Unsere Bundeskanzlerin hat gesagt: Wir schaffen das ! Nun bin ich jetzt nicht unbedingt einer, der auf Angie hört, aber ich finde, da hat sie mal Recht. Und ich will, Angie hin oder her, meinen Beitrag dazu leisten, zumal ich in dieser Angelegenheit nicht unerfahren bin.
Seit gestern arbeite ich sporadisch (ca. 2x wöchentlich) und ehrenamtlich als nunmehr berenteter Arzt in einem Sanitätszelt am Hauptbahnhof für durchreisende Flüchtlinge tätig.
Das Betreuungswesen für ankommende Flüchtlinge läuft in Hamburg (und wohl nicht nur dort) einigermaßen chaotisch, weil die offiziellen Stellen über ihre eigenen Füße d.h. Bürokratievorhaben stolpern, und somit alles viel länger dauert, als es müsste. Z.B. wollte der zuständige Gesundheitsamtsarzt (den sie auch aus der Rente zurückgeholt haben) mir erst mal unbedingt einen Honorarvertrag aufdrücken, obwohl ich keine Kohle dafür will - erst das Argument meines Steuerberaters, dass selbständige Einkünfte für mich jetzt "steuerschädlich" seien (die umständliche Begründung erspare ich mir), liessen ihn davon Abstand nehmen. jetzt stehe ich auf einem Dienstplan für das Sanitätszelt vorm Hauptbahnhof, diese Woche einmal, das war gestern, und nächste Woche vermutlich zweimal vormittags, mehr als 2x die Woche wollte ich nicht (muss ja noch was für Schnuppi tun, und will mir nicht gleich den nächsten Burnout holen, weshalb ich schon 2x in der Klinik war).
Im Hauptbahnhof drinnen gibt's unter einer Treppe einen Stand mit der englich-arabischen Aufschrift "Sveden" und aussen drauf einem Pappdeckel, auf dem steht "Germany Immigration - Harburg". D.h. wer hierbleiben will, soll zum Harburger Bahnhof fahren - wo allerdings gestern keinerlei Empfang vor Ort war, ich bin dagewesen. Wäre ich Flüchtling, würde ich mich zu den Zügen nach Harburg durchfragen und, dort angekommen, vermutlich irgendeinen der zahlreichen dort herumschwirrenden muslimisch gekleideten Menschen ansprechen und dann wohl irgendwann in einer der Erstaufnahmelager landen, die es in Harburg gibt. Deutsche Organisation geht anders ... Wahrscheinlich stehen ehrenamtliche Helfer/innen an den aus Süden kommenden Zügen und lassen sich von den Flüchtlingen ansprechen - als ich dort war, sind grad keine angekommen.
Viele der in Hamburg Gelandeten wollen wohl nach Schweden weiter. Unter der Treppe werden sie beraten, bekommen etwas neue Kleidung wo nötig, und Familien bzw. Bedürftige werden vor den Bahnhof zum Zelt geleitet, wo sie zu essen und zu trinken bekommen. Nur Familien mit Kindern dürfen ins Zelt, sonst wird's zu voll, der Rest campiert draussen (der Platz ist überdacht).
Ein zweites, kleineres, Zelt daneben ist das Sanitätszelt, und damit mein "Revier". Mehrere Rettungsassistenten und Krankenschwesern versehen hier ihren ehrenamtlichen Dienst, die meisten haben daneben noch einen regulären Job. Das Klima ist sehr familiär, ich hab mich sofort wohlgefühlt, zumal ich im Gegensatz zu anderen Kollegen keiner bin, der den (in meinem Fall ohnehin nicht vorhandenen) Doktor raushängt. Befremdlich, dass man zu jeder Untersuchung - die meisten Patienten sind erkältet - erstmal einen Einmalkittel, Mundschutz und Handschuhe anziehen muss, zwecks möglicher Infektionsgefahr. Ich lasse die Dolmetscher als erstes erklären, was diese Maskerade soll, damit die Leute keine Angst bekommen.
Die zu untersuchenden Kinder kriegen alle erstmal ein Spielzeugsanitätsauto, das finden sie toll. Ich lasse Fieber messen, höre sie ab, gucke in den Hals und taste sie soweit als notwendig ab, mehr braucht's nicht. Und mehr als Hustenbonbons und manchmal Aspirin (für die Erwachsenen) haben wir auch nicht zu verteilen. Hätten wir Antibiotika gebraucht, wär's umständlich geworden, aber machbar.
Für Syrer (das sind die meisten) und Afghanen (das ist die zweitgrößte Gruppe) sind Dolmetscher da. Manche Syrer sprechen englisch, die Afghanen weniger. Für Eritreer und Somali hab ich mir aus meiner alten Patinentenkartei Telefondolmetscher besorgt. Auf Arabisch kann ich mich grad mal vorstellen: "Salaam aleikum - ana hakim" ("ich Arzt"), dann ist fast schon Schluss. "Shukran", danke, wenn ich fertig bin, und zum Abschied nochmal "salaam aleikum", das kenne ich aus Karl May.
Problematisch war ein junger zusammengebrochener Syrer, aus dem herauszubekommen war, dass er vor einem Jahr einen Bombenangriff mit 100 Toten überlebt hat. Das war zum Glück nur einer - man stelle sich vor, nach einem Angriff würde die Straße vor von solchen Menschen sein ... Er wollte ins Krankenhaus, und das konnten wir auch organisieren. In diesen Fällen fordern die Hamburger Krankenhäuser und Krankentransportdienste derzeit keine Krankenversicherungsnachweise.
Ich freue mich, trotz solcher Herausforderungen, auf meinen nächsten Einsatz. Helfersyndrom hin oder her, aber ich find's schön, wenn ich gebraucht werde und in einem freundlichen Team arbeiten kann.