, allein die Vorstellung, dass diese nur 24 Stunden Zeit hatten sich von allem zu verabschieden, berührt mich sehr. Es war übrigens das Land Ungarn selbst, die die Vertreibung veranlasste! Wer für das Land wirtschaftlich wichtig war hatte bessere Chancen bleiben zu dürfen (im Umkreis gab es verschiedene Mienen),


    Ich werde meine gemachten Erfahrungen bald in einem eigenen Blog niederschreiben und dann hier verlinken. Diese zwei Bilder wollte ich bereits mit euch teilen. Mein Opa hieß Josef Tittmann, leider ist er vor einigen Jahren verstorben, sodass ich ihm diese Arbeit lieder niemals zeigen kann. Sein Vater wiederum hieß Albert Tittmann und dessen Vater auch, die um das Jahr 1900 Dorfschmied waren.



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    In Unyi, dem Nachbardorf, habe ich, wie du, lieber Ersteller dieses Blogs, meine Ahnenkette bis zum ersten Tittmann ins 18 Jahrhundert zurückverfolgen können. Auf Family Search hatte jemand diese Einträge bereits vorgenommen, danke dafür! Und danke dafür, dass ich dies alles mit euch teilen kann. Es war unbeschreiblich und emotioanl. Kurz vor der Heimreise entdeckten wir das sogar das Haus, in dem mein Opa geboren wurde. Die Straßennamen und Hausnummern wurden im Laufe der Jahre neu vergeben, die Nummer 5 in der Petöfi-Strasse (siehe Bild), gab es nicht mehr. Wie durch ein Wunder erinnerte sich die Frau des Bürgermeisters, dass die alte Bäckerei die Hausnummer 7 hatte, von dort leiteten wir dann die Nachbarhäuser ab. Die dort lebende Frau bestätigte, dass es früher die Hausnummer 5 war. Heute ist es die Nummer 19.

    haus.jpg

  • Hallo Marc, und ein herzliches Willkommen in unserem Forum!


    Es freut und berührt mich, dass mein Bericht über Máriahalom noch interessierte Leser findet.

    Auch ich hatte mächtiges Herzklopfen bei meinem Besuch in Máriahalom - auch ohne eigene Vorfahren dort zu haben. Wieviel stärker müssen Deine Empfindungen gewesen sein!

    Erst vergangenes Wochenende war ich wieder in Úny zu Besuch. Derzeit treibe ich mich im Osten Ungarns herum und genieße die zahlreichen Thermalbäder. :thumbsup:

    Ich würde mich freuen, wenn Du Deine Erfahrungen in Máriahalom hier anschließen, oder auch eine neue Beitragsreihe-Blog eröffnen würdest.



    Liebe Grüße von waldi aus Ungarn :174:

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