Surdesti > Besuch einer Familie

  • Als wir im Jahr 2002 Rumänien besuchten und gerade von der Besichtigung der
    Holzkirche von Șurdești kamen




    und wieder Richtung Baia Mare fuhren, bin ich bei einem Buswartehäuschen stehengeblieben
    um es zu fotografieren.



    Da sich daneben ein Haus befand, grüßte ich die dort sitzenden älteren Männer und sofort
    wurden wir eingeladen mit ihnen einen Schnaps zu trinken. Schnaps ist immer in ausreichender
    Menge vorhanden auch wenn es sonst kaum etwas gibt.



    So blieben wir etliche Stunden sitzen und die Hausfrau erzählte uns, sie sei Spanierin und
    während des zweiten Weltkrieges nach Rumänien gekommen, sich dort verliebt habe
    und dageblieben sei. Gleichzeitig erzählte sie uns aber auch, dass sie ihr ganzes Leben
    fürchterliches Heimweh nach Spanien hatte und begann auch sofort zu weinen.
    Sie war kein einziges Mal mehr in ihrer Heimat. War ja auch nicht daran zu denken, denn das
    Geld reichte ja kaum für eine Fahrt ins nahe Baia Mare. Deutsch konnte sie noch ein wenig,
    da sie ja im zweiten Weltkrieg für die deutsche Wehrmacht als Krankenschwester arbeitete.
    Sie lebte so richtig auf als wir mit Ihr Fotos machten und uns Ihre Erzählungen anhörten.


    Natürlich mussten wir auch das Brunnenwasser kosten, welches angeblich so rein und gesund sei.



    Als wir etliche Jahre später wieder nach Șurdești fuhren, beschlossen wir die Familie wieder zu besuchen.
    Wir hatten Fotos anfertigen lassen, einige Kilo Bohnenkaffee und anderes im Gebäck
    und freuten uns schon sehr auf ein Wiedersehen mit der Familie.
    Das Buswartehäuschen stand noch wie vor ein paar Jahren.



    Als wir zum Haus kamen, fanden wir auch alles gleich vor. Sogar die Kuh war noch die Gleiche.




    Aber es war alles so unheimlich ruhig und wir hatten eigentlich schon ein ungutes Gefühl.
    Nach etlichen Rufen kam eine zirka 50 jährige Frau aus dem Haus.
    Wir zeigten ihr die Fotos und fragten nach den Personen. Da fing die Frau zu weinen an und
    erklärte uns, dass die Personen auf den Fotos ihre Eltern sind, die bereits gestorben seien.
    Sie sprach gebrochen Deutsch. Wahrscheinlich hatte sie es von ihrer Mutter gelernt.
    Wir wurden aber sofort gebeten mit ihr ins Haus zu kommen. Die Tochter erzählte uns auch, dass es halt sehr
    schwer sei, wenn man hier krank werde und kein Geld für Behandlungen und Medikamente vorhanden sei.
    Der Vater hatte irgendeinen Tumor bekommen und an was die Mutter gestorben war konnte ich leider
    nicht erfahren, nur zeigte die Tochter auf den Bauch. Jedenfalls bekam ich mit, im Krankenhaus hätte
    sich kaum jemand um die Eltern gekümmert und zu Hause habe das Geld einfach nicht für einen Arzt
    und Medikamente gereicht.


    Sie bat uns mit ins Haus zu kommen und wir wurden sofort mit saurer Milch und Topfen bewirtet.





    So saßen wir lange Zeit bei Ihr in der Küche.



    Die Tochter wollte unbedingt, dass wir eine Woche bei ihr bleiben sollten von hier aus die Gegend
    erkunden. Der Raum und das Bett wo die Eltern geschlafen hatten stehe leer und wir könnten bleiben
    solange wir möchten. Die Eltern hatten ihr ganzes Leben in diesem einem Bett mit Stroh geschlafen.
    Da wir das doch nicht wollten, lehnten wir die freundliche Einladung ab. Sie konnte nicht verstehen wie wir
    so ein Angebot ausschlagen konnten und war direkt merklich enttäuscht. Aber wir erklärten ihr,
    wir würden schon in Baia Mare in einem Hotel wohnen und könnten dadurch nicht bleiben.


    So begleitete sie uns noch zur Kirche und wir verabschiedeten uns mit dem Versprechen bald wieder zu kommen.
    Der Abschied viel uns auch sichtlich schwer. Leider sind wir seither nicht mehr dazugekommen sie zu besuchen.



    Auch am Parkplatz eines Klosters als wir stehen geblieben waren, trat eine alte Frau an uns heran und
    zeigte uns eine Schachtel Schmerzmittel und zeigte an Ihre Hüfte. Das wäre aber nicht
    notwendig gewesen, denn ich hatte schon gesehen wie schwer sie sich beim Gehen tat.
    Natürlich gab ich Ihr entsprechen Geld, damit sie sich Medikamente kaufen konnte.


    Da ich auch immer, wenn wir unterwegs sind Schmerzmittel und Rheumamittel in
    ausreichender Menge mitnehme suchte ich auch diese Medikamente und gab sie der Frau.
    Kann die Freude der Frau nicht wiedergeben. Spreche oft mit Erna, dass wir uns nicht
    vorstellen können, wie gut wir im Westen wirklich leben. Auch für diese Frau war eine
    Hüftoperation unmöglich bezahlbar.

  • hallo Josef,


    so eine Geschichte regt einen schon zum Nachdenken an. Gerade mal eine Tagesreise von uns entfernt solche Armut.


    Wenn man das Land insgesamt betrachtet, muß man auch die vergangenen Jahrzehnte sehen. Während der kommunistischen Diktatur wurden alle Mittel zum einen in einen aufgeblähten Militärapparat und in die Protzbauten der Ceausescu-Zeit in Bukarest gesteckt. Für die eigentliche Entwicklung des Landes blieb nichts mehr übrig. Die vergangenen 25 Jahre nach dem Sturz der Diktatur wurden durch interne Machtkämpfe der Politiker und Klüngelwirtschaft vergeudet. Rumänien wird meiner Einschätzung nach den Rückstand zu Westeuropa nicht einmal in zwei Generationen aufgeholt haben. Da ist es kein Wunder, daß diejenigen die können nur noch weg wollen aus dem Land.


    grüsse


    jürgen

  • Das ist eine erschütternde Geschichte, Josef!
    Ich habe Siebenbürgen zwar erst zwei Mal bereist, aber die Armut der Landbevölkerung war überall sichtbar.
    Wer da noch einen Acker hat den er bebauen kann, eine Ziege oder gar eine Kuh im Stall stehen hat, der ist der Einäugige unter den Blinden.
    Ohne ein paar Hühner und Karnickel gehts nicht.
    Aber ich wurde - wie Du und Erna auch - nirgendwo so gastfreundlich aufgenommen wie bei diesen armen Leuten.
    Wenn man ihr Vertrauen gewonnen hat, dann räumen sie die Speisekammer aus um dich mit dem zu bewirten, was sie für noch schlechtere Zeiten aufgehoben hatten.
    In den größeren Städten findet man das nicht mehr, meine ich.


    Diesen Armen macht man von Seiten der EU das Leben noch schwerer mit ihren manchmal hirnrissigen Verordnungen.
    Da muss der Stall der Kuh bestimmte Abmessungen haben, sonst darf man sie nicht mehr halten und, und, und...


    Leider bin ich in diesem Fall der gleichen Meinung wie Jürgen.
    Es wird wohl noch zwei oder drei Generationen brauchen bis...
    Ich höre lieber jetzt auf, denn es wird zu politisch.


    Ich kann es Jedem empfehlen dieses Land zu bereisen!



    Liebe Grüße von waldi :174:

  • :wink:


    Eine interessante und berührende Geschichte, die Du uns hier nahebringst, Josef.
    Manche Fotos, wie z.B. dieser Herd erinnert mich an meine frühe Kindheit. So ähnlich sah es auch bei meinen Großeltern auf dem Land aus.


    Auch zu Anfang dieses Foto aus 2002: Da fotografierst Du das Buswartehäuschen und Ihr werdet gleich auf einen Schnaps eingeladen. Soviel Herzlichkeit, die da von diesen Menschen rüber kommt.


    Danke für diesen Fotobericht.


    Gruß
    Jofina

    El mundo es un libro, y quienes no viajan leen sólo una página. (Aurelio Agustín)
    Gruß Jofina

  • Da bleibt eigentlich nur, sich den bisherigen Beiträgen anzuschlließen.


    Lieber Josef,


    es zerreisst einen das Herz, und das ist bei Gott keine Übertreibung, aber dieser Bericht von dir , reiht sich mühelos in deine bisherig so eindrucksvoll geschilderten Erfahrungen in diesen früheren "Ostblock Ländern" ein.


    Es macht wütend , muss man erkennen, dass die heutigen tragischen Hintergrund Ereignisse die verantwortlichen Politiker nichts , aber auch gar nichts lehren,


    eine für das jeweilige Volk tragfähige , soziale humane Politik zu betreiben.


    Man muss auch erkennen, dass gemessen an der Armut und der dadurch nicht verblassten Menschlichkeit, die sich hier z.B. auch wieder in einer geradezu baff machenden ,erstaunenden Gastfreundschaft äußert, eine heutzutage in unserem Bereich völlig veränderte, abdriftende Gesellschaft viele soziale Werte verloren hat.


    Unabhängig davon, möchte ich noch ins Detail gehen , um zu bekunden , dass ich mich für meinen Teil durchaus gerechtfertigt fühle, solche


    Zeilen zu schreiben.


    Auch ich kann mich noch erinnern, wenn 5 Personen in zwei Räumen , übrigens noch mit dem gleichen Holzofen, wie von dir gezeigt, erlebt zu haben.
    Und doch haben meine Eltern, die den Krieg gerade hinter sich gelassen haben, für uns Kinder alles gegeben, war mir heute noch wie ein Traum vorkommt,
    mit welcher letzten Kraft und Ausdauer man uns auf unsere Zukunft vorbereitet hat.


    Bevor ich vom Thema abkomme , danke ich dir , lieber Josef


    für einen weiteren deiner so aussagekräftigen und tief schürfenden Beiträge.


    Lieben Gruß
    Helmut

  • @ Jürgen


    Danke, Du hast es genau auf den Punkt gebracht, wie das gekommen ist.


    @ Waldi


    Wie Du schreibst, nur auf dem Land können vor allem die älteren Menschen
    mit einer kleinen Landwirtschaft über die Runden kommen.
    Ja, man kann sich das nicht vorstellen, die Menschen am Land würden einem
    das letzte geben.


    Genau die EU schreibt alles vor und diese Vorschriften können die armen Menschen
    die eh nur womöglich nur eine Kuh haben, nicht erfüllen.
    Sogar das schlachten der Schweine zu Hause wurde ihnen verboten, da die
    Geräte und der Raum für die Aufarbeitung nicht den Vorschriften entsprechen.
    Muss alles aus Alu sein und nicht aus Holz. Ist ja alles Irrsinn, wo eh fast alles für den
    Hausverbrauch ist. Die letzten 1000 Jahre wurde alles auf Holz zerkleinert.


    @ Jofina


    Ja, das ist keine Seltenheit am Land, dass man eingeladen wird.
    Was mich noch immer beschäftigt, dass ich diese 2 Menschen nicht
    mehr lebend angetroffen habe.
    Glaube die Frau hätte sich bei dem guten Bohnenkaffee aufrichtig gefreut.
    Bin überzeugt, die konnte sich nie einen guten Kaffee leisten.


    @ Helmut


    Danke, habe so ein Lob nicht verdient. Aber ich versuche oder bemühe mich
    alles so zu berichten wie ich es erlebe.
    Ja Helmut, wir haben wie viele von uns die unmittelbare Nachkriegszeit noch
    erlebt und es werden Erinnerungen wach, wenn man so etwas sieht.


    Ich kann es schwer rüberbringen, aber in mir wird etwas wach, wenn ich vor allem
    in Maramureş, (Grenze zur Ukraine) mit al dem in Kontakt komme was wir in den 50iger
    Jahren auf dem Lande erlebt haben. Die Ochsen und Pferdefuhrwerke, die Schweine
    fei laufend rund um Haus (bei uns war das der Anger) mit Holzzaun.
    Gehe auch wenn sich die Gelegenheit bietet in den Stall. Oder wenn ich die primitiven
    Schneidemaschinen zum Futterschneiden sehe, die noch voll in Betrieb sind.
    Muss aufhören sonst komme ich noch ins Träumen.


  • Sogar das schlachten der Schweine zu Hause wurde ihnen verboten, da die
    Geräte und der Raum für die Aufarbeitung nicht den Vorschriften entsprechen.
    Muss alles aus Alu sein und nicht aus Holz. Ist ja alles Irrsinn, wo eh fast alles für den
    Hausverbrauch ist. Die letzten 1000 Jahre wurde alles auf Holz zerkleinert.


    Genau das meinte ich Josef!
    Man zerstört in Jahrhunderten Gewachsenes und die Lebensmöglichkeiten dieser armen Menschen.
    In Brüssel sitzen Einige für die man beten sollte: Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!


    Danke, habe so ein Lob nicht verdient.


    Hier muss ich Dir widersprechen, Josef!
    Helmut hat zu 100% recht mit seinem Lob!


    Aber ich versuche oder bemühe mich
    alles so zu berichten wie ich es erlebe...
    Ich kann es schwer rüberbringen


    Das stimmt auch nicht!
    Man kann zwischen den Zeilen lesen wie sehr Dich diese Erlebnisse mit den Menschen bewegen.
    Das macht Deine Erzählungen so interessant.
    Man fühlt beim Lesen mit.
    Mach weiter so, Josef!



    wünscht sich waldi :174:

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