Teneriffa - das Sanatorio bei Abona

  • Knapp 20 Kilometer nördlich vom Flughafen Teneriffa-Süd befindet sich der kleine Ort Abades. Diesen Ort gab es vor knapp 100 Jahren noch gar nicht. Die ganze Gegend ist öde. Allerdings verfügt Abades über einen sehr schönen Sandstrand, weshalb vor einigen Jahrzehnten hier eine recht hübsche Feriensiedlung gebaut wurde.


    Zwischen Abades und Abona befindet sich das sogenannte Sanatorio, eine ab 1943 erbaute geschlossene Einrichtung, in der Leprakranke untergebracht und behandelt werden sollten.
    Wir haben das Auto in Abades abgestellt und sind durch ein Trockental rauf zur Kirche des Sanatorio gelaufen.



    Hier der Ort Abades von der Kirche der Leprastation aus gesehen



    Selbst von der nahen Autobahn kann man diese monumentale Kirche erkennen.





    „Lepra wurde erst spät als eine schwere Erkrankung auf der Insel erkannt. Die erste Lepra-Station wurde im Norden der Insel, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebte, errichtet. Die Leichen entsorgte man, bis zum Bau eines Krematoriums, indem man sie in der Nähe von Santa Cruz ins Meer warf. Im Jahr 1943 wurde auf dem Hügel auf Abades ein komplettes Dorf, „Sanatorio de Abona“, als Lepra-Station geplant und angefangen... In dem Dorf befinden sich ein Krankenhaus, ein Krematorium, viele Bungalows, administrative Gebäude mit Meerblick, und eine Kirche im Franco-typischen Stil mit einem großen Kreuz auf der Spitze, welches schon von sehr weit weg zu erkennen ist, insbesondere von der Autobahn aus.


    Mit neuen Behandlungsmethoden wurde auf den Kanarischen Inseln die Lepra fast vollständig ausgerottet, und somit dieses Projekt nie beendet. Bis zu dem Zeitpunkt wurden etwa 11 Millionen Peseten investiert. Heute ähnelt es einer Geisterstadt. Die Lepra-Station wurde zu militärischem Gebiet erklärt und bis zum Jahr 2000 vom 49. Infanterieregiment Teneriffa für die Ausbildung im Häuserkampf genutzt. Im Jahr 2002 wurde das gesamte Areal an italienische Investoren verkauft.“ (aus Wikipedia)


    Etwa zwei Dutzend Häuser mit jeweils 10 Zimmern mit Naßzelle sollten bei Einzelbelegung ca. 250 Patienten aufnehmen.



    So sieht eines dieser Gebäude aus





    Blick auf den Leuchtturm von Poris de Abona



    Es gibt hier weitere Gebäude, deren Zweck sich mir nicht erschließt.


    .


    In diesem Zusammenhang möchte ich noch etwas anderes erwähnen. Francisco Franco, Spaniens Diktator ab 1939 als er der Bürgerkrieg für sich entscheiden konnte, war in den 30er Jahren Generalstabschef des Spanischen Militärs. Die neue Regierung setzte ihn im Februar 1936 ab und gab ihm das Kommando über den relativ unbedeutenden Militärposten der Kanarischen Inseln auf Teneriffa. Hier erfuhr er, daß diese Krankheit auf den Inseln nach wie vor verbreitet war.


    So kam es auch Anfang der 40er Jahre zur Entscheidung zum Bau des Sanatorio, wo Leprakranke aufgrund der Ansteckungsgefahr isoliert vom Rest der Bevölkerung gepflegt werden sollten. Die Entwicklung eines neuen Antibiotikums sorgte dann dafür, daß diese Einrichtung nicht mehr benötigt wurde.


    Heute ist die Krankheit zwar nicht ausgerottet, aber zumindest so behandelbar, daß die Erkrankten geheilt werden können und nicht für jeden als Leprakranke erkennbar sind. Bei uns wurde die Krankheit ja auch „Aussatz“ genannt, weil niemand mit den Erkrankten zu tun haben wollte.


    Jürgen

  • Endlich mal Ruinen, die eine postiv verlaufene Geschichte haben.
    Die Aussichtslage des Sanatorio ist schön- vielleicht findet sich ein Investor , der etwas draus macht?


    Ich habe hier eine pdf Datei gefunden mit einer Abhandlung über die Lepra in Spanien
    http://www.muenster.org/lepramuseum/07s01.pdf
    Sie war demnach nicht nur auf Teneriffa verbreitet -sondern in ganz Spaniern, auch auf Mallorca.
    Nachweisbar wurden seit dem 9. Jahrhundert Leprakranke isoliert.


    Zitat Quelle s.o.
    "Das erste bekannte Lazareto (Leprahospital) entstand im 9. Jahrhundert vor den Toren Barcelonas."


    Erst Ende des letzten Jahrhunderts wurden die letzten Lepraeinrichtungen in Spanien geschlossen.


    Die Lepra hat ihren Schrecken verloren- ist aber nicht verschwunden, auch nicht in Deutschland


    Ein interessantes Rätsel, Jürgen- das wieder einmal zum Weiterforschen anregt.
    Danke


    Gruß,
    Elke

  • hallo Elke,


    ja, das Thema Lepra war für mich bisher etwas abstraktes, was man zwar kennt, was aber eigentlich bei den aktuellen Krankheiten keine Rolle spielt. Lepra und Europa sind für die meisten Menschen Dinge, die vielleicht vor hunderten Jahren mal da waren, aber doch nicht im 20. Jahrhundert.


    In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren die Kanarischen Inseln das Armenhaus Spaniens. Spanien selbst war lange Zeit nicht nur gesellschaftlich und politisch gespalten, sondern eines der ärmsten Länder Europas. Vom einstigen Weltreich war nichts geblieben. Die letzte große Niederlage im Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 brachte den Verlust der Philippinen, Kuba, Puerto Rico und kleinerer Kolonien. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es ständig mehr oder weniger verlustreiche Kriege, vor allem in Nordafrika in die Spanien verwickelt war. Die Kanarischen Inseln hatten auch als Zwischenstation für die Schifffahrt von Europa nach Amerika ausgedient. So fielen sie in einen Dornröschenschlaf. Das Mutterland kümmerte sich um nichts. Die Einwohner waren auf sich selbst gestellt.


    Da der Spanische Bürgerkrieg 1939 zu Ende war und sich die Franco-Diktatur etablierte, lavierte das Land während des Zweiten Weltkrieges sich zwischen den Konfliktparteien durch und trat auch nicht trotz Drängen der Achsenmächte Deutschland und Italien in den Krieg ein. Als den Weltkrieg überlebende pseudo-faschistische Diktatur war das Land nicht nur ein Paria in der westlichen Welt nach 1945 sondern erhielt anders als die vom Krieg zerstörten Staaten einschließlich Deutschlands keinerlei Hilfen im Rahmen des Marshall-Plans.


    Das Land war vom Bürgerkrieg so stark ausgeblutet, daß bis Anfang der 50er Jahre Hungersnöte weit verbreitet waren. Das ist heute kaum mehr bekannt. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, daß 1943 mit dem Bau des Sanatorio begonnen wurde. Wäre Franco 1936 von der damaligen Regierung nicht auf Teneriffa "strafversetzt" worden, wäre dieser nie in Kontakt mit den dortigen Problemen einschließlich der zu diesem Zeitpunkt nicht wie im Rest Europas fast ausgemerzten Krankkeit Lepra gekommen. Glücklicherweise ist der medizinische Fortschritt der Inbetriebnahme des Sanatorio zuvorgekommen. Ob die Verhältnisse dort für die Betroffenen während der zu diesem Zeitpunkt grausamen Diktatur im Sinne der Kranken gewesen wären oder ob diese nur weggesperrt worden wären, ist heute nur zu vermuten.


    Im übrigen gab es auch in Deutschland ein "Sanatorio" für Leprakranke. Wo wollt ihr wissen? Genau da, wo kaum jemand wohnt. Im dünn besiedelten Memelland. Um 1944 wurde es geräumt.


    "1848 wurde im Kreis Memel der erste Leprakranke gemeldet. 1894 wurden es mehr. Auf Anregung von Robert Koch wurde 1898/99 das in Deutschland einzige Lepraheim gebaut. Es lag 2 km südlich von Memel und konnte 16, ab 1909 22 Kranke aufnehmen. Die Zahl der bis zum 30. September 1944 gemeldeten Fälle belief sich auf 42 Männer und 52 Frauen. Die ärztliche Leitung des Heimes und die Behandlung der Kranken war stets dem jeweiligen Kreisarzt (Amtsarzt) als Seuchenspezialist übertragen. Die beiden Krankenschwestern kamen aus dem Königsberger Diakonissen-Mutterhaus der Barmherzigkeit. Im Oktober 1944 wurden die Kranken des Lepraheims unter schwierigsten Umständen nach Königsberg (Preußen) überführt und der Obhut des Diakonissen-Krankenhauses der Barmherzigkeit übergeben. Nur einer der Erkrankten blieb am Leben" (aus Wikipedia)


    Manchmal ist die Geschichte schon seltsam...


    grüsse


    jürgen

  • du fürchtest dich wohl auch vor gar nichts, lieber Jürgen.



    Heute ist die Krankheit zwar nicht ausgerottet, aber zumindest so behandelbar, daß die Erkrankten geheilt werden können und nicht für jeden als Leprakranke erkennbar sind.

    Fährt man z.b. das erste Mal vom Flughafen mit dem Bus oder wie ich mit dem Mietwagen auf der Autobahn Richtung Santa Cruz de Tenerife


    ist man zunächst erstaunt über diesen relativ abweisenden Küstenabschnitt.


    Ich war jetzt schon ein paar Mal in Teneriffa, aber die richtigen Sehenswürdigkeiten auf dieser Insel haben mich abgehalten , mich dort aufzuhalten.


    Aber , dass du uns hier diese für mich völlig unbekannte, (ich wurde auch nie von Einheimischen und Bekannten auf der Insel auf dieses


    Projekt hingewiesen) Station vorgestellt hast, ist schon aller Ehren wert.


    Lieben Gruß
    Helmut

  • Jürgen, danke für diesen Bericht über Teneriffa - das Sanatorio bei Abona.
    Ja Lepra zu bekommen, muss etwas ganz schlimmes in früheren Zeiten gewesen sein.

  • Laut STERN bzw. der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) gab es zwischen 2014 und 2016 in Deutschland sechs Leprafälle, allesamt importiert d.h. nicht hier angesteckt.


    In meinen "Flüchtlingsmedizin"-Fortbildungen, an denen ich inzwischen regelmäßig teilnehme, hab ich darüber noch nix gehört, es spielt wohl keine Rolle, und selbst wenn es mal auftritt, wie vor einem Jahr in Salzburg, kann man entspannt an das Problem herangehen, da nur schwach infektiös und inzwischen gut behandelbar (weniger kompliziert als bei Tbc, mit dessen Erreger die Lepra-Erreger verwandt sind).


    Aus einer Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts geht u.a. hervor, dass die Anzahl der 2000-2015 in Deutschland gemeldeten jährlichen Neuerkrankungung zum einen zwischen 0 und 5 liegen und zum andern ausschliesslich "importiert" d.h. nicht hier entstanden sind. Problematisch ist die Erkrankung in Ländern mit schlechter medizinischer und sozialer/wirtschaftlicher Infrastruktur, v.a. wenn HIV dazu kommt - wobei die Kombination HIV-Lepra weitaus seltener ist als HIV-Tbc.


    Selbst hab ich Lepra-Patienten nur vereinzelt in einem Krankenhaus in Tansania gesehen, in dem ich 1980 als Student ein Praktikum (Famulatur) machte. Wobei die oft publizierten Hautveränderungen im Gesicht und die fehlenden Finger/Zehenglieder selten sind, und ich diese Patienten ohne Information des mich anleitenden Kollegen gar nicht als Lepra-infiziert erkannt hätte. Sie lagen auch im großen Krankensaal auf der Normalstation, d.h. waren nicht isoliert, obwohl das in diesem Krankenhaus möglich gewesen wäre.

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

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