Deckname Ringeltaube - der Bunker bei Landsberg

  • Neulich hatte ich die Gelegenheit, einem Vortrag über das Projekt Ringeltaube beizuwohnen. Eine Woche später konnte ich dann im Rahmen einer Führung den Bunker „Weingut II“ in der heutigen Welfenkaserne in Landsberg am Lech besichtigen.


    Um die deutsche Luftrüstungsindustrie vor den alliierten Luftangriffen zu schützen war Anfang 1944 geplant, sechs unterirdische und bombensichere Flugzeugfabriken zu bauen. Drei dieser Riesenbunker sollten bei Landsberg gebaut werden. Hier befand sich ein großes Waldgebiet . Darunter war eine mächtige Kiesschicht, das Grundwasser war sehr tief und der naheliegende Lech lieferte ausreichend Wasser für den Bau.


    Die beteiligten Baufirmen waren erfahren im Bunkerbau, da von ihnen in den Jahren zuvor der Atlantikwall in Frankreich errichtet worden ist. Mit mehreren Güterzügen wurde Gerät von Frankreich in den Raum Landsberg verfrachtet.


    Neben den zivilen Fachkräften wurden tausende Hilfsarbeiter benötigt. Diese stellte die SS indem sie arbeitsfähige KZ-Häftlinge in insgesamt 10 Außenlagern des KZ Dachau im Raum Landsberg unterbrachte. Von Juni 1944 bis zum 27.4.1945 wurden etwa 23.000 Häftlinge in diese provisorischen Außenlager verbracht und mußten unter erbärmlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. 6.334 von Ihnen überlebten dies nicht.


    Aufgrund des Mangels von Material und Fachkräften entschied man, vorerst nur einen Bunker von drei geplanten hier zu bauen. Die Bauweise war revolutionär, so daß trotz Luftaufklärung die Amerikaner erst mit der Besetzung dieses Gebiets am 27.04.1945 vor Ort sahen, was hier entstanden ist.


    Nach Rodung wurden an beiden Seiten des Bauwerks Kiesentnahmetunnel betoniert, die als Widerlager für den halbkreisförmigen Gewölbebogen des eigentlichen Bunkers dienten. Diese Widerlager sind 16 Meter tief und 8 Meter hoch. In Segmenten wurde der 3 Meter dicke Gewölbebogen betoniert. Nach Trocknung wurde der darunter befindliche Kies mittels Baggern entnommen und zur Betonherstellung weiterverwendet.


    So entstand ein Tunnel von 85 Metern Breite, 26 Metern lichte Innenhöhe und 233 Metern Länge bis zum 21.04.1945. Drei Tage vor Eintreffen der Amerikaner wurde noch betoniert! Dieser Bunker Weingut II ist der einzige noch erhaltene von sechs geplanten im Reich.


    Nach Gründung der Bundeswehr bot es sich an, den "Rohbau" weiterzuverwenden. Was aus diesem halbfertigen Bau bis heute wurde, zeige ich euch in diesem Bericht.





    Es gibt zwei solche mit Lkw befahrbare Eingänge.





    Zwei derartige 160 Tonnen schwere Rolltore schließen sich in drei Sekunden (!) und bilden eine Schleuse in welcher eine Reinigung kontaminierter Fahrzeuge hätte stattfinden können. Der Bunker selbst ist für 30 Tage autark, verfügt also über Stromaggregate, Lüftungsanlage, Brunnen etc.





    Auf Schienenfahrzeugen konnte Material bis zu 20 Tonnen mittels zwei Liften über die fünf Geschosse befördert werden.



    Es gibt acht Treppenhäuser und Personenlifte, die die fünf Geschosse verbinden. Zur besseren Kennung sind diese farblich unterschiedlich gekennzeichnet.



    Im Dritten Reich war geplant, hier komplette Flugzeuge zu montieren. Ursprünglich sollte es die Do 335 oder die TA 152 und später die legendäre ME 262, der erste funktionsfähige und in Serie gebaute Düsenjäger der Welt sein. Die Motoren wurden zuvor bereits bei BMW in München gefertigt und mit der Bahn an die Flugzeugfabriken geliefert.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Dornier_Do_335


    https://de.wikipedia.org/wiki/Focke-Wulf_Ta_152


    https://de.wikipedia.org/wiki/Messerschmitt_Me_262




    Beim Ausbau nach dem Krieg wurde der Innenbunker vollständig abgerissen, weil für Lagerung und Wartung von Atomraketen ganz andere Anforderungen als für eine Flugzeugfabrik bestanden. Die Bilder zeigen die Außenhülle mit der rauhen Betonunterkante, der sogenannten "verlorenen Schalung" und den Innenbunker.




    Eine Luftaufnahme des Bunkers der Amerikaner kurz nach dem Krieg.



    Kurzer Abriß des geschichtlichen Überblicks der zum Bau des Bunkers führte.






    Hier ein kurzer Überblick der weiteren Verwendung des Bauwerks bis heute.





    Im Rahmen von Führungen ist ein Teil des Bunkers heute für die Öffentlichkeit zugänglich. Eine Führung durch die Militärgeschichtliche Sammlung "Erinnerungsort Weingut II" kann unter Telefon 08191 911 1019 kostenfrei gebucht werden.


    In diesen Räumlichkeiten wurde auch eine Gedenkstätte für die Opfer eingerichtet. Weil es immer wieder unterschiedliche Meinungen zur Anzahl der hier eingesetzten KZ Häftlinge und Opfer gibt, sei erwähnt, daß die Bürokratie der SS exakte Zahlen führte, die großteils nicht verloren gegangen sind.



    Links hinter dem Gedenkstein lugt ein Probewürfel aus Beton hervor. Immer wenn betoniert wurde, fertigte man zur Kontrolle aus dem Beton einen Würfel an um zu überprüfen, ob der Beton den Anforderungen genügte. Zement kam in Säcken oder lose in Güterwaggons auf die Baustelle. Sand und Kies wurden direkt vor Ort aus dem Boden gewonnen. Das Wasser kam aus dem Lech und wurde vor Verwendung in riesige, heute verfüllte Becken geleitet um Schwebstoffe auszuscheiden, die die Qualität des Betons beeinträchtigt hätten.



    Beispiel eines hier mit Bild und Namen erwähnten Gefangenen.




    jürgen

  • Jürgen, diesen Bericht musste ich zwei Mal lesen.


    Nicht wegen besonderem geschichtlichem Interesse, sondern wegen der Tatsache, dass hier im süddeutschen Raum, in einer lieblichen Landschaft im Verborgenen unglaubliche Verbrechen in einem Ausmaß geschahen, von denen vermutlich lange nur wenige wussten.
    Ich habe den Eindruck, dass es sehr lange gedauert hat, bis bekannt wurde, was dort gebaut und wie es gemacht wurde.


    Hat man bis 1967 in Euer Gegend etwas davon gewusst? Hast Du in der Schule etwas darüber erfahren?
    Das Gebiet war doch sicher auch nach 1945 noch lange militärisches Sperrgebiet. Heute auch noch?


    Jetzt darf man einen Teil der Anlagen besichtigen und es wird offensichtlich auch Wert darauf gelegt, dass man die Geschichte des Ortes kennenlernt.
    Hat lange genug gedauert!!!


    Dein ausführlicher Bericht ist sehr wertvoll. Viellelcht gibt es den einen oder anderen Leser, der ähnlich wie ich
    betroffen feststellt, dass man viel zu wenig weiß von solchen Dingen, die in der eigenen Umgebung passiert sind.


    Viele Grüße,
    Elke

  • hallo Elke,


    vorab sei erwähnt, daß ich in diesem Zusammenhang noch einen Bericht über die 10 KZ Außenlager des KZ Dachau, wo die Zwangsarbeiter untergebracht waren, erstellen werde. Vorab vielleicht deshalb nur der link auf den Wikipedia Artikel


    https://de.wikipedia.org/wiki/…kst%C3%A4tte_in_Landsberg


    Das Thema an sich ist hier in der Region sehr schwierig und wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Bereits aus dem Wikipedia Artikel kannst du entnehmen, daß bezüglich Opferzahlen und tatsächlich eingesetzter Gefangener bis zum heutigen Tag gestritten wird. Näheres dazu jedoch in einem späteren Bericht, den ich mit diesem Bericht verlinken möchte. Bunker und KZ-Außenlager gehören zusammen.


    Deshalb kurz zu deinen Fragen.


    Ich habe in Marktoberdorf im Jahr 1980 mein Abitur u. a. mit dem Leistungskurs Erdkunde/Geschichte abgelegt. Die Kreisstadt liegt 50 km von Landsberg entfernt. Genauso wie in Landsberg wurde das Dritte Reich allgemein entsprechend dem Lehrplan gelehrt. Lokales kam hier nicht vor. Alles was geschah, war räumlich weit weg.


    Was das Bunkergelände anbelangt, lagerte Uncle Sam sofort nach dem Ende des Krieges rund um die Wiesen und Wälder ab Mai 1945 fast alle in Europa befindlichen Bomben. Ein Stacheldrahtzaun drumrum und ein paar Wachtposten und das war es dann. Die Einwohner der Region hatten dahingehend Zugang zum Gelände, wohlwissend, daß auf offener Flur eine enorme Menge Bomben unter freiem Himmel lagerten (!), weil diese Bauholz, Zement und vor allem Baustahl abtransportierten um diese Dinge für sich selbst zu verwenden.


    Die beteiligten Baufirmen Moll (gibt es heute nicht mehr), Dyckerhoff, heute als Dywidag Teil des Strabag-Konzerns und Philipp Holzmann AG, das war einstmals Deutschlands größer Baukonzern (mittlerweile auch insolvent) konnten unter Aufsicht der Amerikaner zuvor ihr Gerät und Material abtransportieren. Alle Unternehmen wurden ja für den Wiederaufbau gebraucht. Auch ein gewisser Heinrich Lübke, später Bundespräsident, war als Bauleiter für die Baracken der KZ-Außenlager hier eingesetzt.


    Da lediglich das Bunkerdach, aber noch nicht die beiden Seitenwände bei Kriegsende betoniert waren, bot es sich an, die rostenden Bomben im Bunker kontrolliert zu sprengen, weil so der Druck entweichen konnte und die Splitterwirkung vermieden wurde. Die Einwohner von Landsberg, Kaufering und Igling wurden kurz vor den Sprengungen per Lautsprecherdurchsage gewarnt, die Fenster zu öffnen um ein Zerbrechen der Gläser durch die Druckwelle zu verhindern.


    1950, als die Amis die noch verwendungsfähigen Bomben über Bremerhaven an den nächsten Kriegsschauplatz Korea transportiert hatten, wurde das Gelände freigegeben und dem Bund übereignet. Nach Gründung der Bundeswehr kam der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß im Jahr 1959 hierher und entschied, die Bunkerhülle zu nutzen um hier einen atombombensicheren Bunker für Lagerung und Wartung von Atomraketen zu bauen.


    Das Bauwerk war 1967 für 85 Millionen Mark fertiggestellt und diente jedoch nicht dem geplanten Zweck der Lagerung von Atomraketen des Typs Pershing I. Ab diesem Zeitpunkt war es Luftwaffengerätelager.


    Die um den Bunker später drum herum gebauten Gebäude werden heute noch als Welfenkaserne genutzt. Auch der Bunker ist noch in Betrieb. Derzeit wird hier Flugelektronik gewartet und programmiert.


    Im Zusammenhang mit der Erforschung dessen, was hier in der Zeit von Frühsommer 1944 bis über den Krieg hinaus geschah, hat sich ein lokaler Gymnasiallehrer namens Anton Posset sehr engagiert.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Posset


    Mitlerweile ist vor Ort eine Europäische Holocaustgedenkstätte auf dem Gelände eines der KZ Außenlager geschaffen worden. Diese stelle ich euch in dem nächsten Bericht zum Thema vor. Posset selbst war für seine Zeitgenossen aufgrund seines Engagements in dieser causa sicherlich nicht immer einfach. Dies wird auch im Wikipedia Artikel über den Mann erwähnt.


    Im Bunker selbst gibt es die oben vorgestellte Militärgeschichtliche Sammlung "Erinnerungsort Weingut II".


    Da ich selbst seit 20 Jahren, obwohl nicht mehr vor Ort wohnhaft, in der Kauferinger Kommunalpolitik engagiert und ehrenamtlich tätig bin, interessiert mich natürlich seit langem alles rund um dieses Thema.


    Geschichte, und natürlich die lokale, egal ob diejenige der letzten Jahre oder vor zweitausend Jahren sind halt die Dinge, die ich wissen will. ;)


    grüsse


    jürgen

  • Das Bauwerk war 1967 für 85 Millionen Mark fertiggestellt und diente jedoch nicht dem geplanten Zweck der Lagerung von Atomraketen des Typs Pershing I.

    Die Pershing lagerten dann in Heilbronn, meiner Heimatstadt, in der ich zu dieser Zeit lebte.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Waldheide
    Alles geheim...der "Normalbürger" wusste nichts davon.


    Erst nach einem Raketenunfall 1985 wurde die Bevölkerung darauf aufmerksam und wir wehrten uns. Ich war dabei. ( Nach heutigen Maßstäben relativ friedlich )
    Ich sehe Parallelen zu Landsberg in Bezug auf Geheimhaltung und dazu, wie mühsam es in den Jahren vor ca 1990 war, die Wahrheit zu erfahren.
    Toll, dass es Menschen wie diesen Herrn Anton Posset gibt!



    Gruß,
    Elke

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