Das Sommerschloss des Palatins Joseph in Alcsút

  • Erzherzog Joseph Anton Johann Baptist von Österreich wurde 1795 Regent von Ungarn.
    Der ungarische Landtag wählte ihn 1796 in Pozsony (Bratislava), dem damaligen Sitz der ungarischen Regierung, zum Palatin.
    Seine Nachkommen bilden als Linie "Erzherzog Joseph" einen ungarischen Zweig des Hauses Habsburg-Lothringen.
    Nach dem Tod seiner ersten Frau, der Großfürstin Alexandra Pawlowna Romanowa, heiratete er 1815 Prinzessin Hermine von Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym.


    Alcsútdoboz ist ein kleiner Ort im Kreis Bicske, Komitat Fejér, etwa 35 Kilometer westlich von Budapest.
    Er entstand im Jahre 1950 durch die Vereinigung der Dörfer Alcsút und Vértesdoboz.



    Zwischen 1820 und 1827 ließ Palatin Joseph in Alcsút eine herrliche klassizistische Villa als Sommerresidenz erbauen.



    Die ersten Pläne erstellte Ferenc Heyne, der später für Mihály Pollack arbeitete. Die Grundsteinlegung fand am 13. Juni 1821 statt, und im Jahr 1824 war bereits der Hauptflügel vollendet.
    Der Bau des Schlosses wurde von Baumeister Ferenc Klosz aus Székesfehérvár geleitet.
    Die neuen Bewohner, der Palatin und seine Familie, kamen nach der Fertigstellung im Jahre 1827 nach Alcsút.


    An das zweistöckige U-förmige Hauptgebäude schlossen sich zwei L-förmige einstöckige Flügel an.


    Vom Hauptgebäude steht heute nur noch ein Teil der Vorderfront mit dem Portikus mit einem Tympanon auf vier ionischen Säulen.



    Die schmucklose Rückseite.



    Im Tympanon blieb das Familienwappen von Palatin Joseph erhalten.



    Von den Verzierungen am Tympanon blieben nur Löcher.



    Ein Kapitell der ionischen Säulen.



    An der Ruine hat man eine Gedenktafel angebracht die an die früheren Bewohnner erinnert.



    Palatin Joseph starb im Jahr 1847. Nach dem Tod von Palatin Stephan, der 1848 aus Österreich verbannt worden war und 1867 im Exil in Menton verstarb, ging das Schloss an seinen Halbbruder Erzherzog Joseph Karl Ludwig über. Er veranlasste Um- und Neubauten am Schloss und auf dem Grundstück. Unter seiner Leitung bekam das Gebäudeensemble und das Schloss 1884 seine endgültige Form.
    Die beiden L-förmigen Anbauten wurden verbunden, sodass ein geschlossener Innenhof im Hauptgebäude entstand.



    Kein geringerer als Erzbischof János Simor, der Kaiser Franz Joseph zum ungarischen König gekrönt hatte, bemerkte bei einer Besichtigung der Stallungen im nördlichen Flügel, dass diese so schön seien wie eine Kapelle. Diese Anregung setzte Erzherzog Joseph Karl in die Tat um.
    1879/80 wurde die Kapelle nach den Plänen von Ferenc Storno im neoromanischen Stil gestaltet.




    Beim Bau legte Erzherzog Joseph Karl – genau wie sein Vater – großen Wert darauf, dass ungarische Künstler mit den Arbeiten beauftragt wurden. Die Buntglasfenster stammten von Miksa Róth, die Orgel schuf die berühmte Orgelbauerfamilie Országh in Pécs (Fünfkirchen) und die Kuppelfresken malte Károly Lotz. Das Altarbild und die Wandgemälde fertigte die herzogliche Familie selbst. Am 27. November 1880 wurde die Kapelle von Erzbischof Simor eingeweiht. Bis 1907 diente die Kapelle auch als Dorfkirche.
    So soll sie damals ausgesehen haben.



    Beim Brand des Schlosses am Jahresende 1944 wurde auch die Kapelle schwer beschädigt, aber die Demolierung die die anderen Gebäudereste 1951 betraf, blieb ihr erspart.
    Die Kapelle wurde 1976-1977 restauriert. Dabei wurden die restlichen Fresken abgeklopft und die ausgemalten Kuppeln entfernt und durch eine Stahlbetondecke ersetzt. Selbst der kaum beschädigte Mosaikboden wurde vollständig zerstört. Auch Verzierungen an den Fassaden wurden abgeklopft und der Turm nicht in der Originalform wieder hergestellt. Die Heiligenfiguren – Chlothilde und Joseph, die Namensgeber des Herzogspaares - die den Hofeingang flankierten, wurden entfernt.



    Leider ist die Kapelle den Besuchern des Arboretums nicht zugänglich.
    Nur für Ausstellungen und zu Konzerten wird der heute weiß gekalkte Kirchenraum genutzt. Auch zu Hochzeiten kann man sie anmieten.


    Im Anschluss an die Kapelle wurden zwei große doppelstöckige Räume als Bibliothek angebaut in der auch die gesamten Familienarchive untergebracht waren. In der im europäischen Raum einzigartigen Büchersammlung mit mehr als 60 000 Büchern befanden sich angeblich auch 5 Werke aus der "Bibliotheca Corviniana". Das Interesse von Erzherzog Joseph Karl spiegelte sich in mindestens 30 000 Bänden botanischer Natur.


    Das riesige Palmenhaus für tropische, subtropische und mediterrane Pflanzen wurde im Jahr 1872 von Miklós Ybl gebaut. Es war 56 Meter lang, 11 Meter breit und achteinhalb Meter hoch.



    Quelle: http://www.arcanum.hu/hu/onlin…tely-es-az-arboretum-24C/


    Dort sieht man nur noch Gitter im Boden die einen Blick in die Gewölbe unter dem Palmenhaus ermöglichen.




    Die erzherzoglichen Kinder wurden in einem Gebäude neben dem Schloss, dem sogenannten Kindergarten, gelehrt.



    Davor steht der Löwenbrunnen.



    Das etwas abseits stehende Waschhaus in dem früher die erzherzogliche Wäsche in handbetriebenen hölzernen Waschmaschinen mit Wasser aus dem nahen Bach gewaschen wurde, will man wohl nicht erhalten.


    .


    Alle Gebäude strahlten eine gewisse Eleganz aus. Ein ehemaliger Kuhstall (Cifraistálló) an der Straße nach Etyek bildet heute das zentrale Gebäude eines Golfclubs den die Leute wegen seines noblen Aussehens nur als "marhapalota" (Kuhpalast) bezeichneten.



    Quelle: http://muemlekem.hu/muemlek?id=3561


    Am Ende des Zweiten Weltkrieges floh die Familie Habsburg in den Westen. Erzherzog Joseph August verließ Alcsút im Oktober 1944. Wegen der nahenden Front räumten seine Tochter Elisabeth und das Gefolge das Schloss am 20. Dezember. In der Hoffnung nach Kriegsende zurückkommen zu können ließ man die komplette Einrichtung und auch die umfangreiche Büchersammlung zurück. Die deutschen Truppen blieben noch bis zum 23. Dezember. Einen Tag später, am 24. Dezember 1944, beobachtete ein zurückgebliebener Bediensteter des Erzherzogs, dass die Bibliothek und der Pavillon in Flammen standen. Das Schloss brannte aus ungeklärter Ursache – es wird Brandstiftung vermutet – fast völlig aus.
    Was die einrückenden russischen Soldaten nicht mitnahmen oder zerstörten diente der Bevölkerung als Möbel oder Baumaterial.
    1951 wurden die restlichen Gebäude, das Palmenhaus, das Orangenhaus, die Glashäuser, das Badehaus, die Stallungen und die Gloriette abgerissen. Nur der Eingangsportikus mit dem Tympanon, ein Teil der Vorderwand, die Reithalle, die Kapelle und der Kindergarten blieben übrig.


    Es ist schade, dass man einen Wiederaufbau des Schlosses nicht in Betracht zog.
    Es wäre eine wertvolle Ergänzung zum herrlichen Arboretum das ich im nächsten Bericht zeigen werde..




    Liebe Grüße von waldi aus Ungarn :174:

  • Waldi danke für den überaus interessanten Bericht.
    Ja die Habsburger haben in Ungarn viel zerstört aber auch viel gebaut.

  • Waldi, wenn ich solche Berichte von Dir lese, bin ich immer beeindruckt, wieviel Details Du immer herausfindest und schreibst.
    Du hilfst damit, das Gesehene zu verstehen.


    In diesem Fall aber machst Du mich in vielerlei Hinsicht nachdenklich.
    Wie konnten die Adligen sich damals solch prächtige Wohnsitze bauen lassen. ( Gilt ja nicht nur für dieses Sommerschloss)
    Wir bewundern sie heute häufig, vor allem wenn sie gut erhalten sind. Aber wer waren damals die, die dafür schuften mussten?


    Und als zweites wird wieder einmal deutlich, wie unsinnig es ist und mit welcher Willkür Schönes kaputt gemacht wird.
    Der unselige Krieg zerstörte vieles - aber dass die Ungarn nicht versucht haben zu retten , was noch übrig war?
    Ob sie es nicht irgendwann bereuen , das Schloss nicht wiederaufgebaut zu haben?


    Wenigstens ein paar alte Bilder sind erhalten.


    Danke für diesen Interessanten Bericht!


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Ja die Habsburger haben in Ungarn viel zerstört aber auch viel gebaut.

    Stimmt, Joseph!

    Der unselige Krieg zerstörte vieles - aber dass die Ungarn nicht versucht haben zu retten , was noch übrig war?

    Man weiß es nicht wer da gezündelt hat. Natürlich war es eine Folge des Krieges.
    Am unwahrscheinlichsten scheint mir die Vermutung, dass es die am 24. Dezember in Alcsút einrückenden Truppen der roten Armee waren, denn die hausten noch etwa 4 Monate in den Trümmern.
    Ob es die abziehenden deutschen Soldaten im Zuge der "verbrannten Erde" waren? Es wird uns wohl verborgen bleiben.


    Mit Wehmut habe ich die Pracht in den noch vorhanden Bildern betrachtet. Es ist echt schade um die wertvolle Bibliothek mit den B üchern aus der Sammlung von Matthias Corvinus aus dem 15ten Jahrhundert. Das waren unwiederbringliche Schätze! Hier noch einige Bilder um Alcsút.
    http://www.arcanum.hu/hu/onlin…tely-es-az-arboretum-24C/



    Wenn die Reste des Schlosses noch eine Weile der russischen Militärführung als Kommandobasis dienen konnte, dann waren doch noch bewohnbare Gebäudeteile von dem Brand verschont geblieben, denke ich.
    Es wird wohl der Regierung von Mátyás Rákosi (ursprünglicher Name: Rosenfeld!) zuzuschreiben sein, dass viele Reste "monarchistischer Ausbeutung" für immer und ewig ausgelöscht wurden. Er bezeichnete sich ja selbst als den "besten Schüler Stalins" und wollte stalinistischer sein als sein Vorbild. Letztendlich führte dies zum ungarischen Volksaufstand von 1956.



    Wie konnten die Adligen sich damals solch prächtige Wohnsitze bauen lassen. ( Gilt ja nicht nur für dieses Sommerschloss)
    Wir bewundern sie heute häufig, vor allem wenn sie gut erhalten sind. Aber wer waren damals die, die dafür schuften mussten?

    Nun! Wie jedes Schwert, so hat auch dieses zwei Schneiden. Die oben erwähnte "monarchistische Ausbeutung" hat es sicher gegeben. Darin besteht kein Zweifel.
    Im speziellen Fall des "József nádor", wie der Palatin im ungarischen genannt wurde, so weiß man, dass er - und damit auch die gesamte "ungarische Linie" des Hauses Habsburg - dem Land Ungarn einen wirtschaftlichen Aufschwung und einen gewissen Wohlstand brachte. Deshalb war er bei den Ungarn recht beliebt. Nicht umsonst hat man ihm in der schweren Zeit nach 1849 in Budapest ein Denkmal gesetzt. Auch heute lebt noch ein Teil der "ungarischen Habsburger" in Ungarn und wird als königliche Hoheit betitelt und behandelt.
    Auch dem Bereich um seine Ländereien bei Alcsút brachte sein Wirken einige Vorteile. Heute ist es leider nur noch das Arboretum das Besucher anzieht, oder der im Bericht erwähnte "Kuhpalast". Da sind es aber heute andere "Monarchen" die damit ihr Geld verdienen.


    Ob sie es nicht irgendwann bereuen , das Schloss nicht wiederaufgebaut zu haben?

    Ich vermute, dass viele Leute aus dem nahen Umfeld schon beim Abriss der Gebäudereste bedauert haben dass das Schloss verschwindet. Heute wäre ein wiederhergestelltes Schloss ein Anziehungspunkt für internationale Touristen und wäre wieder Arbeitgeber in der Region.



    Leider lernt die Menschheit nicht dazu! Man braucht nur in den Irak und nach Syrien zu schauen. :wallb:



    Liebe Grüße von waldi aus Ungarn :174:

  • Hallo waldi,


    es ist immer wieder interessant, Deine Fotoberichte mit den vielen Erklärungen aus den letzten Jahrhunderten zu lesen und zu betrachten. :thumbup:


    Früher in der Schule interessierte mich der Geschichtsunterricht nicht besonders. Aber seitdem ich historische Romane lese (von unterschiedlichen europäischen Ländern Europas - zur Zeit ein Roman über England zur Zeit Heinrich VIII.), finde ich Gefallen an den "alten" Geschichten und schaue mir auch gerne alte Gemäuer (wie Burgen und Schlösser) an. Schwer hatte es früher das "einfache Volk" wohl oft mit seinen adeligen Herrschaften.


    Aber heute freut es mich, wenn viele der historischen Bauten erhalten bleiben. :)

    El mundo es un libro, y quienes no viajan leen sólo una página. (Aurelio Agustín)
    Gruß Jofina

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