Helgoland im Juni

  • Hier eine kleine Entschädigung für den verpassten Lummensprung:


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    Gruß,
    Klaus

  • dankschön lieber Klaus,
    leider klemmt das Video zwischendrin.
    Das vom NDR, während dessen Entstehung ich zufällig vor Ort war, geht leider auch nicht.
    PS kleiner Tipp:
    Lasst den Ton an und das o.g. Video drin, irgendwann, eben nach 5 Minuten, entklemmt es sich wieder. Es lohnt sich !

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

    4 Mal editiert, zuletzt von Grizzly ()

  • Heut geht's in die Unterwelt der Insel - Bunkerführung.


    Rückblick:
    Das gesamte Oberland war von den Militärs untertunnelt wie ein Schweizer Käse, unter der etwa 3 mal 1.5 km große Insel waren vor Kriegsende 13 km Tunnel ! Sie wurden, bis auf den einige hundert Meter langen Bunker, am 18. April 1947 mit 5000 Tonnen Sprengstoff in die Luft gejagt.




    Der Bunkereingang war neben der Schule, damit vor allem die Kinder dort schnell hinlaufen konnten - unser Bunkerführer war eins von ihnen. Es gab zwei gegenläufige Eingänge, um Gedränge zu vermeiden.






    Mutter- und Kind-Raum



    Die Authentizität dieses Schildes ist umstritten. Mehr zur Swing-Bewegung:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Swing-Jugend



    Auch diese Plumpsklos sind nicht Original. Laut Führer und Zeitzeugen gab es Porzellanklobecken wie sonst auch,
    gespült wurde wie üblich mit Brackwasser.


    Nach einigen hundert Metern macht der Gang einen scharfen Knick, ab dann ist er so schmal, dass es nur noch Klappsitze gab. Die Schutzsuchenden mussten stehen, um durchlaufende Soldaten nicht zu behindern, und durften sich nur auf Befehl der Bunkerwarts hinsetzen.



    Die "Notschule" wurde nie als solche genutzt.


    Als die Helgoländer am 18. April 1945 in den Bunker gingen war das Oberland noch einigermaßen heil, das Unterland schon nicht mehr. So war's früher ...




    und so, als sie wieder aus dem Bunker kamen.



    Irgendwo hier stehen die Reste des Hauses des Helgoland-Photographen Franz Schensky,
    der sein brennendes Haus aufnahm.




    Als ich die Gasmaskenbrille (links unten) sehe, fällt mir meine Familiengeschichte wieder ein. Einer solchen, und dem fürsorglichen Kommandanten, der sie besorgte, verdankt unsere Familie ihre Existenz.


    Großvater Ernst (1886-1977), Landwirt in Pöcking, der bereits einen Einsatz im 1. Weltkrieg (Russland) überlebt hatte, musste im September 1918 noch einmal einrücken, nach Frankreich. Beim Appell stellte der Kommandant fest, dass es für den stark sehgeschwächten Brillenträger keine passende Gasmaskenbrille gab. Die Anfertigung dauerte 14 Tage, und während dieser Zeit, hatte Ernst Ausgang und nutzte dies, um mit seiner frisch angetrauten Anna intensiv beisammen zu sein.
    Ergebnis 1:
    Meine Tante, geboren am 3.6.1919.
    Ergebnis 2:
    Irgendwie überlebte Ernst im Gegensatz zum allergrößten Teil seiner Truppe diesen Einsatz und kam 1919 (?) wenngleich schwer herzkrank (Herzmuskelentzündung/Endocarditis infolge einer Frontinfektion ?) zurück. Was ihm unterwegs passiert ist, hat er nie erzählt. Wäre er nicht zurück gekommen, wäre mein Vater 1921 nie geboren und wir folglich auch nicht.
    Alles wegen einer Gasmaskenbrille.

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    Einmal editiert, zuletzt von Grizzly ()

  • Obwohl ich selbst auch Kriegs-/Nachkriegskind bin, läuft es mir bei solchen Schilderungen und dem Betrachten der Bilder kalt über den Buckel.


    Makaber amüsant Deine Familiengeschichte! :401:


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Zurück nach Helgoland.
    Ein früherer Führer berichtete, die im Bunker befindlichen Helgoländer hätten zwei Tage graben müssen, um sich selbst aus dem Bunker zu befreien. Unserer, wie bekannt Zeitzeuge, bestreitet das. Er weiss zwar nicht mehr, wie das genau ablief (er war sechs), aber man hätte den Bunker relativ komplikationslos verlassen können.


    Im Bunker überlebt hatten auch die Männer der Widerstandsgruppe um Erich Friedrichs und Georg Braun. Die Gestapo hatte sie am Morgen des 18. April 1945 verhaftet, weil ihr Plan, Helgolang kampflos den Briten zu übergeben, verraten worden war. Sie wurden nach dem Angriff nach Cuxhaven gebracht, fünf von ihnen wurden am 21. April zum Tod verurteilt und sofort erschossen. Die Prozessunterlagen wurden danach vernichtet, so dass die Mörder nach der Befreiung straffrei ausgingen.


    Während der Bunkerführung haben wir das halbe Oberland durchquert ...



    und kommen durch diese unauffälligen Tür


    wieder an die Oberfläche, in der Nähe der katholischen Kirche.



    Die katholische Kirche St. Michael ist von aussen als Kirche kaum zu erkennen. Es gibt sie seit 1971, vorher hatten die etwa 150 Katholiken Asyl bei ihren evangelischen Glaubensbrüdern und -schwestern (!). Über die Glockenhilfe hatte ich schon geschrieben.




    Eine interessante Demonstration


    der helgoländischen Sprache.
    Heute lernen die Inselkinder Helgoländisch in der Schule, früher sprachen sie es im Alltag und lernten erst in der Schule Hochdeutsch. Was bei Kriegsende zu erheblichen Verständigungsproblemen evakuierter Vorschulkinder führte.


    Autos sind auf Helgoland verboten, die wenigen die fahren haben meist Elektroantrieb. Statt Fahrrädern mit Pedalantrieb transportieren die Insulaner ihren Einkauf etc. mit diesen Rollern.





    Das Mittelland gibt es erst seit 1947. Es entstand durch die Sprengung der zahlreichen Tunnels, wodurch ein (kleinerer) Teil des Oberlandes zusammenstürzte. Dort steht heute das Krankenhaus.





    Es wird Abend und Zeit, sich zum Lummenfelsen aufzumachen.





    Ein paar Vogeltouristen sind schon da.


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  • Das helgoländische "Vater unser" ist nur zu erahnen.


    Herzlichen Dank für diesen Mehrteiler über die Insel die ich vor über 50 Jahren mal besuchte, Grizzly!
    Damals schipperte ich von Hamburg aus mit der "Wappen von Hamburg" dahin und nicht weit von ihr ankerte die "Alte Liebe"



    Auf dieses Bild war ich damals sehr stolz. Es war mit einer alten Kamera mit Balg und Rollfilm gemacht.


    Bin gespannt ob Du den Lummensprung noch erleben festhalten konntest.



    Liebe Grüße von waldi aus Ungarn :174:

  • 21.6.2017, kurz vor Sonnenuntergang


    Bis ich oben bin, hat sich die Touristenschar noch vergrößert - kein Wunder, das NDR-Schledwig-Holstein-Magazin ist vor Ort. Die Lummentouris stehen mehrreihig. Das Dilemma ist ja, dass die Vögel zur Vermeidung von Fressfeindverlusten erst in der Dämmerung springen, und wenn's richtig dunkel ist, sieht man nix mehr.


    Offensichtlich sind die Herrschaften noch in Beratung.


    Spring ich jetzt oder spring ich nicht ?


    Nein, lieber doch nicht,


    für die blöden Touris mach ich doch nicht den Affen. Besonders nicht für die aus Norderstedt.


    Also, das ist jetzt zwar kein Sprung,


    sondern ein Flug, aber im Prinzip geht das so.


    Wenn man kein Hochleistungsgerät hat, hält man den Zoom der Kamera oder auch das Fernglas halswirbelsäulenmäßig nur zwei Minuten durch, ich jedenfalls. Und in dieser Zeit hat sich kein Jungvogel meiner erbarmt. Der NDR hat das passende Gerät, und die werden auch fündig.



    Dann schaun wir uns das Spektakel halt am Samstag vom heimischen Sofa aus an,
    Schleswig-Holstein-Magazin im NDR um 19:30:
    https://www.ndr.de/fernsehen/s…die-Tiefe,shmag46996.html

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • 22.6.2017


    Es blitzt und kracht, und von oben kommt ordentlich etwas herunter. Wenn das vor dem Krieg, kombiniert mit einer ordentlichen Flut, passierte, bekamen die Unterländer machmal nasse Füße - beim Wiederaufbau hat man dem Unterland eine Schuttschutzschicht untergelegt, genug Bombenschutt war ja da, so passiert das heute nicht mehr. Und mein Zimmer ist im 1. Stock.


    Bis ich gefrühstückt und gepackt hab - heut ist ja Abreisetag, aber bis 15:00 darf ich das Zimmer nutzen - hat es sich ausgeschüttet. Zwischendurch tröpfelt es noch, aber heut ist eh Museumstag.


    Beim Anblick dieser Regenwasserrinne überleg ich mir mal wieder: Wo kriegen die Helgoländer eigentlich ihr Wasser her ? Quellen haben sie nicht. Es gibt ein bissl Grundwasser, da kommt so ein Regenguss natürlich gelegen.



    Daneben sind die Wasserwerke, und grad kommt ein freundlicher Mensch mit seinem Hund heraus (wie ich von meiner Wirtin erfahre, der Oberwasserwerker), der erklärt mir, dass dieses Regenwasser auf Rieselfeldern ausgebracht und, so gefiltert, vom Grundwasser wieder aufgenommen wird. Das deckt ca. ein Sechstel des Jahresbedarfs, 85% werden aus der Meerwasserentsalzungsanlage gewonnen.
    Meer- oder Brackwasser zur Toilettenstülung oder, wie schon beschrieben, zum Zähneputzen, darf heut nicht mehr verwendet werden, aufgrund irgendwelcher Vorschriften, wo das steht hab ich vergessen.



    So, jetzt aber ins Museum.






    Von der Hummerfischerei konnten früher viele Helgoländer leben.



    Der "Kolonialpolitiker" Carl Peters war ein brutaler Mörder, intern "Hänge-Peters" genannt. Da er durch Übervorteilen der örtlichen Stammesführer große Teile Tanganjikas in seinen Besitz gebracht hatte ...

    Zitat

    Die Vertragsabschlüsse bestanden darin, dass Peters örtliche Häuptlinge aufsuchte und ihnen – oft nach reichlichem Alkoholgenuss – deutschsprachige Schriftstücke vorlegte, auf die sie dann Kreuze als Unterschrift zeichneten. Darin wurde ihnen Schutz vor Feinden zugesagt, umgekehrt wurden die Rechte der Kolonisationsgesellschaft so beschrieben, dass sie das alleinige und uneingeschränkte Recht, Zölle und Steuern zu erheben, hätten, eine Justiz und Verwaltung einzurichten, bewaffnete Truppen ins Land zu bringen und Siedlern, die „Berge, Flüsse, Seen und Forsten“ zur beliebigen Nutzung zu überlassen. Eine Prüfung, ob die afrikanischen Vertragspartner verstanden, was sie vorgelegt bekamen, oder ob sie überhaupt eine Vollmacht hatten, über die angesprochenen Befugnisse zu verfügen, wurde nicht vorgenommen.

    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Peters



    ... betrachteten ihn rechte Politiker als deutschen Nationalhelden und den Menschen, dem Helgoland seine Zugehörigkeit zum Deutsch Reich verdankte, hatten seine "Erwerbungen" in Afrika doch den Geländetausch 1890 ermöglicht. So bekam er ein Denkmal, das ,bereits 1914 fertiggestellt, in Dar es-Salaam 1918 keine Verwendung mehr bekam, nach einer längeren Irrfahrt 1931 auf Helgoland aufgestellt wurde. Unter dem Trümmerschutt fand man noch die Büste - aber wohin damit ?
    Abgesehen davon, dass das Deutschtum für Helgoland auch erhebliche Nachteile gebracht hatte, v.a. den erwähnten Trümmerhaufen der 1945/1952 von der Insel übrig geblieben war, gab es keinen Grund, diesem Mörder ein Denkmal zu widmen. Einschmelzen wär unhistorisch gewesen, so liegt sein Kopf jetzt auf dem Boden vorm Museum, mit einem entsprechenden Kommentar.

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    Einmal editiert, zuletzt von Grizzly ()

  • Neben Kolonialschurken gibt's vorm Museum noch interessantere Sachen zu sehen.





    Zum Beispiel einiges an Strand- und Bergungsgut,



    einen Strandkarren aus dem Beginn der Bädergeschichte, indem v.a. Damen sich umziehen und dann in schicklichem Badedress sich den Fluten hingeben konnten.



    Diese Bombe (hier ein Blindgänger) war sechs Meter hoch und konnte sich bis zu fünfzehn Meter tief in den Boden bohren. Die Bunkerdecke begann achtzehn Meter unterm Boden - das hätte auch schief gehen können.



    Der Vormittag ist fast zu Ende, der Kurzurlaub auch, irgendwo noch was futtern und das Gepäck aus dem Quartier abholen. Auf Helgoland tröpfelt es, in Hamburg, so höre ich, gibt's Starkregen und Sturm. Davon werde ich nachher auf dem Halunder Jet nichts mitbekommen, der gleitet ruhig über die Wllen und verursacht so wenig Erschütterungen wie etwa ein ICE.


    Vorbei an Kreuzfahrtschiffen,


    Tankern


    und Reparaturschiffen (oder was auch immer),

    ,


    vorbei an der Nordostseekanal-Einfahrt,


    an dem stillgelegten AKW Brünsbüttel


    und am AKW Brokdorf, das noch bis 2022 laufen soll.


    Mit einiger Phantasie sieht man, wie's strahlt - oder hoffentlich au

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  • Sollte ich mal nach Helgoland kommen:
    Jetzt bin ich bestens vorbereitet,
    mit so vielen Details und Hintergrundinformationen, besser als es jeder Reiseführer machen könnte.


    **\'6


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Ich betätige mich ja gern als Geschichtskorrektor und stelle Fragen, was wäre wenn ...
    ... in diesem Fall weitsichtige Briten 1890 den Deal mit Helgoland verweigert hätten ?



    Helgoland hätte, wie später auch, eine Teilautonomie unter Beibehaltung der britischen Oberhoheit bekommen können, ähnlich wie die Åländer, die ihr Schwedisch-Sein leben dürfen, aber zu Finnland gehören. Und auch während des 2. Weltkriegs gemäß einem Abkommen zwischen Finnland und der Sowjetunion neutral blieben.
    Das hätten die Briten alles mit dem deutschen Kaiserreich aushandeln können, was den Insulanern die maßlose Aufrüstung und wahrscheinlich auch die anschliessende Zerstörung erspart hätte. Kann natürlich sein, dass die Insel im 1. oder 2. Weltkrieg von deutscher Seite angegriffen worden wäre - aber wenn beide Seiten bereits vorher eine dauerhafte Demilitarisierung abgesprochen hätten, hätte dieser Pakt vielleicht halten können, womöglich sogar die gesamte politische Großwetterlage entspannt.


    OK, jetzt mit dem Brexit hätte es ein paar Probleme gegeben, aber sicher keine unlösbaren.


    Leider war ich 1890 nicht dabei


    Danach hätte ich wohl bei den Briten Asyl beantragen müssen, weil Hassobjekt Nummer 1 bei allen Deutsch-Besoffenen.

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