Hamburg bleibt bunt

  • Vorspann:
    Neonazis aus der ganzen BRD wollten gestern in Hamburg einen "Tag der Patrioten" begehen, das bekommen sie durch alle Instanzen verboten. Eine große Gegendemo gibt's trotzdem, und Grizzly natürlich dabei.


    Hachmannplatz (am Hauptbahnhof) 10:30:
    Tausende von Demonstranten sammeln sich, dazwischen locker kleine Polizeitrupps aus Hamburg, Bundespolizei und interessanterweise auch Bayern (München). Noch ist die Stimmung locker. Die Polizei hat ein "Kommunikationsteam" mit blauen Westen aufgestellt, ich frage sie, ob das jetzt sowas wird wie Blauhelme ? "Ja, so ähnlich".




    Die Hotelgäste (oder ist es Polizei ?) haben eine hervorragende Aussicht aufs Geschehen.


    Anzumerken ist noch, dass auch die Theater ordentlich gegen die Nazis plakatiert haben,



    wie hier das Schauspielhaus,


    und das Ohnsorg-Theater, standesgemäß, in der Landessprache.


    Jetzt geht's langsam los, Richtung Rathaus.






    Dort darf man anscheinend nicht hin,


    sonst entsendet die Hauptstadt Wasserwerfer mit futuristischem Outfit



    und grüne Räumfahrzeuge - wie die funktionieren, weiss ich nicht,


    hab sie noch nie in Aktion gesehen - vielleicht besser so.


    Am Rathausmarkt und am Jungfernstieg gibt's Kundgebungen und ohrenbetäubende Musikbeiträge.




    Kleine Polizeitrupps, diesmal aus Niedersachsen, stehen locker herum


    und ziehen plötzlich Richtung Hauptbahnhof ab, als die Nachricht kommt, es wären Nazis gesichtet worden,
    auf dem Weg per Bahn Richtung Bremen.


    Viele Demonstranten ziehen - ohne Formation - hinterher, ich auch.


    Ich hab mir inzwischen eins von den Fähnchen "Hamurg bekennt Farbe" angesteckt.



    An den Eingängen zum Hauptbahnhof stehen inzwischen Polizeitrupps, zunächst kommt man noch durch. Ich geh hier- und dorthin, einfach zu gucken was los ist (Irgendwo auf den Gleisen haben Nazis Gegendemonstranten überfallen, während aus deren Reihen Steine auf den Zug geflogen sind, in dem die Nazis saßen - hätte jetzt auch nicht sein müssen). Aber anstatt die Naziverbrecher mit vorgehaltener Waffe aus dem Zug zu holen und zu verhaften, hat die Polizei sie in eine S-Bahn nach Harburg gesetzt, wo sie friedlich weiter hetzen dürfen (oder nach Bremen fahren, die Richtung stimmt ja) und das geht natürlich gar nicht - das bekomme ich aber selber erst abends in den Nachrichten mit.


    Vom Nordsteg Richtung Hachmannplatz kommt man nicht mehr durch, dort steht eine Polizeikette mit Hunden. Dafür versucht sich eine ältere amerikanische Touristin mit einer der Beamtinnen zu verständigen, die selber hilflos ist, weil sie von ihrem Posten nicht weg darf. Schliesslich bittet die mich, nach dem ICE Richtung Berlin zu sehen, wann der fährt ...


    d.h. es ist noch Zeit, aktuell fährt eh nix. Die 45minütige Verspätung wird bald auf 70 Minuten erweitert.


    Das Problem:
    Der Ehemann der Touristin, beide frisch aus Minnesota eingeflogen und hier völlig fremd, steht irgendwo draussen vorm Bahnhof und wird nicht duch die Polizeikette gelassen. Eine Kommunikation der einzelnen Polizeiketten untereinander ist nicht möglich, wie auch - hier Bundespolizei, da Niedersachsen, Hamburger, Hessen, Bayern, MeckPomm, alles durcheinander. Das Ehepaar hat SMS-Kontakt, Sprachverständigung geht nicht, da Umgebung zu laut.
    Ich verspreche, rauszugehen und den Mann zu suchen, lasse mir Namen und Personenbeschreibung geben - älterer Herr im grüner Regenjacke - tippe meinerseits meinen Namen in das Mobilgerät der Touristin und gehe, mit meinem bunten Fähnchen wedelnd wie ein Touristenführer, nach draussen. Erkläre an jeder Polizeikette, was ich will, und sie lassen mich durch.
    Irgendwo vorm Bahnhof läuft mir der per SMS inzwischen informierte Mann in die Arme. Ich lotse ihn ihn durch die Absperrungen zu seiner Frau und bringe die glücklich wiedervereinigte Familie noch zum Berliner Zug - irgendwann im Lauf des Nachmittags ist der dann wohl abgefahren.


    P.S.
    Neugierig wie ich nun mal bin, setze ich mich abends an meinen Compi und google den Mann, finde ihn auch schnell - es ist ein Kollege.


    Was die Demo betrifft, so stehen die Leute noch etwa zwei Stunden lang bei Rap- und Rockmusik vorm Hauptbahnhof und verlaufen sich dann langsam. Die Randale im Schanzenviertel bekomme ich nicht mehr mit - für so einen Scheiss bin ich zu alt.

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

  • :)


    Dann kann man den Flüchtlingen, die nach Hamburg kommen, nur wünschen, dass sich viele dieser Demogänger (Hamburg bleibt bunt) auch an der Integration beteiligen: beim Erlernen der deutschen Sprache, bei den Behördengängen, bei der Jobsuche, auch mit einem deutschen Bekanntenkreis..... Denn nur so kann es mit dem „Bunt-Sein“ klappen. Anderenfalls hätte man eine Parallelgesellschaft neben der anderen.


    Als seinerzeit viele Bosnier (auch Muslime) nach Deutschland kamen, (ebenfalls in meinen damaligen Heimatort), haben wir (gemeinsam mit einem anderen befreundeten Paar), auch einer bosnischen Familie mit Kind beim Zurechtfinden geholfen. Sie saßen jedoch jahrelang auf gepackten Koffern, immer wieder drohte die Ausweisung, obwohl der Mann schnell Arbeit gefunden hatte. Aber dann hat es doch geklappt mit dem Bleiberecht und inzwischen haben sie sich ein Häuschen unter Deutschen gebaut. So funktioniert Integration bestens. :)


    Gruß
    Jofina

    El mundo es un libro, y quienes no viajan leen sólo una página. (Aurelio Agustín)
    Gruß Jofina

  • Ich habe in den Nachrichten diese Demos und die Ausschreitungen verfolgt.
    Und seltsam- ich hatte die gleichen Gedanken wie Du , Jofina!


    Zitat


    Dann kann man den Flüchtlingen, die nach Hamburg kommen, nur wünschen, dass sich viele dieser Demogänger (Hamburg bleibt bunt) auch an der Integration beteiligen:


    Ein besseres Signal gegen Nazis gibt es nicht als aktive Hilfe und Engagemant für die Flüchtlinge. Steinewerfen ist zu wenig.


    @Grizzly- wirst Du noch Kontakt zu Deinem Berufskollegen aus Minnesota haben?
    Ich kann mir so gut vorstellen, wie erleichtert die beiden waren, dass Du ihnen geholfen hast.


    Liebe Grüße,
    Elke

  • Zitat

    @Grizzly- wirst Du noch Kontakt zu Deinem Berufskollegen aus Minnesota haben?


    Ich hab's versucht - eine Emailadresse hab ich nicht gefunden. Und die Fax-Nummer, wenn sie stimmt, wär erst nach seiner Rückkehr hilfreich. Hingefaxt hab ich schon mal.

    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie Dir an (Kurt Tucholsky)

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