Neuf-Brisach, eine barocke Festungsstadt im Elsaß

  • Nachdem dieses Rätsel gelöst war, versprach ich einen Bericht über die Festungsstadt Neuf-Brisach im Elsaß. Hier ist er:



    1990, auf der Rückfahrt aus der Schweiz nach Aachen auf der französischen Rheinseite, sah ich an einem Rasthaus-Kiosk eineAnsichts-
    karte mit der Luftaufnahme einer befestigten barocken "Idealstadt". Gezeichnete Grundrisse solcher Anlagen kannte ich, aber daß so
    etwas noch irgendwo unverändert erhalten sein sollte, konnte ich kaum glauben. (Von Palmanova wußte ich nichts.)


    Ich hatte Mühe, de Lage von "Neuf-Brisach (Alsace)" zu ermitteln: Mein Elsaß-Reiseführer erwähnte es nicht; ein kleiner, nicht als
    sehenswert markierter Ort war auf der Straßenkarte schwer zu finden, und Internet-Suchmaschinen waren noch Zukunftsmusik.


    Als ich Neuf-Brisach zum ersten Mal besuchte, parkte ich am Eingang zur Stadt und ging auf dem dort abzweigenden Weg in den Festungs-
    graben. Ich habe mich in diesen Weg um die Stadt herum verliebt und bin seither immer wieder dort gewesen, zuletzt vor vier Jahren:
    Da wohnte ich zwei Wochen im wenige Kilometer entfernten Breisach am Rhein und war fast jeden Tag mal in Neuf-Brisach, und sei es
    nur für einen kurzen Abendspaziergang.





    Die Festungsmauern im ersten, dem stadtnächsten Graben sind von Bewuchs freigehalten; weiter außen wird es etwas wüster - schön ist beides.






    Nun wurde Neuf-Brisach ja nicht der schönen Spazierwege gebaut. Nachdem Frankreich das befestigte Breisach östlich des Rheins verloren
    hatte, beauftragte König Ludwig XIV. mit dem Bau einer Festung auf der gegenüberliegenden, der elsässischen Seite den berühmten
    Sébastien Le Prestre de Vauban, auf den Jürgen schon hingewiesen hat, nachdem er hier Vaubans Turm in Camaret-sur-Mer abbildete.


    Neuf-Brisach war die letzte Anlage, die der schon 64jährige Vauban plante und deren Bau er ab 1697 leitete. Hier, in der Ebene, konnte er
    – was sonst nie möglich war – den Idealgrundriß einer barocken Festungsstadt verwirklichen, der sonst jeweils geländeabhängig abgewandelt
    werden mußte.


    Von den ursprünglich vier Festungstoren sind zwei erhalten geblieben. Hätte ich gewußt, daß ich mal Fotos für einen Bericht über
    Neuf-Brisach brauchen würde, hätte ich sie fotografiert. So habe ich nur diese Ansicht der Brücke über den Graben.




    Diese Jahreszahl gibt einen Hinweis darauf, daß die Festung "in Schuß" gehalten und stellenweise ausgebessert werden mußte. Tatsächlich
    wurde sie 1870 belagert, wobei die Stadt erhebliche Zerstörungen erlitt. An einer der heutigen Zufahrten finden sich Betonummantelungen,
    die so vor sich hinbröckeln.





    Außerhalb der Stadt sind noch Reste von dem Kanal erhalten, den Vauban anlegen ließ, um die für den Bau nötigen Steine aus den Vogesen
    heranzutransportieren.




    Die achteckige Stadt ist in Häuserblöcke von 50 x 50 m eingeteit; der ehemalige Exerzierplatz – Place d’Armes Général de Gaulle – nimmt
    den Raum von vier Blöcken ein. Er wirkt heute so riesig und leer, daß man kaum wagt, ihn zu betreten oder gar darauf zu parken – obwohl
    das niemand verbietet.




    Die Kirche Saint-Louis wurde erst 1732-36 erbaut.




    Im Belforter Tor, das von der Stadt aus gar nicht wie ein Tor aussieht, ist heute das Musée Vauban untergebracht.




    Es gibt nur schnurgerade Reihenhausstraßen: hier eine mit ehemaligen Kasernen und eine mit Wohnhäusern ...





    ... und gelegentlich mal ein Haus, bei dem man sich fragt, welche Funktion es wohl früher gehabt hat.




    Nur einmal bin ich auf die Idee gekommen, mich in dem Streifen zwischen der städtischen Bebauung und dem Inneren der Festungsmauer
    umzusehen. Da findet man alles, von gähnender Leere über verwilderte Abstellplätze bis zu (sehr vereinzelten) schönen privaten Anlagen.








    Neuf-Brisach ist heute eine Kleinstadt, gepflegt und bewohnt von knapp 2.000 Einwohnern. Aber ich habe noch nie eine so leere Stadt
    gesehen. Wer hier wohnt, arbeitet außerhalb – meist wohl in Deutschland. Die Kinder sind in der Ganztagsschule. Es gibt noch ein paar
    kleine Läden, aber in den Nachbarorten stehen die großen Supermärkte, also ...


    Touristen habe ich schon gar nicht gesehen – auch nicht 2012, als die Stadt schon zum UNESCO-Welterbe gehörte und man ihr daher
    einen gewissen Bekanntheitsgrad zugetraut hätte. Aber Elsaß-Besucher suchen in ihrem Urlaubsland vor allem die hübschen Weinorte
    und natürlich Straßburg, nicht aber eine so spröde Sehenswürdigkeit wie die alte Festungsstadt. Und wer die Rheinbrücke zwischen
    Breisach und Neuf-Brisach überquert, braust sowieso durch bis Colmar.

  • Aber Elsaß-Besucher suchen in ihrem Urlaubsland vor allem die hübschen Weinorte
    und natürlich Straßburg, nicht aber eine so spröde Sehenswürdigkeit wie die alte Festungsstadt.

    Liebe Waltraud,


    da hast du mit einer trefflichen Aussage den Nagel auf den Kopf getroffen.


    Und mich daher verwundert, dass es zum einen eine höchst werbewirksame Ernennung zum UNESCOWelterbe gegeben hat, und zum anderen vielleicht nicht mehr allzuviel wissen, dass Ludwig der XIV , also der Sonnenkönig ,den Bau befahl.


    Für beide Sehenswürdigkeiten normalerweise ein unfehlbares Muss .


    lieben Gruß
    Helmut

  • Neuf-Brisach, muss früher eine gewaltige Befestigung gewesen sein.

    Lieber Josef, sie war früher nicht anders als heute, wenn man von ein paar Kleinigkeiten wie den zwei nicht mehr vorhandenen Stadttoren absieht. Das Problem ist, daß so eine Festung als Ganzes halt nur aus der Luft zu überschauen ist. Aus der Ferne sollte sie ja (für den anrückenden Feind) fast unsichtbar sein. Die Größe ermißt man eigentlich nur daran, wie lange man braucht, um sie zu umrunden oder wie lange man von einem Tor quer durch die Stadt zum gegenüberliegenden braucht (ich habe nie auf die Uhr geschaut). Im Grunde muß man immer das Luftbild bzw. den Reißbrettentwurf im Kopf behalten, denn was man sieht, ist vergleichsweise unspektakulär.


    Und lieber Helmut, daß weder Welterbe noch Vauban noch Ludwig XIV. am (Un-)Bekanntheitsgrad von Neuf-Brisach viel ändern, siehst du beispielsweise, wenn du die Website anschaust, auf der das Elsaß für sich selbst wirbt. Da kommt Neuf-Brisach zwar vor - aber finde es mal! Ich bin sicher, du wirst einige Zeit brauchen ... :-? Na, mir kann's recht sein - so kann ich auch das nächste Mal in den Gräben spazierengehen, ohne alle paar Augenblicke auf eine Reisegruppe zu treffen. Andererseits wäre dann vielleicht das Museum zur angeblichen Öffnungszeit wirklich mal geöffnet.

  • Neuf Bisach macht auf mich einen seltsamen Eindruck.
    Ein Ort für Besucher, die Ruhe suchen und den Charme eines Ortes mit etwas vergessener Vergangenheit.
    Ein UNESCO Titel allein ändert daran nichts.


    Das Besondere von Neuf Brisach kann man eigentlich nur aus der Luft erkennen. Du schreibst selbst


    im Grunde muß man immer das Luftbild bzw. den Reißbrettentwurf im Kopf behalten, denn was man sieht, ist vergleichsweise unspektakulär.


    Aber macht die Stadt daraus etwas?


    Wer in die Stadt fährt , in den Festungsgräben und zwischen den nicht sehr einladend wirkenden Kasernen und Reihenwohnhäusern herumspaziert, muss Geschichtsinteresse haben, um daran Gefallen zu finden ( es sei denn, er ist Liebhaber von verlassen wirkenden Orten, in denen kaum Leben zu erkennen ist)


    Will die Stadt wirklich touristisch attraktiv werden? Das müsste man nicht die Elsass- Reiseführer fragen, sondern die Bewohner der Stadt selbst.


    Du hast Palmanova erwähnt.
    Jürgen hat uns diese befestigte Stadt vorgestellt.
    Obwohl Palmanova doch einiges mehr zu bieten hat, ist diese Stadt auch nicht unbedingt Touristenmagnet.


    Vielleicht gut so -
    meine Neugier auf Neuf Brisach ist geweckt.
    Danke, Waltraud!


    Viele Grüße,
    Elke

  • Ja, der alte Vauban, was der alles gebaut hat. Beim Besuch der Zitadelle von Besancon ist er mir das erste mal bewusst über den Weg gelaufen. Mittlerweile wundere ich mich nicht mehr, wenn sein Name bei der Besichtigung einer Festungsanlage in Frankreich auftaucht.
    Die Festungsstadt Neuf-Brisach hatte ich bislang noch nicht auf meiner To-do-Liste. Danke für die Vorstellung dieses Bauwerks.

  • Hallo Bernd,


    ja, er hat eine große Zahl von Festungen gebaut oder modernisiert. Die Zitadelle von Besançon kenne ich auch, außerdem Longwy in Lothringen und das heute deutsche Saarlouis (eine Stadt, bei der man von der Befestigung nur noch Reste sieht – dafür hat die Stadt (35.000 EW) heute einen grandiosen Parkplatz (den ehemaligen Exerzierplatz), und die Anlage ist durch die regelmäßigen Quadrate deutlich zu erkennen). Neuf-Brisach finde ich lohnend, weil es so unverändert erhalten ist und so seltsam vergessen in der Gegend herumliegt.

  • Neuf Bisach macht auf mich einen seltsamen Eindruck.
    Ein Ort für Besucher, die Ruhe suchen und den Charme eines Ortes mit etwas vergessener Vergangenheit.

    Nicht nur auf dich. Neuf-Brisach wirkt wie von aller Welt vergessen. In den Gräben habe ich mich wohlgefühlt, aber das Städtchen ist beklemmend. Zumindest beim ersten Mal - mit der Zeit konnte ich ihm schon einen gewissen Reiz abgewinnen.


    Aber macht die Stadt daraus etwas?
    Will die Stadt wirklich touristisch attraktiv werden? Das müsste man nicht die Elsass- Reiseführer fragen, sondern die Bewohner der Stadt selbst.

    Eine Stadt, die heute wirklich nur noch Schlafstadt ist, hätte wohl kaum die Mittel, etwas zu tun, um Touristen anzuziehen. Das wäre eine Aufgabe für den Kreis, für das Department oder wer sonst dafür zuständig ist. Ich fürchte, die Bewohner selbst würden sagen: Was sollen wir mit Touristen anfangen, wir sind tagsüber ja sowieso nicht da ...

  • Leider kommst du mit deinem Bericht wenige Monate zu spät für mich. ;) Ein Besuch Neuf-Brisach wäre lohnenswert gewesen.

    Aber Elsaß-Besucher suchen in ihrem Urlaubsland vor allem die hübschen Weinorte

    Damit erinnerst du mich daran, dass ich ja auch noch etwas in petto habe.


    Herzlichen Dank,
    Klaus

  • ...Und mich daher verwundert, dass es zum einen eine höchst werbewirksame Ernennung zum UNESCOWelterbe gegeben hat, und zum anderen vielleicht nicht mehr allzuviel wissen, dass Ludwig der XIV , also der Sonnenkönig ,den Bau befahl.

    hallo Waltraud,


    danke für deinen Bericht von Neuf-Brisach. Seltsamerweise kenne ich Breisach seit unserer Klassenfahrt Ende der 70er Jahre, die uns auch nach Colmar geführt hat, nicht jedoch diese nebenan liegende Festungsstadt. Der Erhaltungszustand ist wirklich sehr gut. Gebaut für die Ewigkeit, wobei man hier folgendes bedenken sollte:


    Ludwig XIV. war ja nicht nur der Sonnenkönig und Weiberheld, sondern ein Machtpolitiker, der ständig Kriege führte. Unter anderem war er es, der die eigentlich dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zugehörigen Gebiete Elsaß und Lothringen mit militärischer Gewalt annektierte. Um diese Besitztümer zu sichern, wurden solche Festungen errichtet.


    Sollte ich mal wieder in die Gegend kommen, muß ich mir die von dir vorgestellten "alten Steine" unbedingt ansehen.


    grüsse


    jürgen

  • Seltsamerweise kenne ich Breisach seit unserer Klassenfahrt Ende der 70er Jahre, die uns auch nach Colmar geführt hat, nicht jedoch diese nebenan liegende Festungsstadt.

    Ja, Jürgen, so isses – keiner besucht Neuf-Brisach. Dabei seid ihr von Breisach nach Colmar unmittelbar an den äußersten Festungsecken vorbeigefahren. Aber die friedensbewegten Jahre um 1980 waren der Besichtigung von Festungen auch nicht günstig. Hätte ich damals schon von dieser Stadt gewußt und womöglich den Wunsch geäußert, sie mal zu sehen, hätte man mich wahrscheinlich in allerbester Absicht erschlagen. :roll:

    ... die von dir vorgestellten "alten Steine" ...

    In den Festungsgräben sah ich dieses Schild:


    "... Besucher, die ihr die alten Steine liebt,
    ihr seid nicht die einzigen.
    Unsere Freundin, die Schleiereule, schätzt sie auch ..."


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