Bei einem Ausflug an den kleinen See Lago di Cavazzo wollten wir das Schmetterlingshaus in Bordano besuchen , es war geschlossen und so spazierten wir in das nahegelegene Dorf Alesso in Friaul
Alesso liegt dicht neben der Autobahn und nur wenige Kilometer von Gemona entfernt.
Eine hübsche Kirche
Ein Wäschewaschplatz
Ein kleiner Hauptplatz mit Brunnen, Bar und kleinem Laden
Keine ungewöhnliche Sehenswürdigkeit - wenn da nicht mitten auf dem Platz diese Tafel und diese Skulptur von 2004 gewesen wären.
Sie machten mich neugierig
Wieso wurde aus Alesso Novocerkassk?
Wieso gab es in Friaul Kosaken?
Was ist mit ihnen geschehen?
Da ich nur wenig Italienisch verstehe, begann ich diesen Fragen mit Hilfe des Internets nachzugehen und stieß auf ein Kapitel der Geschichte, das ich bisher nur unzureichend kannte und bei dem mich die Schicksale der vielen Familien ( sowohl der Einheimischen als auch die der Kosaken) doch recht bewegt.
Die Kosaken kamen ursprünglich aus dem Ural, Terek, Don und Dnjepr.
Nach Schwierigkeiten mit der zaristischen Zentralmacht wurden sie ab dem 17. Jahrhundert von der russischen Staatsregierung zur Sicherung der südlichen Grenzen eingesetzt.
Im ersten Weltkrieg kämpften sie in der „weißen Armee“ gegen die Bolschewiken.
Im zweiten Weltkrieg sahen die Kosaken im Vorrücken der deutschen Wehrmacht eine Möglichkeit, ihre alten Rechte und Privilegien wieder zu erlangen und auch die orthodoxe Religion wieder offen ausüben zu können.
Aus diesem Grund boten zahlreiche Kosaken dem Hitler-Deutschland ihre Dienste an.
Nach dem Rückzug der Wehrmacht im Osten ab 1943 wurden sie nach Jugoslawien beordert.
Dort bekamen die berittenen Kosakenverbänden die Aufgabe, die Nachschublinien nach Griechenland zu schützen und die Partisanen aus ihren Stützpunkten zu vertreiben.
Als die russischen Streitkräfte immer weiter gegen Westen vorrückten, waren die Kosaken gezwungen, zusammen mit der Wehrmacht zu weichen.
Mit den Kampfverbänden sahen sich aber auch die Familien der Kosaken gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Im Frühjahr 1944 zogen sich diese sogenannten Kosaken- Stans (Stans sind die ganzen Sippen, inkl. der älteren Leuten, Frauen und Kinder) in das heutige Weißrussland zurück.
Am Anfang des Sommers wichen sie nach Polen aus.
Kurz darauf beschlossen die deutschen Behörden, für die Kosaken ein neues Siedlungsgebiet zu suchen.
Schließlich wurden ihnen von der Regierung des Deutschen Reichs ein Gebiet in der oberitalienischen Provinz Friaul-Julisch-Venetien, in der Gegend von Tolmezzo in Karnien, als ein neues "Kosakia" (Kosakenland Norditalien), zugewiesen.
Im Sommer 1944 wurden in 50 Eisenbahnzügen etwa 35 000 Kosaken aus dem Osten evakuiert und in dieser Gegend angesiedelt.
Mitte Oktober 1944 am Fest Maria Schutz (Pokrov) trafen Tausende Kosaken mit ihren Pferdefuhrwerken in einem 15 km langen Troß von Polen über Deutschland und Kärnten kommend im Friaul ein.
Die Ortschaften Tolmezzo, Alesso, die Umgebung von Nimis, Cavazzo Carnico, Gemona, der Raum Osoppo, Tarcento, Amaro und einige kleinere Dörfer wurden zu Kosakenzentren.
Die deutschen Behörden hatten keine besonderen Maßnahmen getroffen, um die Kosaken einzugliedern, so mussten sich die Neuankömmlinge selbst versorgen und für sich und ihre Tiere (unzählige Pferde, aber auch Dromedare) Unterkünfte und Lebensmittel besorgen.
Das Dorf Alesso wurde völlig den Kosaken überlassen und es entstand dort eine Art Kosaken-Exilregierung.
Auf die italienische Bevölkerung wurde keine Rücksicht genommen, Land und Häuser wurden beschlagnahmt, und es gab in der Folge auch kein friedliches Nebeneinander.
Die Kosaken wurden als Eindringlinge gesehen und mussten von Anfang an ihr neues Land verteidigen.
Immer mehr Einheimische schlossen sich den Partisanen an.
Die Absicht, die Besetzung in einen ständigen Aufenthalt zu verwandeln, erkennt man auch an der Tatsache, dass viele der besiedelten Ortschaften einen neuen Namen bekamen: Aus Alesso wurde Novocerkassk, aus Trasaghis Novorossijsk, aus Cavazzo Krassnoda.
Die Situation der Kosaken blieb aber dramatisch und sie verschärfte sich im April 1945.
Die englischen Truppen rückten immer näher, kommunistische Partisanen vermehrten ihre Angriffe.
So beschlossen sie, aus Italien auszuziehen, um auf österreichischem Boden, im Gebiet von Oberkärnten und Osttirol, zu kapitulieren.
In riesigen Trecks mit Pferd und Wagen machten sich ca. 25 000 Menschen Ende April 1945 auf den Weg, in der Hoffnung auf ein neues Land.
Den Plöckenpaß passierten sie bei Nacht und Schneesturm .
Im April 1945 gelangten ca. 25 000 Männer, Frauen und Kinder, mehrere tausend Pferde, einige Kamele, Wägen und Nutzvieh aus dem Friaul über Timau und den Plöcken- und Gailbergpass in den Lienzer Talboden.
Was die Kosaken nicht wussten: Im Jalta- Abkommen hatten sich die Engländer den Russen gegenüber verpflichtet, die sich in ihren Gebiet befindlichen Kosakenverbände auszuliefern.
Die Engländer sicherten während der zweiten Konferenz auf Jalta (Februar 1945) den Russen zu, alle von ihnen aufgegriffenen oder befreiten Sowjetbürger (gleichgültig ob es sich um Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene oder kämpfende Verbände handelte zu übergeben).
So wird das Vorgehen heute bewertet: Da die Kosaken in deutscher Uniform kämpften, deutsche Soldbücher besaßen, viele von ihnen gar keine sowjetischen Pässe besaßen und noch nie Sowjetbürger gewesen waren, verstieß diese Vereinbarung klar gegen die Haager und Genfer Konvention.
Die Engländer ließen sich damit nicht viel Zeit.
Ende Mai/Anfang Juni 1945 wurden die Führungsoffiziere der Kosaken und das deutsche Begleitpersonal zur Teilnahme an einer erfundenen Konferenz nach Spittal/Drau überredet und in Judenburg den Russen ausgeliefert. Diese erschossen einen Großteil der Gefangenen gleich vor Ort.
Am 1. Juni 1945 gingen in der Nähe von Lienz englische Verbände mit Waffengewalt massiv gegen Frauen, Kinder und Alte vor. Mehrere Hundert Kosaken starben bei dieser Aktion oder begingen Selbstmord.
Mehr als 22500 Männer, Frauen , Kinder wurden in LKWs und Eisenbahnwaggons nach Sibirien in die Bergwerkgebiete deportiert. Nur ein kleiner Rest konnte fliehen.
Ich war schon oft in Lienz, im Drautal , in Kötschach Mauthen und am Plöckenpass .
Die Erinnerung an die Ereignisse im ersten Weltkrieg wird dort schon seit vielen Jahren wach gehalten und gepflegt.
Museum in Kötschach und Frielichtmuseum am Plöcken
https://www.oberkaernten.info/…h-mauthen/museum-1915-18/
Aber von diesem tragischen Kapitel der Geschichte im Zweiten Weltkrieg und dem Schicksal der mehr als 35 000 Menschen wird kaum etwas erzählt.
Es gibt jedoch noch Zeitzeugen, die über das Erlebte berichten
https://austria-forum.org/af/W…e/Kosaken_in_K%C3%A4rnten
In Peggetz, einem Ortsteil von Lienz gibt es einen kleinen Kosakenfriedhof
https://de.wikipedia.org/wiki/Kosakenfriedhof_in_der_Peggetz
und in Tristach einen Gedenkstein für den General Helmuth von Pannwitz und das XV. Kosakenkavallerie-Korps, die vom Österreichischen Schwarzen Kreuz gepflegt werden.
Ich wurde jetzt erstmals so richtig darauf aufmerksam, als ich in Alesso auf dem Hauptplatz diese Erinnerungstafel und das Denkmal von 2004 sah.
Da ich nur unzureichend Italienisch verstehe, begann ich im Internet etwas nachzuforschen.
Meine Quellen für die o.g. Ausführungen waren
https://de.wikipedia.org/wiki/Lienzer_Kosakentrag%C3%B6die
https://austria-forum.org/af/AEIOU/Kosaken
https://www.mein-italien.info/geschichte/kosaken.htm
https://www.fluchtwege.eu/geschichte-19.html
https://www.osttirol-heute.at/…das-schicksal-der-kosaken
Elke